# taz.de -- Pro & Contra Varoufakis’ neue Bewegung: Kann Gianis Varoufakis Europa retten?
       
       > Der griechische Ex-Finanzminister präsentiert ein neues Bündnis für mehr
       > Demokratie. Kann er Europas Zerfall stoppen?
       
 (IMG) Bild: Warnt vor Nationalismus und neuen Mauern in Europa: Gianis Varoufakis am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung der neuen Protestbewegung „Democracy in Europe Movement 2025“
       
       Ja 
       
       Jetzt warnen sie wieder: Vor dem Mopedminister, dem Penthousepolitiker, dem
       Giergriechen Gianis Varoufakis. Das ist der Typ, der am Dienstag in Berlin
       eine europaweite Bewegung ausgerufen hat und dafür 12 Euro Eintritt
       verlangte. Es ist ein Kinderspiel, die Attacken gegen Varoufakis so zu
       untermalen. Es ist aber auch äußerst billig. Fakt ist: Varoufakis füllt mit
       seinem Vorstoß eine Leerstelle, die die europäische Sozialdemokratie
       hinterlassen hat. Dafür sollten wir ihm danken.
       
       Denn wenn es diesem Europa an einem mangelt, dann an einer linken – und das
       heißt konkret: an einer sozialen, humanistischen und demokratischen –
       Vision. Es sind doch in Wirklichkeit diese Linken, die inzwischen zum Kitt
       der europäischen Idee geworden sind. Sie betreiben in Griechenland die
       Volksapotheken und sie schmieren in deutschen Flüchtlingsheimen die
       Butterstullen für Geflohene. Sie sind es, die den europäischen Laden am
       Laufen halten. Aus einstigen Staatszersetzern sind längst die Staatenretter
       geworden.
       
       Eines aber fehlt diesen Helden des Alltags: eine große Erzählung, die ihnen
       gerecht wird. Und die bestehen kann gegen den Versuch von Europas
       Repräsentanten, den Kontinent wieder in Nationen aufzuteilen und die
       europäische Idee mit Mauern zu verteidigen. Varoufakis bietet diese
       Erzählung und eine Vision.
       
       Er setzt dabei auf eine banale Prämisse: dass sich die europäische Linke
       niemals gegen, sondern immer nur für Europa entscheiden darf. Wer
       Politikern wie Sigmar Gabriel, aber auch Sahra Wagenknecht oder Oskar
       Lafontaine zuhört, weiß, dass dies unter Europas Linken keineswegs
       selbstverständlich ist. Und so ist es gut, dass Varoufakis diesen, ja:
       großspurigen, Anlauf wagt.
       
       Es gab einmal einen europäischen Sozialdemokraten, der auch als Luftikus
       und Frauenschwarm verspottet wurde. Sein Name war Willy Brandt (“Mehr
       Demokratie wagen“). Brandt war Vorsitzender der SPD, Bundeskanzler und 16
       Jahre lang Präsident der Sozialistischen Internationale. Was ihn
       auszeichnete, war, dass er sich nicht versteckte. Nach ihm gab es unter
       Europas Sozialdemokraten keine großen Visionäre mehr, die die soziale Idee
       derart fordernd und internationalistisch voranführten. Vision, das ist ja
       nur noch ein Schimpfwort.
       
       Nun ist Gianis Varoufakis kein neuer Willy Brandt. Aber er proklamiert laut
       und fordernd eine Idee von Europa, die den Sozialdemokraten abhandenkam.
       Sein Mittel ist der große Auftritt – ja und? Jetzt mal unter uns: Auch und
       gerade Freunde des Eurovision Song Contest sollten doch Verständnis dafür
       haben, wenn für gute Ideen auch mit popkulturellen Mitteln gekämpft wird.
       Oder? Martin Kaul
       
       Nein 
       
       Das Beste, was über diesen griechischen Bürger zu sagen wäre, könnte dies
       sein: Er hat die europäische Öffentlichkeit ein knappes Jahr tüchtig in
       Atem gehalten. Manche sahen – und sehen immer noch – in ihm einen Helden,
       der den Moloch, die Krake namens EU mit dem Syriza-Wahlsieg in Griechenland
       2015 endlich revolutioniert. Oder wenigstens den revolutionierenden Prozess
       anstößt. Stattdessen hat der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (und
       mit ihm fast alle anderen EU-Mitgliedsstaaten) ihn an die alte marxistische
       Wahrheit erinnert: dass der Wohlstand eines Landes am Niveau der
       Produktivkraftentwicklung hängt – nicht am moralisierenden Wehen und Klagen
       seiner Eliten.
       
       Gianis Varoufakis war und ist der Traum aller Linken, die immer noch das
       ganz und gar Andere glauben erreichen zu können. Sie geben vor, die Welt
       verändern zu wollen, und scheitern doch, weil sie Solidarität sagen und
       Privilegierung in eigener Sache meinen.
       
       Denn: Hatte Syriza, hatte Varoufakis ein Programm, sein Land zu
       reformieren? Nein, der einzige Klingelton, der von diesem Mann in die
       europäische Agora hineinplärrte, war einer, der klang wie: „Subventioniert
       uns weiter wie bisher, sonst sind wir sauer!“
       
       Dass der einstige Finanzminister Griechenlands schließlich gehen musste,
       damit er seinem Land keinen weiteren Schaden antun konnte – etwa mit der
       womöglich realisierten Drohung, aus dem Euro auszuscheiden und sich dem
       Kreml zuzuwenden –, verstand sich für Linke, die in Athen noch ganz bei
       Trost sind, von selbst.
       
       Vor allem weil die realpolitisch orientierten Linken (Orthodoxe,
       Linksliberale, Dicke-Bretter-Bohrer, keine Operetten-Pseudo-Marlon-Brandos)
       begriffen hatten, dass ihnen ein Mann nichts nützt, der aus
       EU-Gremiensitzungen Seminare machen wollte – und Lehrstunden zu Leerstunden
       machte.
       
       Varoufakis will nun mit einem Manifest die EU-Wirklichkeit aus den Angeln
       heben. Ausgerechnet in der Volksbühne, dem Berliner Epizentrum des
       Caffe-latte-Halb-Bolschewismus. Ein Trauerspiel. Pop-Idole, die zu Wracks
       werden, sind besonders niederschmetternd.
       
       Das, was dieses Manifest sein soll, ist kein Aufbruch zu modernen Höhen,
       sondern eine Sektenhuberei, wie sie in der bundesdeutschen Geschichte der
       Linken wiederholt beklagt werden musste. Hinter diesen pseudopolitischen
       Gründerzeiten mag Ohnmacht stecken oder Größenwahn: Varoufakis jedenfalls
       wird es nicht sein, der weiter zocken darf.
       
       Das europäische „Haus“ ist aufgebaut worden von Politikern, die mehr
       konnten als Fensterreden: nicht von einem wie ihm. Jan Feddersen
       
       9 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
 (DIR) Jan Feddersen
       
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