# taz.de -- Zentrum für Politische Schönheit: Späte Rache
       
       > Schwerer Hausfriedensbruch oder nur eine Kunstführung? Die
       > Bundestagspolizei knöpft sich das Zentrum vor. Das hat eine
       > Vorgeschichte.
       
 (IMG) Bild: Inzwischen sind die Kreuze längst zurück – der Ärger darum hält an.
       
       BERLIN taz | Es wäre vielleicht nur eine kleine Anekdote am Rande, wenn sie
       nicht diese beachtliche Vorgeschichte hätte: [1][Der Bundestag, die
       Mauerkreuze, die Kunstfreiheit - und der große Streit darum.] Und so wird
       aus einem kleinen Zwischenfall am Deutschen Bundestag ein neues Kapitel in
       einer der schönsten Kunsterzählungen der vergangenen Jahre: Die Hauspolizei
       des Bundestags hat nach Angaben des [2][Zentrums für Politische Schönheit]
       Strafanzeige gegen deren Leiter Philipp Ruch gestellt. Der Vorwurf:
       Schwerer Hausfriedensbruch.
       
       Schwerer Hausfriedensbruch? Was bedeutet das?
       
       Paragraf 124, Strafgesetzbuch: „Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich
       zusammenrottet und in der Absicht, Gewalttätigkeiten gegen Personen oder
       Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, in die Wohnung, in die
       Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in
       abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt sind,
       widerrechtlich eindringt, so wird jeder, welcher an diesen Handlungen
       teilnimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe
       bestraft.“
       
       Das muss ja ein gefährlicher Samstag gewesen sein.
       
       Dabei sollte am vergangenen Samstag doch programmgemäß eigentlich nur eine
       kleine Kunstführung stattfinden. So zumindest ist es [3][im Spielplan des
       Berliner Maxim Gorki Theaters] notiert - als „geführte Busfahrt“. Das
       Zentrum für Politische Schönheit, das in den vergangenen Jahren immer
       wieder mit großen Inszenierungen und provokanten Aktionen [4][für Furore
       gesorgt] hatte, hatte eingeladen, um mit Kunstinteressierten an die
       Schauplätze ihrer Aktionen zu fahren. Und ein Schauplatz war nun einmal der
       Deutsche Bundestag.
       
       ## Keine Anhaltspunkte für Diebstahl
       
       Dort hatte das Zentrum in einer viel beachteten Aktion Anfang November 2014
       zum 25. Jahrestag des Mauerfalls [5][die dort angebrachten Gedenkkreuze zur
       Erinnerung an die Mauertoten entwendet] – und anschließend neu
       kontextualisiert. Das Zentrum veröffentlichte Bilder, in denen Flüchtlinge
       vor Europas Außengrenzen weiße Gedenkkreuze hoch hielten. Ein klarer
       Aufschrei: „Blickt auf die nächsten Grenztoten der Geschichte!“
       
       Gelungen an der Aktion war nicht nur die Botschaft, sondern auch der
       dezente Hinweis darauf, wie fahrlässig der Deutsche Bundestag sein
       vermeintlich so wichtiges Denkmal gesichert hatte, wenn es möglich war, die
       Tafeln am hellen Tag einfach abzuschrauben und mitzunehmen. Es war eine
       kluge geschichts- und denkmalpolitische Intervention.
       
       Umso ärgerlicher für Bundestagspräsident Norbert Lammert: Zwar hatte die
       Staatsanwaltschaft seinerzeit Ermittlungen aufgenommen – allerdings auch
       wieder eingestellt. Weil die Künstler nie die Absicht gehabt hätten, die
       Kreuze dauerhaft zu behalten, lägen auch keine Anhaltspunkte für einen
       Diebstahl vor, hieß es. [6][Fazit: Denkmäler ausleihen erlaubt.]
       
       Kein Wunder also, dass das gedemütigte Bundestagspräsidium und die
       bundestagseigene Hauspolizei nicht sonderlich gut auf das Zentrum für
       Politische Schönheit und dessen [7][künstlerischen Leiter Philipp Ruch] zu
       sprechen sind. Als er am Samstagnachmittag mal wieder zum Bundestag kam,
       setzte die Polizei ihn fest – und mit ihm laut einer Teilnehmerin rund 30
       weitere Personen, die an der Kunstführung beteiligt waren.
       
       ## Eine besondere Führung
       
       Nach Angaben von Teilnehmern hielt die Polizei die Gruppe über zwei bis
       drei Stunden eingekesselt, hatte sie sogar eigens aus einem Bus gebeten, in
       dem die Teilnehmer zuvor gesessen haben sollen. Dann soll sie von allen die
       Personalien aufgenommen haben. Unter denen sorgte das für Verwunderung –
       sie hatten gedacht, sich lediglich einer Kunstführung angeschlossen zu
       haben. Anschließend soll gar die Intendantin des Gorki-Theaters, Shermin
       Langhoff, selbst am Bundestag erschienen sein, um die Lage zu entschärfen.
       Als dann anschließend noch der Bus der Gruppe ohne die TeilnehmerInnen
       abfuhr, weil es dem Busfahrer zu viel wurde, dämmerte den
       Kunstinteressierten: Es würde eine besondere Führung werden.
       
       Vorausgegangen war der Situation eine kurze Szene, in der Ruch sich einem
       Eingang des Bundestagsgebäudes genähert hatte – mit einer Nachbildung eines
       Gedenkkreuzes in der Hand, das er Bundestagspräsident Norbert Lammert
       überreichen wollte. Spätestens da war für die Hauspolizei Schluss mit
       lustig.
       
       Sie verwies auf die Bannmeile, die rund um den Deutschen Bundestag gilt und
       die bewirken soll, dass Parlamentarier sich im unmittelbarem Umfeld des
       Bundestages frei vom politischen Druck protestierender Menschen bewegen
       können. Das Zentrum wiederum wundert sich und fragt: Ja, können die denn
       eine Kunstführung nicht von einer Demo unterscheiden? Das
       Bundestagspräsidium wollte sich am Dienstag zunächst nicht inhaltlich zum
       Sachverhalt äußern.
       
       Schwerer Hausfriedensbruch zumindest, soviel steht geschrieben, kann mit
       einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft werden.
       Kunstinteressierte sind sich sicher: Wenn es diesmal endlich zu einem
       Prozess kommt, wird er gewiss interessant.
       
       25 Nov 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5029451/
 (DIR) [2] http://www.politicalbeauty.de/
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 (DIR) [4] /!5204106/
 (DIR) [5] /Aktionskuenstler-zum-Mauerfall/!5029584/
 (DIR) [6] /Kein-Prozess-um-entfuehrte-Mauerkreuze/!5011660/
 (DIR) [7] /!5217536/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
       
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