# taz.de -- Ausstellung „Geniale Dilletanten“: Die Achtziger in der Zeitschleife
       
       > Die Ausstellung in München feiert die deutschen Subkulturen der 80er
       > Jahre. So langsam darf man fragen: Ist nicht auch mal gut mit dieser
       > Zeit?
       
 (IMG) Bild: Damals, als der Adolf Hitler getanzt wurde und man radikal gegen alles war: Alex Hacke, Kiddy Citny, Blixa Bargeld u.a. im „Risiko“, Berlin, 1981.
       
       Die 80er Jahre waren am vergangenen Samstagabend in Berlin zu Gast. So
       richtig mit hochtoupierten Haarspray-Frisuren, die wie Readymades durch den
       Raum schwebten, mit Leggins und Ketten, gar mit einer Fast-Schlägerei im
       Publikum zwischen zwei Punk-Frauen oder Punketten, wie man vielleicht
       damals gesagt hätte.
       
       Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF) spielten im Astra Kulturhaus in
       Berlin-Friedrichshain gerade die erste Zugabe, Gabi Delgado-López stand
       statisch auf der Bühne, nasses schwarzes Hemd, und sang im Stakkato-Stil
       „Kebabträume in der Mauerstadt / Türk-Kültür hinter Stacheldraht“. DAF,
       eine der prägenden Bands des Punk und des New Wave der frühen 80er Jahre,
       waren auf Abschiedstour. Endgültig, angeblich. Etwa 1.500 Menschen johlten,
       forderten weitere Zugaben und wollten das noch nicht wahrhaben.
       
       Es fügte sich gut ins Bild, dass Delgado-López da im Weiteren natürlich
       auch den Mussolini und den Adolf Hitler tanzte, und dass sich am Ende auch
       noch „Der Räuber und der Prinz“ ein Stelldichein gaben. Denn die Subkultur
       der 80er ist gerade überall, wohin man auch geht, wohin man auch schaut.
       Kürzlich erst lief der Film „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin“ an, kurz
       nach Oskar Roehlers „Tod den Hippies – Es lebe der Punk“, und in der
       Hauptstadt überschlägt man sich sowieso mit Veranstaltungen zur Musik oder
       Kunst dieser Dekade.
       
       Da will München nicht nachstehen, dort ist derzeit die [1][Ausstellung
       „Geniale Dilletanten“] (richtig nur mit Rechtschreibfehler!) im Haus der
       Kunst zu sehen, die sich den großen Bands dieser Zeit – neben DAF etwa den
       Einstürzenden Neubauten und Die Tödliche Doris – widmet und vor allem das
       Zusammenspiel zwischen bildenden Künsten, Film, Musik und Geräuschcollagen
       in den Vordergrund rückt.
       
       Der Titel der Schau bezieht sich auf das [2][“Festival der Genialen
       Dilletanten“], das im September 1981 im Berliner Tempodrom stattfand.
       Später wurde sie als Eigenbezeichnung dieses Künstlerkreises geläufig. Der
       Musiker und Autor Wolfgang Müller ([3][Die tödliche Doris]) hat nach dem
       Festival ein Merve-Bändchen gleichen Titels veröffentlicht, inklusive des
       zunächst unbeabsichtigten Rechtschreibfehlers.
       
       ## Ein Sehnsuchtsbild
       
       Betritt man die Ausstellung im Haus der Kunst am Englischen Garten in
       München, so sieht man zunächst eine wandfüllende Fototapete. Die Aufnahme
       zeigt den Kreuzberger Klub SO 36 nach einem Konzert im Jahre 1982: ein
       kahler Raum, zertrampelte Bierdosen auf dreckigem Boden, zwei Typen lehnen
       an einer Heizung, daneben nackte Wände. Ein Sehnsuchtsbild, vielleicht ein
       verklärendes. In jedem Fall ein Sinnbild für den Geist von Westberlin in
       dieser Zeit, für das Stadtbild: viel Grau, viel Fläche. Ein
       Abenteuerspielplatz der Künste.
       
       Man kann sich fragen: Warum die immer wiederkehrende Rückbesinnung auf
       diese Zeit? Warum erscheint sie heute als so epochal? Kunstwissenschaftler
       Leonhard Emmerling gibt im Katalog zu der Münchener Ausstellung eine
       Antwort: „In Deutschland gab es keine Subkultur mehr seit dem Ende der 80er
       Jahre“, erklärt er, nachdem er den radikalen Gestus der Kunst, die in der
       Tat mit dem Vorschlaghammer daherkam, schildert – und in der Nachwendezeit
       keinen solchen mehr vorfindet. Keine Subkultur mehr? Das scheint abwegig,
       wenn man an die Musikszenen in Hamburg oder Berlin in den Neunzigern denkt
       – und doch sagt es etwas aus darüber, wie radikal diese
       Frühachtziger-Generation noch heute wirkt.
       
       Es war die Zeit des Do-it-Yourself. Die Zeit der Rebellion durch Negation
       im Ästhetischen. Die Zeit, in der Nichtkönnen kein Argument für das
       Nichtmachen war. Der Joseph-Beuys-Gedanke des „Jeder ist ein Künstler“
       schwang mit, nicht immer im Positiven, man denke an die Künstlerfigur in
       Sven Regeners „Herr Lehmann“. Thomas Meinecke (Freiwillige Selbstkontrolle)
       sagt in einem Dokumentarfilm, der in der Ausstellung zu sehen ist, es sei
       die Chance für jeden gewesen, „sich zu Gehör zu bringen“. Auch und gerade
       für Dilettanten.
       
       ## Ist nicht mal gut mit 80er?
       
       Interessant ist, warum die schwere, physische, auch spezifisch deutsche
       Musik, die daraus entstand, eine Art Anti-Wagner, dermaßen nachhallt. Und
       auch, ob es gelingen kann, diese Subkultur, in der Spontaneität und der
       wuchtige Sound eine so große Rolle gespielt haben, ins Museum zu bringen.
       Und so langsam darf sich auch fragen: Ist nicht mal gut mit 80er?
       
       Berlin und Düsseldorf, mit Zweigstellen wie München oder Hamburg (von wo
       aus Alfred Hilsberg bis heute das ZickZack-Label betreibt) bilden als
       Zentren der damaligen Subkultur den Schwerpunkt der Schau im Haus der
       Kunst. An den Wänden hängen die Bilder der Neuen Wilden, Martin
       Kippenberger oder Markus Oehlen. Besonders spektakulär ist das sich über
       zwei Räume hinstreckende „1/10 Sekunde vor der Warschauer Brücke“ von Bernd
       Zimmer. Ein riesiges Gemälde, 28 Meter lang und drei Meter hoch; 1978 war
       es für einen einzigen Tag im SO 36 zu sehen. Die Berliner S-Bahn rauscht
       fast in Originalgröße an dem Betrachter vorbei, mit ihr die groben
       Pinselstriche, mit ihr das Kreuzberger Nachtleben. Toll ist das.
       
       Zentral aber sind sieben Stellwände zu sieben prägenden Bands der Zeit –
       neben den schon genannten sind dies Palais Schaumburg, Der Plan und, als
       einzige DDR-Band, Ornament und Verbrechen. Die umstürzlerische Kunst wird
       hier allerdings zu fade präsentiert: Stellwände, Bilder, Videos. An den
       Hörstationen, wo man die Songs der Bands auf Kopfhörern abspielen kann,
       sind ordentlich die LP-Cover aufgereiht.
       
       ## Wer DAF sagt, muss auch Kraftwerk sagen!
       
       Es fehlen einem die Widerstände, auf die diese Kunst damals traf und die
       sie evozierte. Der Ort, München, wo 1937 erstmals die NS-Ausstellung
       „Entartete Kunst“ zu sehen war (während zeitgleich im Haus der Kunst die
       NS-Propagandaschau „Große Deutsche Kunstausstellung“ stattfand), hätte
       schon zu mehr Mut und historischem Diskurs eingeladen: Was die Subkulturen
       der frühen Achtziger da betrieben, könnte man doch etwa als entartete Kunst
       zweiter Ordnung bezeichnen; nicht denkbar ohne die historischen
       Avantgarden, nicht denkbar ohne NS-Zeit, Adenauerzeit, 68 und RAF – und
       dazu da, die BRD zu erschüttern. Überhaupt, Mut: Vielleicht hätte man den
       ganzen Englischen Garten mal mit Neubauten-Sounds beschallen sollen.
       
       Auch musikhistorisch fehlt der Bezug zur Geschichte und zur Gegenwart: Die
       Ausstellung bildet nur diese wenigen Jahre ab, ohne die
       Entstehungsbedingungen, ohne das Davor und Danach zu berücksichtigen. Wer
       DAF sagt, muss auch Kraftwerk sagen. Man hätte sie vor 20 Jahren auch so
       ähnlich zeigen können, es hätte ähnlich ausgesehen – abgesehen von den
       iPads an den Hörstationen. Und dass es ein musikalisches Vorleben in
       Deutschland gab, das auch positiv, nicht nur als Abgrenzung, auf Punk und
       NDW abfärbte, bleibt unerwähnt.
       
       ## Wo sind die Frauen?
       
       Und wo sind eigentlich die Frauen? Gerade in der Berliner Szene hätte sich
       mindestens ein Exkurs zur Rolle der Frauen in Punk und NDW angeboten – und
       man hätte damit wiederum ans Heute anknüpfen können. Denn, [4][wie sagt
       Gudrun Gut] ([5][Malaria!]) in Jürgen Teipels einschlägigem Buch
       „Verschwende Deine Jugend“: „Dieses Business war überhaupt nicht weiblich.
       (…) Es war wichtig, sich zu Frauenbands zu verbünden. Da konntest Du ganz
       locker ausprobieren, ohne dass es diesen Geschlechterkampf gab. Eine Frau
       bringt einen ganz anderen Aspekt in die Musik rein. Wenn eine Frau da ist,
       dann ist die Band anders. Das gibt einen anderen Sound.“
       
       Die künstlerische Radikalität, auch die Spontaneität kommt in dieser Schau
       am ehesten visuell rüber. Musikalisch nähert man sich einer Band wie Die
       Tödliche Doris mit ihrer kruden Mischung aus Humor, Konzeptkunst und
       Experimentierfreude wohl besser, indem man zu Hause die Alben abspielt.
       „Unser Debut“ (1984) und „Sechs“ (1986) etwa sind kürzlich in einer
       Neuauflage erschienen – beide Alben ergeben, spielt man sie zusammen ab,
       eine dritte LP: „Die Unsichtbare“.
       
       Unsichtbar und ausgeblendet bleiben in der Münchener Schau verschiedene
       Sub-Szenen aus der Zeit des Punk und Postpunk. Im Titel klingt die
       Konzentration auf Berlin bereits an, dabei war das „Geräusche für die
       Achtziger“-Festival in der Hamburger Markthalle im Jahr 1979 schon der
       Wegbereiter dafür. Die dortige Szene bildet auch besser die Konflikte
       innerhalb der Szene ab – zwischen den proletarischen Punks und dem, was in
       deren Augen nur „Kunstkacke“ war. Punk als Klassenfrage. Der Streetpunk,
       auch die Bands, kommen in der historischen Betrachtung oft zu kurz, und sei
       es, weil die Protagonisten nichts mehr sagen können oder wollen.
       
       ## Krach und Industrial
       
       Zudem wären andere, aktuellere Perspektiven zwingend. Zum Beispiel, wie
       sich die veränderten Produktionsbedingungen der Musik sich zum Beuys’schen
       Diktum verhalten. Oder wie die nachfolgenden Subkulturen – die es durchaus
       gab – von den Frühachtzigern, im Positiven wie im Negativen, beeinflusst
       wurden. Schorsch Kamerun etwa sagt in dem ausstellungsbegleitenden Film,
       sie hätten mit den Goldenen Zitronen später alles wieder umdrehen müssen.
       Nix Krach und Industrial, bunte Hemden und Funpunk. Da wird es doch erst
       spannend!
       
       Eine Schau wie diese mag im Ausland besser funktionieren, wo sie, initiiert
       vom Goethe-Institut schon lief. Auch für Leute, die sich zum ersten Mal mit
       dieser Subkultur beschäftigen, mag sie einen Einblick geben. In dieser Form
       aber, als Nacherzählung, kann man – nach zahlreichen Büchern zum Thema –
       sagen: Es langt langsam.
       
       Gabi Delgado-López war im Astra in Friedrichshain am Ende komplett
       durchnässt. In jeder Liedpause schüttete er sich eine Pulle Wasser über den
       Kopf. Kaltes, klares Wasser. Die Songs von DAF blieben so minimalistisch
       wie gut, allerdings wurde bis auf einige behutsame Snare- oder
       Beckenschläge und Delgado-López’Stimme nichts live eingespielt. Es war ein
       bisschen so, als würden DAF DAF covern. Eine gute Stunde blieben die 80er
       und das alte Westberlin auf der Bühne im Astra. Dann traten zufriedene,
       faltige Gesichter und hochtoupierte Frisuren hinaus in eine andere Stadt.
       
       13 Jul 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.hausderkunst.de/ausstellungen/detail/geniale-dilletanten-subculture-in-germany-in-the-1980s/
 (DIR) [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Festival_Genialer_Dilletanten
 (DIR) [3] http://www.die-toedliche-doris.de/
 (DIR) [4] /!5082855/
 (DIR) [5] http://www.gudrungut.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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