# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Die Militanz der Zufriedenen
       
       > Kann vielleicht mal ein wenig Aufregung aufkommen? Nö. Deutschland ist
       > ein Paradies, daran ändern auch Hacker, Flüchtlinge und Polen nichts.
       
 (IMG) Bild: Deutschland (Symbolbild)
       
       Unter Militanten werden in Deutschland meist Menschen in schwarzen
       Kapuzenpullovern verstanden, die sich irgendetwas über ihr Gesicht gezogen
       haben. Beim G-7-Gipfel gab es ein paar von denen, nicht genug allerdings,
       um wirklich aufzufallen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit macht sich
       unterdessen eine neue Art der Militanz breit: die der Zufriedenen.
       
       Zum Beispiel im Bundestag. Irgendwer hat dessen Computernetzwerk gehackt,
       die USA, Russland, China, keiner weiß es, oder wenn es jemand weiß, dann
       sagt es niemand öffentlich. 20.000 Geräte soll das betreffen, keine Ahnung,
       wo die alle stehen, bei etwa 8.000 Mitarbeitern, aber gut. Am Donnerstag
       forderte das Bundesamt für Informationssicherheit, das gesamte System müsse
       neu aufgebaut werden. Rechner und Server löschen, neue Software drauf. Die
       Administratoren des Bundestages haben keine Kontrolle mehr. Menschen, die
       sich mit so etwas auskennen, empfehlen, das Ganze abzuschalten.
       
       Könnte schon mal ein Fitzelchen Aufregung aufkommen, oder? Nö. Weitermachen
       wie bisher, empfiehlt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und
       schreibt in einer Mail, die Kolleginnen und Kollegen sollten da jetzt mal
       ganz ruhig bleiben, man arbeite „mit Hochdruck an einer Lösung“,
       „Gegenmaßnahmen“ seien ergriffen, Datenabflüsse „bisher nicht nachweisbar“.
       
       Das ist die Fortsetzung der hiesigen Scheißegal-Haltung zum Abhören der
       Geheimdienste mit parlamentarischen Mitteln. Eine Mehrheit der Deutschen
       findet den US-Amerikaner zwar arrogant und machthungrig, aber solange seine
       Agenten die Bärtigen des Islamischen Staats fernhalten, reißt man die
       Klappe lieber nicht allzu weit auf.
       
       ## Am Feuer ist es schön warm
       
       Solange sie es gemütlich haben, sind die Deutschen gelassen bis zur
       Schmerzgrenze. Es geht ihnen gut, Wolfgang Schäuble weiß gar nicht, wohin
       mit den Steuereinnahmen, während in Griechenland und Spanien die Hütte
       brennt. Uns egal, am Feuer ist es schön warm.
       
       Polen verteidigen? Oder Litauen? Nö, auch darauf haben die Deutschen keinen
       Bock. Das Pew Research Center in Washington hat Menschen in acht
       Nato-Staaten und in Russland und der Ukraine zu ihrer Haltung zur Nato, zum
       Krieg im Donbass und zu Wladimir Putin gefragt. 58 Prozent der befragten
       Deutschen möchten einem verbündeten Land lieber nicht militärisch helfen,
       wenn dieses in einen „ernsthaften militärischen Konflikt“ mit Russland
       gerät. Das ist absoluter Spitzenwert. Zugleich gehen die Deutschen,
       natürlich, davon aus, dass die USA in einem solchen Fall militärisch
       eingreifen würden, um den Nato-Partner zu beschützen.
       
       Ist das noch Komfortbewusstsein oder schon Erbärmlichkeit?
       
       Die Deutschen seien nun einmal nicht mehr empfänglich für preußischen
       Militarismus, so deutet das [1][der linke Publizist Jakob Augstein] auf
       Spiegel Online. Das möchte man gerne glauben, es sieht nur leider so aus,
       als wären die Deutschen nicht mehr empfänglich für alles, was sie in ihrer
       Ruhe stören könnte.
       
       ## Die Regungen der militant Zufriedenen
       
       „Das klingt eigenartig, aber ich dachte in dem Moment, ich tue etwas
       Gutes.“ Sagte ein 39-jähriger Finanzbeamter und Vater vor ein paar Wochen
       im Amtsgericht Lübeck. Er saß dort, weil er eine unbewohnte
       Flüchtlingsunterkunft angezündet hatte. Sechs Männer sollten dort
       einziehen. Sechs. Das war dem Mann und, den Vernehmungen der Zeugen nach,
       auch seinen Nachbarn viel zu viel.
       
       Zufriedenheit – das ist der Zustand, an den gegebenenVerhältnissen nichts
       auszusetzen zu haben, nichts anderes zu verlangen als das, was man hat.
       Ausgeglichenheit. Militant wird diese Zufriedenheit dann, wenn man sie mit
       Ignoranz und Gewalt verteidigt.
       
       Der Libanon hat eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Das ist
       jeder vierte Einwohner. Nicht dass dort alles gut laufen würde, es gibt
       Hunger, Gewalt, Ausgrenzung. Aber offenbar auch so etwas wie Solidarität.
       
       Um Solidarität zu zeigen, muss niemand eine Waffe in die Hand nehmen, die
       Nato toll finden oder auch nur reisen.
       
       In der Ukraine, zum Beispiel, gibt es Menschen, die zerstörte Schulen
       wiederaufbauen. Künstlerinnen und Journalisten, die den Zweifel zu bewahren
       suchen gegen die Propaganda ukrainischer und russischer Politiker. Die
       würden es schon als Zeichen von Interesse und Empathie begreifen, wenn
       deutsche Städte sich häufiger um Partnerschaften mit Städten in der Ukraine
       bemühten.
       
       Aber militante Zufriedene sind für solche Regungen eher unempfindlich.
       
       40 Prozent der für die Pew-Studie befragten Ostdeutschen mögen Putin, im
       Westen sind es immer noch 19 Prozent. Die einen zünden das, wovon sie sich
       belästigt fühlen, selbst an. Die anderen wünschen sich jemand, der das für
       sie erledigt.
       
       13 Jun 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jakob-augstein-ueber-feigheit-oder-vernunft-der-deutschen-a-1038086.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Schulz
       
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