# taz.de -- Neues Album von Flying Lotus: Stolperbeat der Träume
       
       > Der kalifornische Produzent Flying Lotus findet auf seinem neuen Album
       > „Until the Quiet Comes“ den elektronischen Fortschritt in leisen Tönen.
       
 (IMG) Bild: Hat den Durchblick: Steve Ellison alias Flying Lotus.
       
       Alle zwei Jahre kommt der Messias. Seit 2006 veröffentlicht Steven Ellison
       unter dem Namen Flying Lotus in regelmäßigen Abständen Alben, mit denen er
       sich kontinuierlich als Ausnahmegestalt des HipHop oder, je nach
       Blickwinkel, der elektronischen Musik behauptet.
       
       Vor knapp einem Monat 29 Jahre alt geworden, hat sich der Produzent aus Los
       Angeles allmählich zum gestandenen Musiker entwickelt, der sich nicht bloß
       hinter seinem Laptop verschanzt, sondern Kollegen an „echten“ Instrumenten
       hinzuholt, um seinen präzise verwaschenen Sound zu perfektionieren.
       
       „Until the Quiet Comes“ heißt sein neuestes Album, das zugleich sein bisher
       reifstes Statement ist. „Reif“ soll dabei kein Euphemismus für gepflegte
       Langeweile sein, sondern ist durchaus wörtlich zu nehmen. Ellison hat mit
       seinen vorangegangenen Alben nicht nur eine Entwicklungsstufe nach der
       nächsten genommen, er hat auch thematisch seinen Horizont immer weiter
       abgesteckt: War das Debüt „1983“ noch ganz auf sein Geburtsjahr fixiert,
       begann er mit „Los Angeles“ schon eifrig durch seine Heimat zu streifen.
       
       „Cosmogramma“ von 2010 nahm dann das Weltall in den Blick – seine
       Großtante, die Jazzpianistin Alice Coltrane, stand spirituell wie
       musikalisch Pate – und übersetzte die familiären Free-Jazz-Ansätze ohne
       Furcht vor Genrebegrenzungen ins HipHop-Medium.
       
       ## Blick nach innen
       
       Mit „Until the Quiet Comes“ wendet Ellison den Blick nach innen, geht auf
       Traumexkursion, verlegt sich auf stillere Töne, ohne seine nervös
       verschepperten Beats und sägenden Digitalbässe vollständig beiseitezulegen.
       Sie kommen lediglich in homöopathischen Dosen zum Einsatz, wie sämtliche
       Klänge auf diesem Werk handverlesen scheinen, geprüft und für schwer oder
       leicht genug befunden.
       
       Oft genug erinnern Ellisons Rhythmen an Jazz, wenn auch anders als bei
       „Cosmogramma“, wie er selbst sagt: „Ich wollte nicht gezielt Jazz machen.
       Beim letzten Mal habe ich das getan, es war Stroßrichtung und Rückgrat,
       dessen, wonach ich suchte. Diesmal wollte ich diese Geschichte nicht
       wiederholen. Ich wollte einen Schritt zurücktreten und auch darüber
       nachdenken, was ich mit meinem Leben anstelle.“ Im besten Sinne verfeinert
       wirken die zwischen 60 Sekunden und knapp fünf Minuten langen Stücke, in
       denen man Flying Lotus in all seinen Facetten kennenlernen kann.
       
       Da sind die beiläufig flackernden instrumentalen HipHop-Tracks, die er auf
       „Los Angeles“ in vollendeter Form präsentiert hatte, ruhige Nachtlieder,
       deren Textur und Gesang durch Schleier hindurchzuwehen scheinen und an
       frühe Titel wie seinen Underground-Hit „Tea Leaf Dancers“ erinnern, oder
       soundtrackartige psychedelische Nummern, navigiert vom virtuos
       herumtanzenden Bass seines Kumpels Thundercat, der auch schon auf
       „Cosmogramma“ sein Können demonstrieren durfte.
       
       Das alles klingt ungreifbar und ausgefeilt zugleich, nicht zuletzt, weil
       Ellison sich so mühelos zwischen unterschiedlichen musikalischen Stilen hin
       und her bewegt, aus denen er seine eigene Sprache destilliert. Der ordnen
       sich auch seine Gastsänger unter, mögen sie nun Erykah Badu oder Thom Yorke
       – seines Zeichens Kopf der Progrockband Radiohead – heißen. Rapper kommen
       hingegen nicht zu Wort, obwohl Ellison seine Anfänge im HipHop sieht.
       
       ## Junge Rapper als Inspiration
       
       In den letzten Jahren hatte er sich allerdings zunehmend von dieser
       Richtung distanziert, suchte seine Inspiration lieber anderswo. Dass er
       neuerdings mit Rappern des jungen HipHop-Kollektivs Odd Future
       zusammenarbeitet, ist da umso bemerkenswerter. Vielleicht finden sie ja
       irgendwann auch den Weg auf ein Flying-Lotus-Album.
       
       Ellison selbst möchte sein Album denn auch weniger als Summe seiner
       aktuellen künstlerischen Position verstanden wissen denn als
       Momentaufnahme: „Es ist lustig, dass die Leute meinen, weil ich 18 Tracks
       abgeliefert habe, sei das jetzt genau das, was ich so mache. Bei der Arbeit
       an diesem Album hatte ich ursprünglich 60 Tracks in Betracht gezogen, von
       denen ich schließlich diejenigen genommen habe, die mir am meisten
       bedeuteten. Es gab da auch Drum ’n’ Bass, Ambient und stärker
       HipHop-lastiges Material, es war sehr unterschiedlich. Die Hörer bekommen
       nur einen Bruchteil dessen mit, was ich produziere.“
       
       Live zeigt Ellison weitere Facetten seiner selbst und bringt die Leute mit
       wilden Club-Monstern zum Schwitzen. Von den Alben spielt er nur eine kleine
       Auswahl. Manchmal zeigt er dazu eigene Videos – sofern der Rechner nicht
       abstürzt, wie vor Kurzem in Australien. Wenn er heute in Leipzig eine
       kleine Deutschland-Tour startet, kann man daher gespannt sein, ob man
       Flying Lotus nicht nur hören, sondern auch „sehen“ kann.
       
       5 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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