# taz.de -- Debatte EU-Krisenpolitik: Gebt uns eure Steuern!
       
       > Angela Merkel agiert als Lobbyistin der Banken. Das ist fatal, wie neue
       > Recherchen über die EU-Krisenpolitik der vergangenen Jahre belegen.
       
 (IMG) Bild: Keine gute Krisenmanagerin: Angela Merkel
       
       Der seinerzeitige französische Präsident war richtiggehend baff. Er hatte
       gegenüber der deutschen Kanzlerin Angela Merkel darauf gedrängt, gemeinsame
       europäische Instrumente zur Bekämpfung der Bankenkrise zu entwickeln, doch
       die, so Nicolas Sarkozy, habe bloß geantwortet: „Jedem seine Scheiße.“ Ganz
       so grob, war später aus der deutschen Delegation zu hören, habe die
       Kanzlerin das nicht formuliert, vielmehr habe sie Goethe zitiert: „Ein
       jeder kehr’ vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier.“
       
       Die Anekdote stammt aus dem Jahr 2008, als die Finanzkrise bedrohlich zu
       lodern begann, aber sie ist eine schöne Illustration für die vergangenen
       sechs Jahre Krisenpolitik der Europäischen Union, die man knapp so
       charakterisieren kann: Es wurde über weite Strecken das Falsche gemacht,
       und wenn das Richtige gemacht wurde, dann viel zu halbherzig und viel zu
       spät. Und es war primär die deutsche Regierungschefin, die dafür
       verantwortlich ist.
       
       Wie sich das im Detail abspielte, kann man nun in einem druckfrischen Buch
       nachlesen: „Europas Strippenzieher“ heißt es, und es stammt von Cerstin
       Gammelin und Raimund Löw. Sie ist Brüssel-Korrespondentin der Süddeutschen
       Zeitung, er Korrespondent des österreichischen Fernsehens ORF.
       
       Das Buch ist eine kleine Sensation, und zwar aus einem simplen Grund: Die
       Autoren haben Zugang zu den streng geheimen Protokollen des Gipfeltreffens
       der EU-Staats- und Regierungschefs erhalten. Weiß Gott, wie ihnen das
       gelungen ist. Aber was man hier liest, ergibt ein recht haarsträubendes
       Bild.
       
       Das Ergebnis von Merkels Blockade ist bekannt: Jedes EU-Land musste seine
       torkelnden Megabanken alleine retten. Und um wechselseitige Ansteckungen zu
       vermeiden, wurde die Richtschnur ausgegeben, dass die Gläubiger dieser
       Banken – zum Großteil selbst Finanzinstitutionen, also Banken, Fonds,
       Versicherer – jeden Euro und Cent ihrer Investitionen zurückbekommen.
       Länder wie das kleine Irland mit gerade einmal 4,5 Millionen Einwohnern
       bescherte das beinahe über Nacht einen Schuldenzuwachs von 100 Milliarden
       Euro. Unter den Hauptprofiteuren sind deutsche Banken und Fonds, die ihr
       Geld jetzt vom irischen Steuerzahler erhalten.
       
       ## Und wieder blockiert Merkel
       
       Als dann die Eurozonen-Mitgliedsstaaten vor der Pleite standen, begann
       dasselbe Spiel von vorne. So will der neubestellte Ratspräsident Herman Van
       Rompuy 2010 schon einen Sicherheitsschirm für Griechenland, Spanien oder
       Italien aufziehen. Doch wieder blockiert Merkel. Die gescheiterte
       Rettungsoperation „hätte wohl die Krise gestoppt“, sagt später einer der
       Gipfelorganisatoren im Umfeld von Van Rompuy. Viel Zeit verstreicht, die
       Zinsen für die Anleihen der Krisenländer schießen durch die Decke.
       
       Ein besonders bizarres Beispiel deutscher Blockade bietet sich, als der
       damalige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet das bisher Undenkbare zu tun
       gedenkt und sich die Rückendeckung Axel Webers, des deutschen Vertreters im
       EZB-Rat, holt. Der sagt: „Die EZB muss Staatsanleihen kaufen.“ Dieser Satz
       macht den Weg frei zur Verteidigung der angeschlagenen Mitgliedsländer.
       Doch am nächsten Tag zieht Weber seine Zustimmung per E-Mail zurück. Einige
       Monate später räumt er seinen Stuhl.
       
       Immer wieder muss sich Merkel der Macht des Faktischen und Nötigen beugen,
       aber bis sie das tut, vergeht wertvolle Zeit und wird viel Geld verspielt.
       Am Ende wird ein Eurorettungsschirm aufgespannt, später als ESM als
       Quasibank institutionalisiert. Viele Fachleute fordern, dass der ESM direkt
       Banken rekapitalisieren sollte, damit der Kreislauf von Bankschulden und
       Staatschulden endlich durchbrochen wird.
       
       Aber Merkel will, dass es weiter läuft wie gewohnt: Die Staaten retten die
       Banken und der ESM rettet dann die Staaten. Wieder wird Zeit verloren, bis
       sich auch die deutsche Seite nicht mehr völlig der Vernunft widersetzen
       kann. Irgendwann, wenn es eine Bankenunion gibt, darf dann auch dieser
       Aspekt einer gemeinsamen europäischen Politik gegenüber der Finanzbranche
       realisiert werden. Bislang ist die Regelung aber noch nicht in Kraft.
       
       Ob bei Finanztransaktionsteuer, gemeinsamer europäischer Armutsbekämpfung,
       Schritten für gemeinsame europäische Sozialstandards: Immer ist es die
       Merkel-Regierung, die entweder bis heute blockiert oder lange blockiert und
       dann halbherzig umschwenkt und verwässert.
       
       ## Endlich über Deutschland reden
       
       Gleichzeitig wird so getan, als rette das reiche Deutschland die unsoliden
       Südländer – obwohl die deutschen Finanzinstitute zu den Hauptprofiteuren
       des Designs der Antikrisenpolitik zählt, nämlich Gläubiger mit
       Steuergeldern hundertprozentig rauszupauken. Des Steuerzahlergeld kommt in
       Griechenland, Irland oder Spanien an und wird noch vor Geschäftsschluss an
       deutsche, französische und andere Banken zurücküberwiesen.
       
       Und als dann einmal nicht die deutschen Banken zu den Profiteuren zählen
       würden, nämlich im Falle der Zypernkrise, wird flugs eine andere
       Vorgangsweise gewählt. In dem Fall sind es ja Russen, um die es geht, und
       keine deutschen Anleger und Banken. Da herrschen dann gleich andere
       Gesetze.
       
       Man muss der Merkel-Regierung nicht einmal niedrigere Motive unterstellen
       als den anderen EU-Regierungen, es gibt nämlich beinahe so etwas wie
       systemische Gründe für dieses Verhalten: Weil sich in Europa riesige
       Megabanken entwickelt haben, die politische Macht aber immer noch faktisch
       in den Nationalstaaten liegt, ergibt sich eine ungesunde Mesalliance
       zwischen Banken und Regierungen. Jeder Fürst will die größte(n) Bank(en)
       und betätigt sich dann als Lobbyist derselben.
       
       Nur ist Deutschland am mächtigsten und damit der mächtigste Lobbyist. Es
       ist ja gerade dieses Problem, das mit der Bankenunion entschärft werden
       soll – die enge Verkettung von Interessen von Nationen mit den Interessen
       „ihrer Banken“ soll gesprengt werden.
       
       All das zeigt: Wenn wir über die Europäische Union sprechen, die
       Antikrisenpolitik der vergangenen Jahre, über das, was falsch gelaufen ist,
       dann muss man auch einmal beginnen Klartext zu reden. Wir müssen über
       Deutschland reden. Und über die fatale Rolle von Angela Merkel.
       
       2 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Misik
       
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