# taz.de -- Salman Rushdie auf der Buchmesse: Tausendundeine schöne Seltsamkeit
       
       > Als gewichtige Stimme für Meinungsfreiheit tritt Salman Rushdie auf der
       > Frankfurter Buchmesse auf. Ein Blick in sein neustes Werk.
       
 (IMG) Bild: Salman Rushdie reichert seine Erzählungen mit Elementen aus der Märchenwelt an
       
       Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte – das ergibt zusammen
       tausendundeine Nacht. So lange währt die Zeit der Seltsamkeiten, von der
       Salman Rushdie erzählt. Tausendundeine Nacht benötigte bekanntlich auch die
       orientalische Märchentante Scheherazade, um ihre Geschichten an den Mann zu
       bringen.
       
       Doch während sie erzählen musste, um ihr Leben zu retten, bringt sich der
       Philosoph Ibn Ruschd bei Rushdie vor den sexuellen Gelüsten seiner
       überirdischen Frau in Sicherheit. Dunia ist eine Dschinnya, ein weiblicher
       Dschinn also; dahinter verbergen sich dämonenartige Fabelwesen und Geister
       des Orients, die in diesem Roman zu großer Form auflaufen.
       
       In seinem neuen Roman geht die Fantasie aufs Herrlichste mit Salman Rushdie
       durch. Dabei bekämpft er das Märchenhafte mit Science-Fiction, die
       Mythologie mit dem Katastrophenfilm, lässt die Popkultur fröhlich
       hochleben, greift auf Zeitgeschichte, Soziologie und Politik zurück und
       lässt alles in einen utopischen Roman münden. Ein allwissender Erzähler,
       der im Pluralis Majestatis redet, spricht aus der fernen Zukunft zu uns.
       
       Tausend Jahre später, als die Welt endlich zur Vernunft gekommen ist und
       mithin auch Religionen keine Rolle mehr spielen, berichtet er, wie sich
       alles zugetragen hat: „Wie sind wir vom Damals zum Heute gelangt?“
       
       ## Höheres und höchster Blödsinn
       
       Die religiösen Konflikte der Jetztzeit spiegeln sich in diesem umwerfenden
       Roman ebenso wie der Kampf der Kulturen. Die Terroranschläge des 11.
       Septembers vibrieren zwischen den Zeilen wie auch die Feldzüge der
       IS-Krieger. Voneinander getrennte Welten entstehen hier überall.
       
       Gut und Böse, Ost und West, Flaschengeist und die Büchse der Pandora,
       Wirklichkeit und Fiktion, wobei im Roman das Fiktive schon Realität
       geworden ist: Die Bürger einer französischen Stadt verwandeln sich
       tatsächlich in Nashörner, alte Iren ziehen wirklich in Mülltonnen um, und
       ein russischer Beamter verliert allen Ernstes seine Nase. Von dieser Art
       höherem und höchstem Blödsinn wimmelt das turbulente Buch. Und die
       lustvolle Übersetzung von Sigrid Ruschmeier folgt dem literarischen
       Overkill mit großem Gespür in all seine unterschiedlichen Tonlagen.
       
       Auch sein eigenes Leben spiegelt Rushdie in diesem Roman, der immer wieder
       auch nach Indien blickt, wo er 1947 geboren wurde. Es sind sehnsuchtsvolle
       Blicke, Kindheitserinnerungen, die auch mit dem märchenhaften Sujet
       zusammenhängen. Die Verwandtschaft des Autors zu seiner Figur Ibn Ruschd,
       der sich als Anti-Scheherazade mit seinen Geschichten in Gefahr bringt,
       liegt auf der Hand. An einigen Stellen betrachtet er sich als alt
       gewordener Mann mit all seinen Widersprüchen, Sehnsüchten und Irrfahrten,
       derweil der Erzähler immer wieder sarkastische Kommentare anbringt.
       
       Mit seinem zotigen Blick zurück aus ferner Zukunft beschert uns Salman
       Rushdie eine komische, verflixt intelligente und im Grunde genommen gar
       nicht auszudenkende Parabel auf den Zustand der Welt. Hinreißender wurde
       das Zeitalter der Vernunft selten beschworen.
       
       13 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Shirin Sojitrawalla
       
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