# taz.de -- „fremd“ im Völkerkundemuseum: Glotz sie an, nenn es Bildung
       
       > Die neue Direktorin des Leipziger Grassimuseums lädt Externe ein. Ihre
       > Interventionen sollen das Haus und ethnologische Traditionen
       > hinterfragen.
       
 (IMG) Bild: Jamal Cazaré versteckt hinter PVC-Folie Elfenbeinstoßzähne.
       
       Auf zwei fensterlosen Etagen reiht sich Vitrine an Vitrine; aus ihnen
       schauen Schaufensterpuppen in Kleidern aus dem Museumsdepot; in einer Ecke
       steht ein nachgebautes Tipi-Zelt. Die Eröffnung der ersten ethnologischen
       Museen um die Mitte des 19. Jahrhunderts verankerte die Unterscheidung
       zwischen „unserer Kultur“ und „fremden Kulturen“ institutionell – eine
       Unterscheidung, die nicht nur an der Dauerausstellung des Leipziger
       Grassimuseums für Völkerkunde noch immer zu beobachten ist.
       
       Bunte Farben sollen bei der Orientierung zwischen Asien, Europa und Afrika
       helfen. Lärmende Schulklassen lernen hier fremde Welten kennen, die
       untergliedert sind in Kapitel wie „Japanische Klischees“ oder „Das Leben in
       der Arktis“.
       
       Mittendrin liegt eine Vitrine wie umgefallen auf dem Fußboden. Eine andere
       ist leer, die nächste nicht beleuchtet. Auf einer steht mit großen
       Blockbuchstaben aus Buttermilch: „SKIN AS DARK AS THE SKY AND TEETH
       BRIGHTER THAN THE MOON AND HOW THEY JUMP LET`S PUT THEM ALL INTO A ZOO
       STARE AT THEM AND CALL IT EDUCATION“.
       
       Das Spiel mit dem Vitrinen-Display ist Teil der Sonderausstellung „fremd“,
       die in Kooperation mit der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
       entstanden ist. 27 Studierende befragten das Museum: Wo kommen die Objekte
       her? Wie werden sie vermittelt? Und: Was ist heute Aufgabe eines Museums
       für Völkerkunde? Fragen wie diese stellt sich die Fachwelt seit gut 25
       Jahren, kilometerlange Literatur ist dazu veröffentlicht wurden.
       
       ## Den Diskurs im Raum führen
       
       Auch Nanette Jacomijn Snoep will diesen Diskurs führen, aber nicht auf dem
       Papier, sondern im Raum. Seit einem Jahr leitet die 44-Jährige die
       Staatlichen Ethnographischen Sammlungen in Sachsen, zu denen neben dem
       Leipziger Haus auch Standorte in Dresden und Herrnhut zählen. In Paris war
       Snoep zuvor am Aufbau des Musée du Quai Branly, dem französischen
       Nationalmuseum für außereuropäische Kunst, beteiligt.
       
       In Leipzig startet mit „fremd“ nun die erste Ausstellung einer ganzen
       Reihe: Für „Grassi invites“ lädt sie Externe ein, sich mit dem Haus zu
       beschäftigen. „Eigentlich ist es Ziel eines Museums, Fremdheit abzubauen“,
       sagt Snoep. „Zugleich besteht jedoch das Risiko, dass man Dinge durch das
       Ausstellen weiter befremdet oder exotisiert.“
       
       Aus durchschnittlicher Besucherdistanz sind derzeit etwa die geschnitzten
       Elfenbeinstoßzähne der Benin-Sammlung nicht mehr zu erkennen – Jamal Cazaré
       verklebte sie mit schwarzer Plastikfolie. Nur wenige Schlitze geben die
       Sicht frei, wir Besucher müssen der Glasscheibe dafür ungewöhnlich nahe
       kommen. Inwieweit hat es voyeuristische Züge, Kulturgüter zu betrachten,
       die ihrem Kontext entrissen wurden.
       
       ## „Traumschiff“ und Billigbuddhas
       
       Clara Wieck stellt einen Buddha für 49,99 Euro in die Buddhismus-Vitrine –
       ein Unterschied zu den „echten“ Buddhas ist kaum auszumachen. Ein Video von
       Juliane Jaschnow zeigt Sequenzen aus der TV-Serie „Traumschiff“ –
       erschreckend, wie harmonisch sich die Szenen aus Malaysia und Namibia ins
       Museumssetting einfügen.
       
       Der Großteil der Interventionen innerhalb der Dauerausstellungen sowie die
       Videos und Installationen in zwei separaten Räumen thematisieren die
       Geschichte des Museums, seine Ausstellungspraxis, hinterfragen unsere
       Positionen als Besucher, aber auch die Macht der Kuratoren. Auf wunderbare
       Weise gelingt es Clara Pötsch und Maike Hautz, diese komplexen Fragen
       aufzuwerfen, ohne die Besucher im Diskurswust zu verlieren. Ihr Audiowalk
       legt gleich im ersten Track offen, was er im Vergleich zu herkömmlichen
       Audioguides nicht will: Er will nicht über Herkunft und Funktionsweise von
       gezeigten Objekten informieren, keine Wahrheiten über Realitäten vermitteln
       und nicht objektiv sein.
       
       Soundcollagen und im Chor gesprochene Texte thematisieren, was wie
       präsentiert wird und wie wir Betrachter dies aufnehmen – anonyme
       Besucherstimmen folgen auf Tolkien-Textauszüge zu Neuseeland und Zitate von
       Wikipedia oder der Plattform CouchSurfing. Dieser Audiowalk gehört erhalten
       – zumindest so lange, bis die Dauerausstellung neu gestaltet ist. Auch das
       steht auf der Agenda von Museumsdirektorin Snoep: „Ein Museum ist für mich
       ein Forum.“ Sie will im Haus eine Gesprächskultur etablieren, lädt schon
       jetzt einmal im Monat zu Gesprächen über den Islam.
       
       ## Kung Fu und Reggae
       
       Vermittlung soll auf Augenhöhe passieren, interaktiv über Musik und Games.
       Auch mittels populärer Ausstellungen will sie in Zukunft vor allem junge
       Leute ansprechen: „Themen sind etwa Kung Fu oder Reggae oder auch
       Body-Modification“ so Snoep. „Gerade in Sachsen sieht man viele gepiercte
       Leute, auch bei den Pegida-Demonstrationen. Die sind voll mit Tattoos aus
       Neuseeland und Hawaii.“
       
       Die nächste Sonderausstellung im Rahmen von „Grassi invites“ wird von
       Menschen realisiert, die in Sachsen Zuflucht gefunden haben – aktuell oder
       vor 25 Jahren. Dass Snoep mit ihren Plänen keine offenen Türen einrennt,
       ist ihr bewusst: „Bisher haben Museen Konflikte und Diskussionen gescheut.“
       Ausgerechnet die Ethnologie habe Themen wie Migration und Flucht lange
       ausgeblendet, denn bisher war das Fremde nicht vor Ort.
       
       Wie fremd den hauseigenen Mitarbeitern der eigene Kulturkreis ist, macht
       eine der Aufsichten deutlich, die die Autorin während ihres Rundgangs
       fragte, ob sie ihr einmal die englischen Sätze übersetzen könne, die seit
       Kurzem mit Buttermilch an den Vitrinen stehen – Stichwort: Education.
       
       16 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sarah Alberti
       
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