# taz.de -- Kochen mit Geflüchteten: 365 Tage Tee
       
       > Ein Mann aus der Sahara lädt in seinem Flüchtlingsheim alle zum Tee ein.
       > Während der Zeremonie erzählt er seine Geschichte.
       
 (IMG) Bild: Eine Viertelstunde gießt Fadili Adda Tee von einem Glas ins nächste. Erst danach darf der Tee getrunken werden
       
       BERLIN taz | Fadili Adda kocht Tee, damit die Menschen ihm zuhören. Im
       Krankenzimmer seiner Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Treptow hat er die
       Tische an die Wand geschoben, auf dem Boden liegen Teppiche zum Sitzen. Der
       Dampf des kochenden Wassers beschlägt das einzige Fenster. Hier empfängt er
       andere Flüchtlinge, Freunde und Betreuer und erzählt von seinem Volk, den
       Sahrauis, die seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern leben und auf ihre
       Rückkehr in die Westsahara hoffen.
       
       Wer von dem 34-Jährigen zu einem Glas Tee eingeladen wird, der muss sich
       seine Geschichte anhören. Wie ein König ohne Land sitzt er im Schneidersitz
       mit durchgestrecktem Rücken auf dem Fußboden. Seine Haut glänzt, vom
       Schweiß oder vom Wasserdampf. Er breitet die Arme weit zum Gruß aus und
       lächelt. Hinter ihm kann man durch das Fenster die S-Bahn-Schienen sehen.
       Dort fährt gerade ein Zug vorbei, dessen Rattern die Begrüßung „Salem!“
       fast übertönt.
       
       Eine große Schale mit Nüssen und Datteln steht auf dem Boden gleich neben
       dem Campingkocher, auf dem eine eiserne Teekanne steht. „Das gibt es bei
       uns traditionell zur Begrüßung, bevor wir Tee trinken“, sagt Adda. Er
       spricht Arabisch, ein anderer Flüchtling übersetzt für ihn.
       
       Adda gehört einem fast vergessenen Volk an. Westsahara? Stirnrunzeln.
       Ratlose Gesichter. So reagieren viele, wenn man sie nach dem von Marokko
       besetzten Land fragt. Rund vierzig Jahre ist es her, dass Marokko das
       Gebiet nach dem Abzug der spanischen Kolonialmacht zu einem großen Teil
       annektierte. Eine Mauer verschließt den Sahrauis, die oft in
       Flüchtlingslagern in Algerien leben, den Weg in ihre Heimat.
       
       „Ich habe seit meiner Geburt in einem Flüchtlingslager gelebt“, erzählt
       Adda, „überall sind Minen im Sand vergraben, täglich laufen Tiere oder
       Menschen darauf.“ Dann holt er das Handy aus einer Tasche seiner Jeans, die
       er unter dem Gewand trägt. Er zeigt Fotos. Ein Freund ohne Arm, eine
       Bekannte, die ihren Fuß verloren hat. Nichts regt sich in seinem Gesicht.
       
       ## In den Gläsern steht Schaum
       
       Er packt das Handy wieder weg, denn es wird Zeit für den Tee. Adda streift
       die weiten Ärmel nach hinten. Er hat zwei Kannen, die er abwechselnd auf
       den Campingkocher stellt. Die eine füllt er mit Wasser und einem Bündel
       frischer Minze. In der anderen Kanne bereitet er grünen Tee zu. Der ersten
       Aufguss sieht wie aufgewühltes, schlammiges Wasser aus. Er befreit die
       Blätter von Staub und lässt sie leicht aufquellen. Adda gießt ihn in die
       Toilette im Zimmer nebenan. Den nächsten Aufguss – dieser hat nun ein
       zartes Olivgrün – süßt er mit fünf Teelöffeln Zucker.
       
       Vor Adda steht ein silbernes Tablett mit sechs Gläsern. Er hat das Set von
       einem Kulturverein geschenkt bekommen. Adda gießt nun in das erste Glas
       etwas Minztee und etwas grünen Tee. Dann nimmt er das Glas und gießt den
       Inhalt aus großer Höhe ins nächste. Ein paar Tropfen fallen aufs Tablett,
       erzeugen ein leises Trommeln. Wieder nimmt er das Glas und gießt den Tee
       ins nächste, bis er alle sechs durch hat.
       
       In den Gläsern steht nun etwas Schaum. Adda gibt alles zurück in die Kanne
       mit dem grünen Tee. Dann beginnt er von neuem, der Schaum ist bald so hoch
       wie das halbe Glas. Er ist nicht fest wie auf einem Cappuccino, vielmehr
       bildet er Bläschen, so als würde man mit einem Strohhalm Luft in Limonade
       pusten.
       
       Das Ganze dauert etwa eine Viertelstunde. Irgendwann ist man ordentlich
       verwirrt. Adda konzentriert sich, sein Mund ist leicht geöffnet. Er kostet.
       „Noch nicht süß genug“, sagt er, greift nach der Dose und gibt noch einen
       Teelöffel Zucker in die Kanne mit dem grünen Tee. Dann wiederholt er sein
       Spiel. Man möchte endlich auch mal kosten. Doch Adda will noch mehr von
       seinem Zuhause erzählen.
       
       In seinem früheren Leben war er Soldat und bewachte die Grenze – so wie
       sein Vater. Doch Adda wollte nicht wie dieser von einem Panzer getötet
       werden. Deshalb desertierte er. „Mit einem Lkw bin ich nach Libyen
       gekommen.“ Von dort ging es über das Meer nach Italien, bis er schließlich
       Deutschland erreichte. Seit rund einem Jahr ist er nun hier. Derzeit lernt
       er Deutsch. Doch drei Tage in der Woche sind ihm zu wenig. Er will mehr
       lernen, er will weiterkommen, er will hier raus. Adda hat klare Vorstellung
       von seinem künftigen Leben: „Ich möchte in der Gastronomie arbeiten.“ Und
       er will aufklären, über sein Land, die Grenzmauer, den Sand und die Minen.
       
       Auf einem Tisch liegen Zeitschriften und ausgedruckte Artikel, in denen es
       um den Westsahara-Konflikt geht. Solche Zettel drückt er auch gerne einmal
       einem anderen Flüchtling in die Hand, der dann verdutzt schaut. Adda hat
       außerdem fünf Flaggen im Raum aufgestellt. „Sahara Libre“, sagt er. Schwarz
       für den Tod, Weiß für den Frieden, Grün für das Leben, in der Mitte prangt
       ein roter Halbmond. Es sind die Farben und Symbole der Demokratischen
       Arabischen Republik Sahara, die von der Mehrzahl der Staaten auf der Welt
       völkerrechtlich nicht anerkannt wird. Damit sich das ändert, wird Adda
       weiterkämpfen, nicht mehr mit dem Gewehr, aber mit Worten und nicht zuletzt
       – mit Tee.
       
       ## Bitter und süß
       
       Und dann ist es so weit. Adda verteilt die gefüllten Gläser. Über dem Tee
       steht nun eine hohe Schaumschicht bis hoch zum Rand. Er schmeckt leicht
       bitter und sehr, sehr süß. Wärme breitet sich im Körper aus und der Zucker
       findet seinen Weg schnell ins Blut.
       
       Das Teekochen hat Adda schon als Kind gelernt. Die maghrebinische Teekultur
       ist in der Westsahara weit verbreitet. „Wir trinken dort den ganzen Tag
       Tee“, sagt Adda, „was sollen wir auch anderes tun?“ Arbeit gibt es nicht.
       Die Frauen, Männer und Kinder sind von Hilfsorganisationen abhängig.
       
       Adda sehnt sich nach seiner Familie, den zwei Brüdern und der Schwester.
       Sie leben in einem Zelt, haben keinen Strom. „Wenn sie Internet benutzen
       wollen, müssen sie kilometerweit laufen“, sagt er. Daher höre er nur selten
       etwas von ihnen. Aber er wisse, dass seine Mutter glücklich sei. „Weil ich
       in Sicherheit bin und nicht sterben muss“, sagt er.
       
       4 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maria Gerhard
       
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