# taz.de -- Kolumne Besser: Der kranke Mann von Ankara
       
       > Egal ob Erdogan aus Kalkül handelt oder nur einen Sprung in der Schüssel
       > hat – mit einem, der nicht zuhören will, ist ein Gespräch schwierig.
       
 (IMG) Bild: Ein Graffito in der Nähe des Taksim-Platzes im Juni 2013.
       
       Nächste Woche wird er in Deutschland erwartet, der Mann, den seine Fans für
       den größten Politiker der Gegenwart halen: Recep Tayyip Erdogan.
       
       Vermutlich wird er sowohl den Deutschtürken als auch der Bundesregierung
       ein paar Ratschläge mitgeben. Der Mann, der zu Hause, ob bei den
       Gezi-Protesten oder den Korruptionsermittlungen, stets geheime ausländische
       Kräfte am Werk sieht, selbst aber keine Bedenken hat, sich in die Belange
       anderer Länder einzumischen und beispielsweise die [1][Dschihadisten in
       Syrien zu unterstützen].
       
       Die Deutschtürken [2][wird er dazu aufrufen, „unsere Traditionen“ zu
       wahren]. Sagen lassen aber wird er sich nichts. Denn Erdogan tritt
       inzwischen derart entrückt auf, dass einem eine Figur in den Sinn kommt,
       die man, ähnlich wie [3][das in Europa herumgehende Gespenst], eigentlich
       nicht mehr hören kann: der „kranke Mann am Bosporus“.
       
       Der „kranke Mann“ war einst das rückständige und zerfallende Osmanische
       Reich des 19. Jahrhunderts; ihn plagten, im übertragenen Sinne, Gicht,
       Diabetes und Rücken. Wenn es heute einen kranken Mann in Ankara gibt, dann
       ist er kein Fall für die Rheumatologie, sondern für die Psychopathologie.
       Und der Mann steht nicht metaphorisch für ein ganzes Land, er regiert es
       dummerweise nur.
       
       Nun gibt es gute Gründe, die Pathologisierung ausländischer Politiker den
       Leuten vom Fach, also der Bild zu überlassen. Aber bei Erdogan kann man aus
       ebenso guten Gründen ernsthaft fragen, ob er vom Cäsarenwahn befallen ist.
       
       Zuletzt polterte er gegen den Unternehmerverband Tüsiad, weil dessen
       Präsident die mangelnde Rechtssicherheit beklagt hatte. Vaterlandsverrat,
       schrie Erdogan, wie er überall nur noch Verrat und Verschwörung wittert.
       Gewiss folgt diese aggressive Rhetorik dem rationalen Zweck, die eigenen
       Anhänger hinter sich zu scharen.
       
       Aber Erdogan hat alles Maß verloren; er spielt keine Partitur, er hängt am
       schrillsten Ton fest, und wenn er überhaupt noch etwas variiert, dann die
       Lautstärke. Und das hat Konsequenzen – von der [4][Verfolgung politischer
       Gegner] über [5][Strafaktionen gegen Polizei und Justiz] bis zu einem
       geplanten [6][Internetgesetz], dessen Ziel lautet: eine Nation, eine Fahne,
       eine Website.
       
       Zu allem Überfluss ist er umgeben von Beratern, die entweder – wie der
       frühere grüne [7][Europaabgeordnete Ozan Ceyhun] – opportunistische
       Lakaien, knallharte Einpeitscher, wirre Verschwörungstheoretiker [8][oder
       alles auf einmal] sind.
       
       Was aber sagt man so jemandem, wenn man ihn zu Gast hat? Wir sind in Sorge?
       Wie ist bei euch so das Wetter? Geh bügeln? Vielleicht das.
       
       Denn egal, ob Erdogan aus Kalkül handelt oder einen Sprung in der Schüssel
       hat – mit einem, der nicht zuhören will oder kann, ist ein Gespräch
       schwierig. Die Frage ist nicht, ob er stürzen wird; die Frage ist, was er
       im Fall zertrümmern wird.
       
       Besser: Zum Ende beitragen.
       
       Schöner: Sich den Gegnern widmen. Zum Beispiel durch mein Buch „Taksim ist
       überall – Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei“, das im März im
       [9][Nautilus-Verlag] erscheint. Es ist nicht auszuschließen, dass es
       lesenswert ist.
       
       3 Feb 2014
       
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