# taz.de -- Kommentar Energiepolitik der EU: Atomstaat Brüssel
       
       > Brüssel macht eine Energiepolitik auf Basis falscher Fakten. Dass jetzt
       > der Bau neuer Atomkraftwerk subventioniert werden soll, ist nur logisch.
       
 (IMG) Bild: In Brüssel wird noch fürs Atom getrötet
       
       Die Europäischen Union gleicht seit ihrer Gründung einem Atomstaat.
       Kernenergie steckte in der DNA der Staatengemeinschaft und legt noch heute
       den halben Kontinent in Ketten. Das ist der Sprengsatz, der auch unter der
       deutschen Energiewende tickt.
       
       Insofern ist es alles andere als überraschend, was nun das Licht der
       Öffentlichkeit erblickt hat: der Entwurf der neuen Beihilferichtlinie von
       Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia. Seine Beamten definieren Atomstrom
       darin kurzerhand zur Umweltschutzmaßnahme um. Da Umweltschutz staatlich
       gefördert werden darf, kann die Kommission EU-Staaten mit diesem Trick
       genehmigen, Unternehmen zu subventionieren, die Atomkraftwerke bauen. Das
       wäre nach den EU-Prinzipien des freien Wettbewerbs eigentlich unzulässig.
       
       Nur, was ist an der Subvention der Kernenergie eigentlich neu? Kein
       einziges Atomkraftwerk wurde jemals ohne direkte oder indirekte
       Subventionen errichtet: Forschungsgelder, von der Öffentlichkeit
       übernommene Haftungsrisiken, Steuervergünstigungen - allein in Deutschland
       ergibt sich ein dreistelliger Milliardenbetrag an Atomsubventionen.
       
       Insofern schreibt die Kommission nur jahrzehntelange Politik fort:
       Atomkraft ist ein Gründungsmythos der europäischen Einigung. Seit 1957 gilt
       der Euratom-Vertrag. Die heute 28 EU-Staaten haben sich dazu verpflichtet,
       Absatzmärkte für die Atomkraft zu schaffen, Investitionen zu erleichtern
       und Mittels Atomkraft den Wohlstand der Menschen zu mehren. Die
       EU-Kommission verweist in ihrer Richtlinie explizit auf diesen Vertrag. Wie
       lang sollen dieser Quatsch eigentlich noch in Kraft bleiben? 200 Jahre?
       
       ## Naives Denken
       
       So bleibt die EU einem blinden Atom-Glaubensbekenntnis verpflichtet. Aus
       einer Zeit, in der deutsche Atomforscher wie der Physik-Nobelpreisträger
       Werner Heisenberg noch behaupteten, man könne hochradioaktiven Müll einfach
       ein paar Kilometer vor der Küste ins Meer werfen und Atomkraftwerke im Wald
       errichten, dann würde sich die Radioaktivität im Falle eines Unfalls bis
       zur nächsten Stadt längst verflüchtigt haben.
       
       Dieses naive Denken drückt sich heute anders aus. Im Energiefahrplan 2050
       der EU. Der ist Grundlage für die künftige Energiepolitik der
       Staatengemeinschaft. Was da drin steht, ist objektiv gesehen ein Witz. Das
       Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat die Zahlen in dieser Woche
       genüsslich zerlegt. Da prognostiziert die Kommission allen Ernstes im Jahr
       2050 für Solarenergie höhere Kosten als heute. Rechnet man die
       technologische Entwicklung weiter, ist Sonnenstrom drei Mal teurer
       kalkuliert worden als tatsächlich zu erwarten ist. Windkraft? Kostet 2050
       so viel wie heute, glaubt die Kommission.
       
       Atomkraft wird dagegen billig gerechnet: Das Kilowatt Leistung sei für
       4.300 Euro zu haben, heißt es da, dabei liegen die Kosten in den beiden im
       Bau befindlichen AKWs Olikiluoto in Finnland und Flamanville in Frankreich
       bereits heute bei 5.100 Euro. Seit 40 Jahren wird Atomkraft stetig teurer,
       die EU-Kommission rechnet dagegen mit sinkenden Preisen.
       
       Zwar sollen laut der neuen Richtlinie die Atomfirmen die horrenden Kosten
       für Entsorgung und Rückbau selbst tragen. Allerdings nur von neuen
       Kraftwerken. Für die alten gibt es zwar Rücklagen, allerdings zu geringe.
       Soll heißen: Den Rest darf ruhig der Steuerzahler zahlen, so die EU. Die
       Kosten für neue Sicherheitsanforderungen nach Fukushima, all das taucht in
       den Kostenprognosen der EU nicht auf, geschweige denn die Risiken eines
       Unfalls.
       
       ## Brüssel gibt nur den Rahmen
       
       Atomkraft kann nicht sich auf dem freien Markt nicht behaupten – sonst
       müsste die Kommission keine Subventionen durchwinken. Die Briten wollen den
       Strom aus ihren geplanten Atomkraftwerken mehr als doppelt so hoch
       bezuschussen als den aus Windkraft. Sonst baut niemand die AKWs.
       
       Ob dem am Ende so ist, entscheidet jedes Land selbst, Energiepolitik ist
       eine nationale Angelegenheit. Brüssel kann nur Rahmenbedingungen setzen.
       
       Interessant ist, wer nun alles nichts sagt: Bundeswirtschaftsminister
       Philipp Rösler (FDP), der bei jeder Gelegenheit über "Planwirtschaft" bei
       der Förderung erneuerbarer Energien krakeelt und bei Atomstrom auf seinen
       Marktfetisch pfeift. Oder der deutsche Energiekommissar Günther Oettinger
       (CDU), der zwar ein Statement schickt, das aber nichts als Blabla über
       "notwendige Diskussionen" enthält.
       
       Angela Merkel lässt wahlkampfbedingt brav ausrichten, sie lehne die Pläne
       ab, wird aber kein Gramm politisches Gewicht dafür einsetzen, sie dann auch
       zu verhindern. Die Belohnung dafür ist in der Richtlinie der EU-Kommission
       bereits enthalten: Dort soll auch die Förderung erneuerbarer Energien nach
       deutschem Vorbild ein für alle mal mit EU-Wettbewerbsrecht in Einklang
       gebracht werden.
       
       19 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
       
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