# taz.de -- Kardinal Marx zum C in der CDU: „Religion kann kein Kriterium sein“
       
       > Die bayrische CSU will vor allem christliche Flüchtlinge aufnehmen.
       > Kardinal Reinhard Marx über Werte, Hilfe für Notleidende und Populismus.
       
 (IMG) Bild: Wie christlich ist die Union, speziell die CSU – vor allem, wenn es um Flüchtlinge geht?
       
       taz: Kardinal Marx, wenn Sie in Bayern eine Partei mit einem C im Namen
       wählen wollen, dann bleibt Ihnen nur die CSU. Müssen Sie dann in der
       Wahlkabine ziemlich seufzen? 
       
       Reinhard Marx: Christen gibt es in allen Parteien. Wie ich wähle und welche
       Gefühle ich dabei habe, werde ich der taz nicht mitteilen.
       
       Aber das C ist natürlich eine Verpflichtung. 
       
       Absolut. Man kann sich dieses anspruchsvolle Adjektiv wählen, aber was
       Christentum ist, das bestimmt nicht eine Partei. Das Christliche – darüber
       kann noch nicht einmal die Deutsche Bischofskonferenz eine letzte
       Entscheidung fällen – steht im Evangelium. Und da haben wir mit Jesus
       Christus eine Person, die uns wichtige Hinweise gegeben hat, denen wir
       nicht ausweichen können.
       
       Nun sind Sie auch Erzbischof in Bayern, in München. Wie finden Sie denn die
       Flüchtlingspolitik der Christlich-Sozialen Union? 
       
       Es gibt ja eine gemeinsame Flüchtlingspolitik dieser Bundesregierung, der
       alle zugestimmt haben.
       
       Theoretisch ja. 
       
       Theoretisch ja.
       
       Der Generalsekretär der CSU, Andreas Scheuer, hat nun gesagt: „Das
       Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über
       drei Jahre da ist – weil den wirst du nie wieder abschieben.“ Das ist
       Zynismus. 
       
       Dazu ist alles gesagt. Mir ist wichtig, dass wir in politischen Debatten
       sachlich und differenziert diskutieren. Verschärfung hilft nicht, drum
       herumreden aber auch nicht. Wir brauchen eine problemorientierte
       Diskussion, die den Menschen in den Vordergrund stellt und sich an denen
       orientiert, die in Not sind. Dabei kommt es auch auf die Tonlage an.
       
       Ja, was ist das für ein Ton? 
       
       Oft höre ich leider heraus, dass der Fremde, der in Not ist, als Bedrohung
       dargestellt wird, die man schnell loswerden will. Das ist keine christliche
       Position.
       
       Sondern? 
       
       Da muss doch auch immer Mitgefühl spürbar sein. Ich erwarte und werbe, dass
       einige rote Linien nicht überschritten werden: Jeder Flüchtling, der an die
       Grenze kommt, muss menschenwürdig behandelt werden, erhält ein faires
       Verfahren und wird nicht zurückgeschickt, wenn Krieg und Verfolgung drohen.
       Und vor allem müssen wir finanziell und politisch helfen, dass Menschen in
       ihrer Heimat bleiben können.
       
       Ihr Amtsbruder Kardinal Woelki in Köln hat sich jetzt so geäußert: Mit
       ihren Forderungen trage die CSU zur Polarisierung der Debatte bei und
       betreibe damit am Ende das Geschäft der Rechtspopulisten von der AfD. Hat
       er Recht? 
       
       Ich glaube, es ist jetzt wirklich dringlich, für eine Mäßigung in der
       Debatte zu sorgen. Einfache Antworten gibt es nicht. Wir sollten niemals
       vergessen, dass wir über das Schicksal von Menschen sprechen. Ich möchte
       ganz bestimmt nicht, dass bei uns populistische Kräfte die Politik
       mitbestimmen, auch wenn sie nicht an der Regierung sind wie in Frankreich.
       
       Ist das in Deutschland auch schon so? 
       
       Das ist zumindest eine Gefahr.
       
       In einer Beschlussvorlage für die Parteivorstandsklausur der CSU wurde
       kürzlich ein „Vorrang für Zuwanderer aus unserem christlich-abendländischen
       Kulturkreis“ gefordert. 
       
       Ich finde das sehr fragwürdig. Fakt ist: Wir haben doch schon seit
       Jahrzehnten Millionen von Muslimen in Deutschland. Die haben wir hierher
       gebeten, um unseren Wohlstand zu mehren. Denen kann man jetzt nicht
       signalisieren: Eigentlich gehört ihr hier gar nicht hin.
       
       Klingt nicht sehr christlich.
       
       Wir haben gegenwärtig eine Flüchtlingssituation, wo Menschen fliehen aus
       Angst um ihr Leben. Die christliche Nächstenliebe wendet sich vorbehaltlos
       jedem zu, der in Not ist. Allerdings muss man auch immer fragen, wie man in
       welcher Situation nachhaltig helfen kann und muss. Die
       Religionszugehörigkeit kann aus meiner Sicht aber kein Kriterium sein.
       
       Viele Menschen wollen nicht mit Flüchtlingen leben. 
       
       Ich mache da auch ganz andere Erfahrungen, vor Ort sind die
       Hilfsbereitschaft und das Miteinander gerade auch in den Pfarrgemeinden
       beeindruckend! Mit Extremisten aller Seiten kriegen Sie dagegen leider
       keine Begegnung hin. Das ist nicht immer einfach, aber das gilt auch für
       das Zusammenleben der Deutschen. Und noch eine Beobachtung: Da wo Menschen
       verschiedener Religionen und Kulturen zusammenleben, ist die
       Fremdenfeindlichkeit nicht so hoch wie in anderen Gebieten. Kennenlernen
       und Begegnung hilft, davon bin ich überzeugt.
       
       Dennoch fordert die CSU ganz offiziell für Flüchtlinge eine Obergrenze. 
       
       Wir sind dagegen, denn die rechtlichen Grenzen werden nicht durch eine
       fiktive Zahl festgelegt, sondern durch unser Asylrecht und die Genfer
       Flüchtlingskonvention. Daran sind wir gebunden.
       
       Die Bundeskanzlerin beruft sich in ihrer Flüchtlingspolitik auch auf ihr
       christliches Gewissen. Haben Sie den Eindruck, das ist ihr ernst in diesem
       Fall? 
       
       Ja.
       
       Kann es sein, dass sie über die Flüchtlingspolitik stürzt? 
       
       Darüber mag ich nicht spekulieren. Die beiden Kirchen haben die
       Entscheidung der Kanzlerin vom September 2015 begrüßt.
       
       Was bedeutet das konkret? 
       
       Wir leisten unseren Beitrag in der Unterbringung, Betreuung und der
       Integration der Flüchtlinge. Dafür wenden wir auch Geld auf. Das ist eine
       christliche Verpflichtung. Wir müssen auch helfen, damit Menschen nicht
       fliehen müssen. Wir können nicht eine Million Menschen pro Jahr aufnehmen.
       Aber gerade deshalb müssen wir uns finanziell und politisch noch mehr
       einsetzen bei der Bekämpfung der Fluchtursachen. Das ist eine
       Herausforderung, an der alle – Politik, Wirtschaft, Kirchen und
       Gesellschaft – zusammenarbeiten müssen.
       
       Aber bei Geld hört bei den meisten die Freundschaft auf. 
       
       Nein, da fängt sie an. Ja, wann denn sonst?!
       
       Laut Umfragen unterstützt etwa ein Viertel der Gesellschaft die Forderung
       der Berliner AfD-Landesvorsitzenden nach einem Schießbefehl gegen
       Flüchtlinge an deutschen Grenzen. Woher kommt diese Herzlosigkeit in der
       deutschen Gesellschaft? 
       
       Ich bin bei solchen Umfragen skeptisch. Trotzdem müssen sie uns
       nachdenklich machen. Extreme Haltungen nehmen offenbar zu in unserem Land.
       Ich glaube, dass die Zivilisationsdecke nicht sehr dick ist. So als könnten
       wir nie wieder zurückfallen in die Barbarei.
       
       Ähnlich ist es heute. 
       
       Manchmal habe ich Albträume: Vielleicht ist die freie Gesellschaft nur eine
       Episode. Und autoritäres Denken macht sich wieder breit. Darauf müssen wir
       eine Antwort geben, zum Beispiel in unseren Schulen, um diesen Auswüchsen
       schon früh zu begegnen. Wir haben eine bleibende Aufgabe – auch als Kirche
       – das Wachsen der radikalen Ränder zu verhindern.
       
       Überall in Europa nimmt der Rechtspopulismus zu. Was könnte die Antwort
       darauf sein? 
       
       Die Frage ist doch: Was hält uns in einer freien Gesellschaft zusammen? Als
       ob es reicht, dass alle ihr Geld verdienen und wir ab und zu die
       Fußballweltmeisterschaft gewinnen. In eine solche Lücke stoßen die
       Populisten hinein, wenn die äußeren Umstände des Lebens prekärer,
       unübersichtlicher, komplexer, bedrohlicher werden.
       
       Wie spielt da die Flüchtlingsfrage rein? 
       
       Am Umgang mit Flüchtlingen zeigt sich, welchen Werten wir folgen. Haben wir
       nur noch den ökonomischen Wohlstand und seine Verteidigung im Blick? Da
       muss mehr kommen, Europa hat doch mehr zu sagen!
       
       Welche Rolle spielt da der Kapitalismus – die Entwurzelung durch den
       globalisierten Kapitalismus? 
       
       Natürlich hat das auch eine Bedeutung, sogar eine große. Deshalb müssen wir
       über den Kapitalismus hinausdenken. Nicht die Marktwirtschaft ist das
       Problem, sondern zu meinen, durch Märkte käme wie von selbst Gerechtigkeit
       und Wohlergehen in alle Welt. So einfach ist es nicht.
       
       Aber das glauben viele Ökonomen offenbar noch. 
       
       Ja, aber Gott sei Dank nicht alle. Der Papst hat ja auch in seiner
       Enzyklika „Laudato si“ formuliert, dass wir Verantwortung für unser
       gemeinsames Haus der Erde tragen müssen – und jetzt passiert wieder genau
       das Gegenteil: Jeder geht wieder in sein nationales Häuschen, und sagt:
       Britain first! Hungary first! Poland first! Germany first! Das ist doch
       schlimm. Wir als Kirche müssen die universale Karte spielen, das heißt: das
       Weltgemeinwohl im Blick zu behalten.
       
       Der Papst hat alle katholischen Gläubigen aufgerufen, sich für Flüchtlinge
       einzusetzen. Trotzdem fühlen sich viele von ihnen nicht angesprochen. Es
       gibt die Vereinigung „Christen in der AfD“. 
       
       Mich jedenfalls überzeugt der Papst.
       
       27 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Gessler
       
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