# taz.de -- Völkische Siedler in MV: Schöne Gegend mit braunen Flecken
       
       > Südlich von Rostock haben sich Menschen angesiedelt, die sich einem
       > völkischen Deutschsein verschrieben haben. Aber es gibt Protest.
       
 (IMG) Bild: Ungenutzt: das Bahnhofsgebäude von Lalendorf bei Güstrow
       
       GÜSTROW/LALENDORF taz | Man muss genau hinsehen. Irgendwo da hinten, im
       Garten hinter dem sorgfältig instandgesetzten Bauernhaus, steht Petra
       Müller und macht Wäsche. Zwischen Sonnenblumen und Gemüsegarten steht sie
       vor einem metallenen Waschzuber, knetet, schrubbt. Ein Idyll, könnte man
       meinen, mitten in der schönen, hügeligen Landschaft der Mecklenburgischen
       Schweiz, eine hübsche Ortschaft unterhalb von Rostock. Hässlich nur, dass
       eine Fahne im letzten Winkel des Gartens weht, die gelb-blaue Flagge
       Oberschlesiens.
       
       Ein Zeichen. Oberschlesien, das war, im Bewusstsein von Rechten, mal ganz
       und gar deutsch. Nicht polnisch, wie heute. Anders gesagt: Wer bekennt sich
       so völkisch, so rechts?
       
       Mit der Presse rede sie nicht, erklärt die hochschwangere Petra Müller. Sie
       steht am Hoftor, über ihrem Bauch wölbt sich ein weites dunkelblaues
       Hemdchen mit weißen Blumen, dazu trägt sie einen wadenlangen Rock und eine
       Bernsteinkette. Die von der Presse seien ohnehin „Wortverdreher“, sagt sie.
       Hinter ihr hüpft ein kleines blondes Mädchen in einem knöchellangen blauen
       Kleid Richtung Haustür. Kinder gibt es viele auf diesem Hof – Petra Müller
       wird bald zum achten Mal Mutter.
       
       Man muss eben genau hinsehen. Denn Petra Müller, Mitte 40, brauner
       Pferdeschwanz, leise Stimme, ist keine harmlose Frau. Recherchen der
       Journalistin Andrea Röpke zufolge hat sie im Jahr 2006 den Ring Nationaler
       Frauen mitgegründet, die Frauenorganisation der NPD. Sie soll zudem in der
       „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer
       Lebensgestaltung“ aktiv sein, einer Plattform für Rechtsextreme und
       völkische Siedler_innen. Diese lassen sich auf dem Land in gering bewohnten
       Gegenden nieder, bauen alte Höfe wieder auf.
       
       ## Weltoffene Flecken gibt es hier auch nicht selten
       
       Siedelei in der Provinz, die betreiben nicht nur Völkische. Es gibt auch
       andere – solche wie die Menschen auf dem Rothener Hof, knapp 30 Kilometer
       südlich von Güstrow im Landkreis Rostock. Auch hier wird Kunst und Handwerk
       gepflegt, aber auch eine weltoffene Diskussionskultur. Von solchen Leuten
       kann es eigentlich nicht genug geben. Aber alternativ gesinnte Großstädter
       ziehen eher selten her. Rechte Siedler_innen gibt es hingegen in
       Mecklenburg-Vorpommern viele, der Amadeu Antonio Stiftung zufolge eine
       vierstellige Zahl, unter ihnen die Müllers.
       
       Von ihrem Hof aus fährt man nur wenige Minuten in den Ortskern von
       Lalendorf. 3.300 Einwohner klein ist die Gemeinde, vor ein paar Wochen
       grünten hier saftige Felder und Wiesen, jetzt führt der Weg vorbei an
       abgeernteten braunen Äckern und Feldern mit welkenden Sonnenblumen. An den
       Straßenlaternen prangen im Wechsel Wahlplakate von AfD und NPD. Das Bild
       entspricht beinahe zu gut dem Klischee von Mecklenburg-Vorpommern:
       sterbende Dörfer, zu viel Braun, zu viel Landschaft für zu wenig Menschen.
       
       Einer, den diese Umstände seit Jahren plagen, ist Reinhard Knaack. Der
       Rentner und ehrenamtliche Bürgermeister von Lalendorf sitzt an einem runden
       Tisch in der Ortsverwaltung. Eigentlich reiche es ihm so langsam mit dem
       Medienrummel, sagt dieser Mann der Linken brummig und schiebt die Hände in
       die Taschen seiner schwarzen Lederweste.
       
       Alles begann im Jahr 2010. Damals hatte Petra Müller für ihr siebtes Kind
       die Ehrenpatenschaft des Bundespräsidenten beantragt. Und sollte sie auch
       erhalten. Knaack aber weigerte sich, die Urkunde zu überreichen, kannte er
       doch die rechtsextreme Einstellung der Eltern. Danach wurde in rechten
       Internetforen gegen ihn gehetzt – „Knaack muss weg“. Zehn Vermummte
       marschierten sogar in seinem Vorgarten auf. Knaack erstattete Anzeige wegen
       Hausfriedensbruchs, doch bis heute wurde niemand belangt. „Mein Vertrauen
       in die Justiz habe ich verloren , sagt Knaack frustriert. Seinen Humor hat
       er sich bewahrt. „Ich hab schon gefragt, ob die jetzt bei jedem Kind eine
       Urkunde bekommen soll“, sagt er und lacht trocken.
       
       Auf den ersten Blick wirken diese Siedler_innen wie hilfsbereite Nachbarn
       mit vielen Kindern und Öko-Touch. Hinter ihnen stecke die Idee einer
       deutschen „Volksgemeinschaft“, schreibt die Amadeu Antonio Stiftung. „Das
       muss man beobachten“, sagt Knaack.
       
       Bei einer Bürgerversammlung zum Thema Flüchtlinge etwa hätten „bestimmte
       Personen“ versucht, „dazwischenzuquaken“. Mindestens ein Siedler sei unter
       denen gewesen, die die Flüchtlinge als Kriminelle oder Vergewaltiger
       bezeichneten. Widerspruch gegen solche giftigen Sprüche gab es allerdings
       auch. Knaack sagt, nur einmal habe er dazwischengehen müssen. „Da hab ich
       gesagt: Respekt. So wie sie Respekt erwarten, fordere ich auch Respekt. Und
       dann war auch gleich Ruhe.“
       
       Ilja Gräser ist das mit der Ruhe ganz recht. Er wirkt lieber im Privaten.
       Der Steinmetz steht am Tor seiner Werkstatt, hinter ihm erstrecken sich
       Reihen naturfarbener Grabsteine. An seinem Hals trägt Gräser ein Lederband
       mit einem braunen Anhänger. „Das ist ein Thorshammer“, sagt er, „eine
       Verbindung zu meinen Vorfahren.“ Mit viel Disziplin und harter Arbeit
       hätten „unsere Väter“ alles aufgebaut, deshalb sei es auch für „uns“ und
       nicht für „andere“. Er sei stolz, Deutscher zu sein, doch dafür werde man
       gleich als rechts abgestempelt. „Nur weil es das Dritte Reich gab und dort
       ein paar Sachen nicht so toll liefen“, murmelt er. Dann wird seine Stimme
       hart: Die „Anderen“, das seien diese kriminellen Ausländerclans, die ganze
       Städte beherrschten. Die müssten sofort raus.
       
       ## Die Villa Kunterbündnis – Leuchtturm in Güstrow
       
       Früher war Gräser Mitglied der NPD in Berlin-Pankow, aber „das mit dem
       Parlamentarismus ist nichts für mich“. Er sei aufs Land gezogen, „um hier
       etwas aufzubauen“. Zwei seiner Kinder kommen angelaufen. Der Junge hat sich
       den Schutzhelm seines Vaters aufgesetzt und schmiegt sich an sein
       Hosenbein. Neben ihm spielt seine Schwester mit Kieselsteinen.
       
       Um Kinder wie sie haben sich Leute wie Ralf Boldt und Karen Larisch viele
       Gedanken gemacht. Boldt ist Leiter der Freien Schule in Güstrow. Er sitzt
       auf einer Eckbank in der „Villa Kunterbündnis“, einem von Larisch
       geleiteten Begegnungszentrum. Mitten am Güstrower Marktplatz liegt die
       Villa, im obersten Stock des imposanten, 1896 errichteten Postgebäudes.
       
       Am Nachmittag ist in der Kreisstadt viel los. Jetzt am frühen Abend sind
       noch die letzten Besucher eines Familienfests auf dem Marktplatz unterwegs,
       Familien, Kinder mit geschminkten Gesichtern. Drinnen in der Villa
       Kunterbündnis ist es ruhig. Dass das nicht immer so ist, lassen die
       knallbunt gemalten Bilder und Basteleien an den Wänden erahnen, von der
       Decke hängen Girlanden, an der Wand stehen Tische und Stühle.
       
       Momentan gebe es zwei Kinder aus Siedlerfamilien an seiner Schule, sagt
       Boldt, ein eher gemütlicher Typ. Die Siedlerfamilien bevorzugen Freie
       Schulen, weil ihre Kinder dort weniger unter staatlicher Kontrolle stehen.
       Es sei freilich nicht immer leicht, herauszufinden, wer dazugehört. An der
       altertümlichen Kleidung allein sei das jedenfalls nicht festzumachen. Karen
       Larisch nickt, steht auf, zeigt an sich herunter – auch sie trägt weite,
       schwarze Flatterhosen und ein rotes Stoffhemd mit Trompetenärmeln und
       Spitzenbordüre, ihre Haare hochgesteckt.
       
       Der Schulleiter und die Frau vom Kunterbündnis, Lokalpolitikerin der Linken
       obendrein, sind ein gegensätzliches Paar: Er überlegt seine Sätze
       bedächtig, sie redet quirlig, mit lauter Stimme und breitem, nordischem
       Akzent.
       
       Beide sind strikt dagegen, die Kinder der Völkischen auszuschließen. „Wir
       können ihnen bloß demokratische Prinzipien vorleben, ihnen die Möglichkeit
       geben, zu offenen Weltbürgern zu werden“, sagt Boldt. Er hat an seiner
       Schule einen Demokratieparagrafen eingeführt, der Diskriminierungen
       aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder Religion ausschließt. Larisch
       berichtet, dass die Siedlerkinder oft als sehr diszipliniert wahrgenommen
       würden. Auffällig würden die Kinder und Jugendlichen nur, wenn sie
       anfingen, das Weltbild ihrer Eltern zu hinterfragen. „Aussteigen ist
       unheimlich schwierig. Da muss man mit dem ganzen Leben brechen“, sagt
       Larisch und haut mit der Handkante auf den Tisch.
       
       Die beiden Güstrower sprechen sehr deutlich an, was Sache ist: „Die NPD,
       die Kameradschaften und die Siedler sind eng miteinander vernetzt“, sagt
       Boldt. „Wir haben weniger Nazis hier als gute Bürger“, beteuert Larisch und
       hebt lachend den Zeigefinger. „Aber es gibt mir zu viele, die schweigen.“
       
       30 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dinah Riese
 (DIR) Zoe Sona
       
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