# taz.de -- Die Grünen stellen sich neu auf: Nie wieder Veggieday
       
       > Die Partei denkt auf ihrer Neujahrstagung über die Lehren aus dem
       > Wahldesaster nach. Das Image des Verbotsvereins will sie loswerden.
       
 (IMG) Bild: Bleib mir weg mit fleischlos!
       
       WEIMAR taz |Wie gut, dass die neue Bundesregierung bis Weihnachten
       gebraucht hat, sich zu finden. Da fällt es nicht gar so auf, dass die
       Grünen auch im neuen Jahr noch schwer mit Selbstsuche beschäftigt sind.
       
       Auf der rituellen Neujahrsversammlung der Bundestagsfraktion in Weimar war
       von Mittwoch bis Freitag dieser Woche kaum zu spüren, wie sich die kleinste
       Fraktion im Bundestag unter ihren neuen Chefs, Toni Hofreiter und Katrin
       Göring-Eckardt, sortieren wird. Es sah sogar so aus, als gebe so ein
       „Unter“ überhaupt nicht mehr. Vielmehr herrschte eine allgemeine
       Gleichrangigkeit etwa aller denkbaren Analysen des schockierenden
       8,4-Prozent-Ergebnisses bei der Bundestagswahl im September.
       
       Immerhin breitet sich hierzu im Realo-Flügel ein gewisses
       Unterscheidungsvermögen aus. Nun, da Jürgen Trittin gestürzt ist, gibt der
       eine oder andere zu, dass nicht allein dessen angeblich sturer
       Steuererhöhungs- und Umverteilungswahn an der Niederlage schuld gewesen
       sein kann. Dagegen sprechen zum Beispiel die Zahlen über die Verluste bei
       den jüngeren, insgesamt weniger Steuern zahlenden WählerInnen.
       
       Kein böses Wort außerdem mehr über Trittin: Lauscht man manchen
       Abgeordneten, hat es nie einen wärmeren und verständnisvolleren
       Fraktionschef gegeben als ihn: „Er ist gar nicht so!“ Nur indirekt wurde
       der Stilwandel beschrieben – wie „offen“ nun die Diskussionen seien, dass
       man „auch mal“ widersprechen könne, dass nun „wirklich alle“ mitreden
       dürften.
       
       ## Papier zum Thema Freiheit
       
       Dass und wie auch länger gediente Kräfte vom neuen Klima profitieren, ließ
       sich an der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin Brigitte Pothmer erkennen.
       Gross war Pothmers Erleichterung darüber, dass es zur Fraktionsklausur
       nunmehr keine experimentellen Mitmach- und Gesprächsformate wie „Fishbowl“
       und „Weltcafé“ mehr gibt. Diese sollten bislang den Zynismus der
       Führungskräfte einhegen helfen. Statt dessen, jauchzte Pothmer, „dürfen
       jetzt erwachsene Menschen schlicht miteinander über Politik diskutieren“.
       Es war eines der stärksten zu messenden Gefühle im beschaulichen Weimar.
       
       Schwerpunkt der Fehleranalyse in der neue Weimarhalle war, was die Grünen
       aus dem Veggieday zu lernen haben. Schwer gebeutelt ist die Partei davon,
       wie der wahrhaftig nicht neue Vorschlag, einmal die Woche fleischlos zu
       essen, im Wahlkampf geschadet hat. Nicht zuletzt deshalb hatten einige
       vornehmlich nordrhein-westfälische Grünen Abgeordnete und Mitdenker zu
       Weihnachten ein Papier zum Thema Freiheit präsentiert.
       
       Die AutorInnen Kai Gehring und Irene Mihalic sorgten dafür, dass es auch
       auf der Neujahrsklausur noch einmal hochgehalten wurde. „Wir müssen unsere
       Freiheitserzählung wieder entfalten“, heißt es darin. Oder, wie es ein
       zustimmend nickender Linksgrüner formulierte: „Wir müssen diesen
       Verbotsparteischeiß wieder loswerden.“
       
       Die Grünen wollen sich weniger angreifbar machen und ihre eigenen Ideen
       rosiger, griffiger, weniger abstrakt und moralisch vortragen lernen. Hierzu
       auch belehrt von der Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling aus dem
       kalifornischen Berkeley, blieb dennoch offen, wie sich etwa die Verwendung
       des Wortes Freiheit auf die konkrete Argumentation auswirken könnte.
       
       So betraf einer der wenigen Streitpunkte in Weimar den Umgang mit den
       Rentenplänen der Großen Koalition: Ist es freiheitlich, gegen Mütterrente
       und Rente mit 63 für langjährig Versicherte zu sein, weil dies die Freiheit
       der Beitragszahler einschränkt? Oder ist die grüne solidarische Freiheit
       nicht genau die der RentnerInnen, deren Bezüge seit 1998 so beschnitten
       wurden?
       
       ## Streit um Rentenaufstockung
       
       Kerstin Andreae, Vizefraktionschefin und Wirtschaftspolitikerin, verlangte
       dem Vernehmen nach, unterm Titel „Generationengerechtigkeit“ jegliche
       Rentenaufstockung abzulehnen; es soll Christian Ströbele gewesen sein, der
       am lautesten widersprach – „aber unter flügelübergreifendem Applaus“ – wie
       es hieß.
       
       Hofreiters launige Rede zum Dinner am Donnerstag bewies erst einmal, wie
       Trotz und Ironie der neuen Positivkommunikation im Weg stehen können: Es
       gebe nun ein vegetarisches Menü zu essen, damit „auch die Journalisten“
       endlich merkten, dass fleischlos „trotzdem“ schmecken kann.
       
       Bei aller flauschigen Entspanntheit ist der neuen, 63-köpfigen Fraktion
       doch auch bewusst, wie stark sich die strategischen Aussichten verschoben
       haben. Es gilt jetzt nicht nur, überhaupt neben der erdrückenden
       schwarz-roten Übermacht noch gehört zu werden. Die neue Farbenlehre, nach
       der Schwarz-Grün für die Bundestagswahl 2017 denkbar geworden ist, bedeutet
       umgekehrt: Es muss der SPD ein Ziel sein, die Grünen kleiner als die
       Linkspartei zu halten. Denn dann ist Rot-Rot-Grün wahrscheinlicher als
       Schwarz-Grün.
       
       Trotzdem betonte Hofreiter die rot-grünen Achsen in der Energiepolitik. Er
       setze sein Vertrauen auf prominente grüne Besetzungen in Sigmar Gabriels
       Wirtschaftsministerium, insbesondere insbesondere auf Energiestaatssekretär
       Rainer Baake, sagte er: „Wir hoffen, dass er den Quatsch aus dem
       Koalitionsvertrag nicht mitmacht.“ Von soviel rot-grünem Sachverstand bei
       der Energiewende, so die Idee, werde sich die Union überzeugen lassen
       müssen, wie wirtschaftlich die erneuerbaren Energien seien. Die Grünen
       bieten der Großen Koalition einen Konsens bei der Reform der Energiewende
       an.
       
       Solch ein Konsens wird von den sieben grünen Energieministern aus den
       Bundesländern mitformuliert werden. Die Zeit, da Trittin und auch andere
       Schwergewichte in der Fraktion wie Bärbel Höhn den Grünen die
       energiepolitischen Marschrouten vorgaben, ist vorbei. Wer allerdings von
       den Landesministern das größte Wort führen wird, wird sich erst
       entscheiden, wenn die mit der CDU koalierenden Hessengrünen sich
       eingerichtet haben.
       
       Nach Weimar eingeladen hatte die Fraktion den schleswig-holsteinischen
       Energiewendeminister Robert Habeck. Er sah seine Aufgabe offensichtlich
       auch darin, ein wenig Dampf zu machen. „Wir sollten nicht zusehen, wie bei
       der Energiewende andere Leute die Pflöcke herausziehen, sondern selber
       welche einschlagen.“
       
       10 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Winkelmann
       
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