# taz.de -- Flüchtlinge in Südosteuropa: Choreographie der Einschüchterung
       
       > Die Orban-Regierung lässt Flüchtlingsbusse Richtung Österreich
       > eskortieren. Die Passage gerät zur sorgfältig inszenierten
       > Machtdemonstration.
       
 (IMG) Bild: Ungarische Soldaten beim Bau des Grenzzauns zwischen Ungarn und Kroatien in der Nähe des Ortes Beremend.
       
       BEREMEND taz | Beremend. Die Bühne ist bereitet. Das Dekor steht, der
       Grenzzaun, dessen Pfeiler unter lautem Getöse in die Erde gebohrt werden.
       Die Protagonisten haben sich in Stellung gebracht: Dutzende Polizisten, die
       an der Schranke Position beziehen, und einige Mannschaftswagen voller
       Soldaten, die am Morgen per Gesetz zur Grenze abkommandiert wurden und dort
       auch Gummigeschosse gegen Migranten einsetzen dürfen.
       
       Das Publikum, Journalisten aus zahlreichen Ländern Europas, wartet schon
       seit Stunden hinter der „operationellen Zone“, zu der der Zutritt streng
       untersagt ist. Nur noch die Flüchtlinge fehlen, und man weiss nicht genau,
       welche Rolle sie in diesem Stück spielen. Hauptpersonen? Komparsen,
       wenngleich essentiell? Objekte?
       
       Rund 300 werden es an diesem Nachmittag sein. Wie lange dauert es, 300
       Menschen von sechs kroatischen Busse in sechs ungarische zu bringen?
       
       In Reihen werden sie langsam entlang der Schranke geleitet. Das Rote Kreuz
       ist mit Wasser und Essen zur Stelle, dann erfolgt eine Registrierung,
       Leibesvisitation auch bei den Kindern, und eine sorgfältige Inspektion
       aller Gepäckstücke. Der erste der dunkelblauen Polizeibusse erwartet sie,
       und gleich daneben stehen, wie ein besonderes Bühnen- Acessoire, die
       Humvees - drei beigebraune Gefechtsfahrzeuge. Ein Kampfhelm und der Lauf
       eines Maschinengewehrs ragen über die Plattform hinaus. Wen erwartet man
       hier?
       
       ## Polizisten mit Mundschutz
       
       Wuchtig knallt die Nachmittagssonne auf das Dach der Busse. Zwei stehen
       bereits in der Reihe, doch der Korridor durch Ungarn öffnet sich nur für
       Konvois. Nur die Einstiegstüren der Busse sind geöffnet, auf deren Stiegen
       zwei Polizisten mit Mundschutz stehen und lauthals plaudern. Die hinteren
       Türen bleiben geschlossen, stundenlang, während die Schiebefenster für
       etwas Luftzufuhr sorgen. Kein Laut dringt heraus, höchstens ab und an eine
       quengelnde Kinderstimme.
       
       Die Sonne steht tief über dem Stoppelfeld hinter der Grenze, und der
       Spätsommerabend in schrillem Kontrast zu dem, was in der „operationellen
       Zone“ geschieht. Den Soldaten auf den Humvees scheint langweilig zu werden
       - oder ist es Teil der Choreographie, dass sie von ihren Plattformen
       klettern und an den wartenden Bussen entlangschreiten? Wie eine
       Bürgerkriegs- Szene sieht das aus, die Gewehre, die wie zufällig auf den
       Flüchtlings- Bus zeigen.
       
       Lange nach Sonnenuntergang sind die sechs Busse abfahrbereit. Noch einmal
       marschieren Soldaten an ihnen vorbei, dann setzt sich das Polizeiauto an
       der Spitze mit Rot- und Blaulicht langsam in Bewegung.
       
       Mit jedem Meter scheint es zu sagen, dass der Flüchtlings- Transport nur so
       viel Raum bekommt, wie die Regierung, wie Ungarn ihm gewährt. Winkende
       Hände erscheinen hinter den Scheiben, als er endlich vom Grenzgelände
       rollt. Bevor der Vorhang fällt, rauschen die Humvees hinterher. Zurück
       bleibt Beklemmung.
       
       22 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Müller
       
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