# taz.de -- Göttinger Uni schmeißt Antisemitismus-Forscher raus: Beliebt und ausgebootet
       
       > Uni Göttingen will Vertrag mit renommiertem Experten für Antisemitismus
       > kündigen. Internationale Verbände kritisieren die Entscheidung.
       
 (IMG) Bild: Kein Interesse mehr an Antisemitismus-Forschung: Uni Göttingen.
       
       HAMBURG taz | Gestern gefeiert, heute gefeuert. Noch im Dezember wurde der
       Politik- und Soziologieprofessor Samuel Salzborn vom Stiftungsrat der
       Göttinger Georg-August-Universität ausgezeichnet – für seine
       Forschungsleistungen im Bereich „Demokratie, Rechtsextremismus und Kritik
       am Antisemitismus“.
       
       Keine sechs Monate später hat das Präsidium der Universität kein Interesse
       mehr an seinem Professor. Es lehnte eine Verlängerung von Salzborns 2017
       auslaufendem Vertrag jetzt ab. Der Fachschaftsrat der
       sozialwissenschaftlichen Fakultät, die studentische Vertretung, berichtet
       in einem offenen Brief von dem Konflikt: Der Fakultätsrat, bestehend aus
       Studierenden, Lehrpersonen und Angestellten, habe Ende des vorigen Jahres
       „einstimmig für den Verbleib Salzborns gestimmt“. Dagegen legte das
       Präsidium sein Veto ein.
       
       Die Gründe für dieses Veto sind unklar. Der Fachschaftsrat geht dabei „von
       einer politischen Motivation“ der Uni-Spitze aus. Denn alle fachlichen
       Gründe sprächen für eine Vertragsverlängerung. Salzborn aber schaltet sich
       regelmäßig in öffentliche Debatten ein. So kritisierte er
       Pegida-UnterstützerInnen und warf dem Zeitungsverleger Jakob Augstein
       antisemitische Äußerungen vor. „Politische WissenschaftlerInnen sind“, sagt
       ein Fachschaftsratsmitglied, „an Göttingens Universität unerwünscht.“
       
       Uni-Sprecher Romas Bielke wollte die Personalentscheidung nicht
       kommentieren. Auch Salzborn bestätigt zwar sein baldiges Ende als Professor
       in Göttingen, möchte sich aber nicht weiter dazu äußern. Der Fachschaftsrat
       befürchtet massive Probleme in der Abdeckung der Lehre, weil Salzborn für
       den in Deutschland einzigartigen Studiengang Sozialwissenschaft die
       „tragende Säule“ sei. Zudem befürchtet er, dass Salzborns Stelle ersatzlos
       gestrichen werde. Die Asta-Vorsitzende Vivien Bohm betont die große
       Beliebtheit des Professors: „Er bindet die Studierenden in sein
       Forschungsfeld erfolgreich ein.“
       
       Der erst 38-jährige Salzborn hat sich auch außerhalb der Göttinger
       Universität ein beachtliches Renommee erarbeitet. Seine Publikationen über
       Rechtsextremismus und Antisemitismus werden international gewürdigt.
       Günther Jikeli von der US-amerikanischen Indiana University betont,
       Salzborn habe Pionierarbeit geleistet und sei „einer der ganz wenigen
       Professoren weltweit, die sich dezidiert mit aktuellem Antisemitismus
       beschäftigen“. Auch das Jüdische Forum kritisiert die Entscheidung.
       Insgesamt unterschrieben mehrere Dutzend nationale und internationale
       Verbände und WissenschaftlerInnen den vom Fachschaftsrat initiierten
       offenen Brief.
       
       Uni-Sprecher Bielke tritt den Befürchtungen der Studierendenvertretung
       entgegen und betont: „Die Professorenstelle bleibt erhalten.“ Jedoch weist
       der Fachschaftsrat darauf hin, dass Salzborns Forschungsfelder besonders
       wichtig seien: „In Zeiten von brennenden Flüchtlingsunterkünften und dem
       NSU-Komplex halten wir die Entscheidung für ein verheerendes politisches
       Signal.“
       
       Salzborn hatte in den vergangenen Monaten das Konzept für eine an der
       Universität Göttingen angesiedelte wissenschaftliche Dokumentationsstelle
       „Demokratie- und Menschenfeindlichkeit“ für die niedersächsische
       Landesregierung entwickelt und war als deren Leiter im Gespräch. Sie soll
       die Arbeit des Verfassungsschutzes in den Blick nehmen und Transparenz
       schaffen. Damit sollte die Lehre aus dem Versagen der Verfassungsschützer
       während der NSU-Morde gezogen werden.
       
       Stattdessen soll der Betrieb der Dokumentationsstelle jetzt von der Staats-
       und Universitätsbibliothek (SUB) in Göttingen ohne Salzborn geleitet
       werden. Ein fertiges Konzept hat die Universität noch nicht vorgelegt. Mit
       Salzborns Weggang wird dieses Projekt sicher nicht schneller
       fertiggestellt.
       
       3 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) André Zuschlag
       
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