# taz.de -- Realistischer Sex in Pornografie: Realer als Analsex
       
       > Pornos prägen, was viele Menschen über Sex wissen und wie sie ihn haben.
       > Eine Reihe neuer Projekte versucht deshalb, Sex realistischer
       > darzustellen.
       
 (IMG) Bild: Ja. Jaaa – genau so: Szene aus dem Film „Schnick Schnack Schnuck“
       
       Gleich zu Beginn kommt der Sicherheitshinweis. „Wir haben kein Kondom
       benutzt, weil wir fluid-bonded sind“, sagt Danny. Lily kichert: „Was heißt
       das denn?“, und Danny führt aus: „Das heißt, wir sind
       flüssigkeitsverbunden. Ich komme manchmal in Lilys Arsch und das machen wir
       sonst mit niemand anderem.“ Nach [1][dem kurzen Einführungsvideo] geht das
       außergewöhnliche Sexvideo los. Zwei professionelle PornodarstellerInnen,
       die zum Drehzeitpunkt auch privat ein Paar waren, Danny Wylde und Lily
       Labeau, haben Sex, so wie sie ihn privat haben. Und weil Lily den ganzen
       Tag arbeiten war, ihre Muschi deshalb „außer Betrieb“ ist, haben sie
       Analsex.
       
       [2][Lily und Danny] sind eines der Paare auf „Make Love Not Porn“, einem
       Videoportal, das sich auf die Darstellung von „echtem Sex“ konzentriert
       hat. Gegründet hat es Cindy Gallop, eine Werbeberaterin, die die Seite
       immer wieder mit einer persönlichen Anekdote erklärt. „Ich date Männer in
       ihren Zwanzigern“, sagt Gallop [3][in einem Vortragsvideo]. „Und wenn ich
       das tue, wird mir immer wieder die Allgegenwart von Hardcore-Pornografie
       vor Augen geführt“. Eine ganze Generation wachse mit der Vorstellung auf,
       dass, was in Pornos gezeigt werde, echter Sex sei. „Regelmäßig muss ich den
       jungen Männer klarmachen: Nein, danke, ich möchte nicht, dass du auf meinem
       Gesicht kommst“, sagt Gallop.
       
       Haben Menschen, die ihr Wissen über Sex aus Pornos beziehen, so Sex wie in
       den Pornos? Und ist die Zahl solcher Menschen gestiegen, weil Pornos im
       Internet einfach zu finden sind? Cindy Gallop sagt: Ja. Und tatsächlich
       zeigen Studien, dass [4][Kinder bereits mit 12 Jahren Pornos schauen] und
       dass [5][Kinder, die viele Pornos schauen, früher Sex haben]. Weit
       verbreitet sind auch Praktiken und Rollenverteilungen aus Mainstreampornos:
       Einer Studie zufolge setzen 16- bis 18-jährige Männer oft ihre Partnerinnen
       unter Druck, [6][sich anal penetrieren zu lassen]. Sowohl Männer als auch
       Frauen dieser Altersgruppe meinen, [7][es sei ekliger für Männer, Oralsex
       an Frauen auszuüben als andersherum].
       
       Der Mainstream von Pornos ist zutiefst sexistisch, homophob, transphob und
       rassistisch – in ihm finden sich alle Formen gesellschaftlichen Hasses
       wieder, die durch den Sex noch überspitzt werden.
       
       Doch in Pornos findet sich auch der Platz für Fortschritt. Hier wird Sex
       beobachtbar. Jener Akt, den niemand durch Nachahmen, sondern nur durch
       Ausprobieren erlernen darf, weil er privat und tabu ist, jener Akt, den
       alle natürlich beherrschen sollen, der aber bei den meisten beim ersten Mal
       katastrophal ausgeht. Cindy Gallop und ihre Plattform sind Teil einer
       Bewegung von Aktivist*innen, Pornoproduzent*innen und -konsument*innen und
       Amateurfilmer*innen, die versuchen, diesen Raum auszunutzen.
       
       ## Schmerzen, Tränen und Würgreflexe
       
       Mehr als in anderen Filmen sind Fragen der Authentizität und Inszenierung
       in Pornos heiß umkämpft. Sie sollen „echten Sex“ zeigen, aber alle
       DarstellerInnen sind zur Normschönheit operiert, sind sogar im Bett perfekt
       geschminkt, sie haben immer Lust und es flutscht immer. Wer glaubt noch dem
       perfekt einstudierten Stöhnen beim vaginalen Sex in Pornos?
       
       Beim Versuch, den männlichen Konsumenten Authentizität vorzuspielen,
       verlangt die Industrie den Darstellerinnen immer extremere Praktiken ab.
       Schmerzen, Tränen und Würgreflexe können nicht simuliert werden, so die
       Argumentation. Wer mit zwei Schwänzen im Arsch weint, weint wirklich. Wer
       noch lacht, macht es wirklich gerne. „Analsex ist real, Muschis sind
       bullshit“, [8][fasste der Pornoproduzent John Stagliano das Prinzip einst
       süffisant zusammen].
       
       Die Suche nach Authentizität hat aber auch einen weiteren Trend
       hervorgebracht: den Aufstieg von Amateurpornografie. Mit dem Aufkommen
       billiger Filmtechnologien und kostenloser Videoseiten im Netz haben
       Sexvideos von Privatpersonen eine viel höhere Verbreitung erfahren.
       Schlechte Videoqualität, schlechte Beleuchtung, eine statische Kamera und
       weniger aufregender Sex suggerieren Echtheit.
       
       Auch dieser Trend ist von der Industrie übernommen worden, die die
       schlechte Qualität von Amateurvideos mit Profis im Studio nachdrehen. An
       diesen Trend knüpfen aber die Verfechter des neuen Realismus an. Und
       professionelle Filmemacher*innen sind gefragt, weil realer Sex in einer von
       der Pornoindustrie durchtränkten Welt nicht ausreicht: Die Filme müssen den
       Realismus inszenieren.
       
       „Allein dass ein echtes Paar sich beim echten Sex filmt, reicht nicht“,
       sagt Cindy Gallop. „Viele Amateure übernehmen die Ästhetik der
       Pornoindustrie, zeigen eine Abfolge sexueller Handlungen aus Sicht des
       Mannes.“ Echter Sex, sagt Gallop, sei peinlich, witzig, voller
       Körperflüssigkeiten und dreckig: „Es passieren viele komische Dinge, die in
       Pornos nicht vorkommen.“ Der Stuhl bricht nie weg, Sex während der Periode
       wird nie gezeigt, die Muschi macht nie Furzgeräusche, der Schwanz versagt
       nie. Die Videos auf „Make Love Not Porn“ sind deshalb kuratiert: Wer
       einfach nur zu Hause einen Porno nachdreht wird nicht zugelassen. Die
       Videos müssen real und realistisch zugleich sein.
       
       ## Sex ohne Regieanweisung
       
       Es entstehen auch Filme, die versuchen, authentischen Sex zu zeigen, ohne
       dabei in die Industrieästhetik zu verfallen. So etwa die [9][crowdgefundete
       Pornokomödie „Schnick Schnack Schnuck“], in der ein heterosexuelles Paar
       ein Wochenende getrennt verbringt und sehr viel Sex in unterschiedlichen
       Konstellationen hat. Die Story ist etwas holprig gescriptet, doch die
       Sexszenen sind „dokumentarisch“ gefilmt. Heißt: Die DarstellerInnen haben
       Sex ohne Regieanweisungen. Für die Kameraleute galt das nicht. „Wir haben
       darauf geachtet, dass die Kamera auch die Perspektive der Frauen einnimmt
       und die Körper der Männer zeigt“, sagt Regisseurin Brochhaus. Hinzu kommt:
       Im Film kommen keine Ejakulationen vor – ein Industrieporno ohne den „Money
       Shot“ ist dagegen kaum denkbar.
       
       Dokumentarisch [10][filmt auch Lucie Blush], die eigentlich anders heißt
       und in Berlin feministische Pornos dreht. Zu Beginn habe sie mit Paaren
       gearbeitet, sagt sie, doch die sähen beim Sex oft gelangweilt aus. Die
       Performance ist wichtig, Sex soll im Porno aussehen, als mache er Spaß.
       Deshalb castet sie inzwischen ihre Paare. Beim Filmen tritt sie aber in den
       Hintergrund und lässt ihre DarstellerInnen machen. „Mein Ziel ist es, den
       Sex authentisch wiederzugeben“, so Blush. „Wenn etwas umfällt, hören wir
       nicht auf.“
       
       „Pornos zeigen Frauen als passive Objekte und Männer als Rammelmaschinen“,
       sagt Blush. „Vielen Frauen fällt es deshalb schwer, nein zu sagen.“ Ihre
       Arbeit habe sie gelehrt, über Sex sprechen zu können, zu artikulieren, was
       ihr gefällt. Und so falle auch ihr auf, wie oft die Pornoindustrie mit im
       Bett ist. Zum Beispiel beim Analsex. „Männer sind solche Prinzessinnen“,
       lästert Blush. „Sie wollen dich ständig in den Arsch ficken, aber wenn du
       ihnen mal ans Arschloch fasst, zieren sie sich.“
       
       23 May 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://youtu.be/LsNu-ULNmmU
 (DIR) [2] http://makelovenotporn.tv/users/lilyanddanny
 (DIR) [3] http://youtu.be/FV8n_E_6Tpc
 (DIR) [4] http://www.nspcc.org.uk/fighting-for-childhood/news-opinion/sue-minto-we-cannot-shy-away-talking-about-porn/
 (DIR) [5] http://www.childrenscommissioner.gov.uk/news/we-call-urgent-action-protect-children-exposure-pornography
 (DIR) [6] http://bmjopen.bmj.com/content/4/8/e004996.full
 (DIR) [7] http://www.pacific.edu/About-Pacific/Newsroom/2016/April-2016/New-research-examines-how-young-people-talk-about-oral-sex.html
 (DIR) [8] http://www.theguardian.com/books/2001/mar/17/society.martinamis1
 (DIR) [9] http://schnick-schnack-schnuck.net/
 (DIR) [10] http://www.luciemakesporn.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lalon Sander
       
       ## TAGS
       
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