# taz.de -- Debatte: Schauspiel ohne Autor (1): Mehr als die Summe der Teile
       
       > Romanadaptionen, Performance-Projekte: Das aktuelle Programm der
       > Sprechtheater verzichtet oft auf AutorInnen. Künstlerisch ist das ein
       > Verlust.
       
 (IMG) Bild: Kristo Šagors Stücke – hier „Patricks Trick“ in Bremen – werden noch recht häufig gespielt.
       
       Vor ein paar Jahren habe ich mal einen Text über ein ähnliches Thema
       geschrieben. Damals ging es um Werktreue. Was für ein Luxusproblem,
       gemessen an der aktuellen Entwicklung, komplett auf Dramatiker und ihre
       Texte zu verzichten. Romanadaptionen, Spezialisten des Alltags,
       Ensembleprojekte – die Liste der Alternativen ist lang.
       
       Als ich begann, auch Regie zu führen, wunderte sich ein älterer Kollege von
       mir warnend, seines Zeichens schon vor Jahren aus der Dramaturgie in eine
       Metaorganisation abgewandert: „Eine privilegiertere Position als die des
       Autors gibt es im Theater nicht. Willst du dich wirklich täglich mit den
       Neurosen von Schauspielern herumschlagen müssen?“ Ja, wollte ich.
       
       Neben der Spitze gegen die Schauspielkollegen enthielt seine Polemik eine
       Wahrheit, die ich damals noch nicht überblickte: Aus Schauspielern werden
       manchmal Regisseure und aus Regisseuren manchmal Autoren, und wenn man sich
       mit ihnen darüber unterhält, beschreiben sie diese Veränderung oft als
       Verbesserung, mehr Autarkie, mehr konzeptuelles Denken. Die
       entgegengesetzte Entwicklung ist seltener: der Einsamkeit am Schreibtisch
       die Kommunikationsintensität der Probe entgegenhalten.
       
       Erst vor einem Jahr blaffte mich bei einer Vertragsverhandlung ein
       Betriebsdirektor – eher freundlich als unfreundlich – an, die allerneuste
       Mode sei wohl, dass Regisseure neuerdings immer Tantiemen wollten, was das
       denn solle.
       
       Ich war zu perplex, um entgegenzuhalten: Weil es etwas anderes ist, einen
       dramatischen Text zu inszenieren als eine Romanadaption, für die man selbst
       die Fassung macht.
       
       Bei „Penthesilea“ von Kleist zu kürzen und gegebenenfalls Repliken anders
       aufzuteilen, ist eine überschaubarere Arbeit, als sich bei einem Roman zu
       überlegen, welche Episoden sich wie verdichten lassen, oder ganz schlicht:
       die Sätze neu zu formulieren, die da gesagt werden sollen.
       
       Der dramatische Text bietet Situationen, sein Autor erfindet Figuren, ihre
       Beweggründe, Geheimnisse, Zerrissenheiten. Im besten Fall Material, das
       Regie und Spieler dazu reizt, über sich hinauszugehen. Als adaptierender
       Autor ist man eher Übersetzer, und dem Beruf wird man besser gerecht, wenn
       man ihn physisch auffasst. Statt „Ich habe den Text übersetzt“ besser „Ich
       habe ihn übergesetzt“, von X nach Y, von der einen Sprache in die andere.
       Oder im Fall der Adaption: vom einen Medium in das andere.
       
       Die dabei entstehende Reibung kann ein Gewinn sein, und selbst die
       gleichzeitig entstehenden Verluste können Räume eröffnen, die zu füllen
       Regie und Spieler auf eine Weise herausfordert, die zu Qualität führt.
       Gesetzt den Fall, sie lesen auch den Originaltext und können einschätzen,
       was der Bearbeiter da überhaupt gemacht hat.
       
       Ja, es wäre ganz wunderbar, wenn all die Romanadaptionen die Spielpläne
       hauptsächlich deshalb bevölkern würden, weil alle Beteiligten sich so sehr
       für die Finessen der jeweiligen Medien interessieren und Diskurs halten
       über Differenzen und Interferenzen. Aber die Wahrheit ist eine andere:
       Romanadaptionen werden wegen des bekannten Titels genommen, verbunden mit
       der Annahme, der ziehe Publikum – weil er gerade erst frisch durch die
       Feuilletons der Republik gereicht wurde oder weil er ein kanonischer
       Klassiker ist. Und dann kann man das Ganze trotzdem „Uraufführung“ nennen,
       ganz egal, die wievielte Bühnenfassung dieses Romans es ist, und das
       Theater hat das beste aus beiden Welten: einen sicheren Titel und ganz
       heiße Scheiße. Noch besser: die sogenannte „Uraufführung“ eines Textes, der
       gerade Abistoff ist.
       
       Aber selbst für die leidigen Adaptionen werden oft nicht mal Autoren
       verdingt. Das macht der Dramaturg so nebenbei und verdient sich was dazu.
       Im Extremfall ist sein Vertrag so gut, dass seine Fassung gespielt werden
       muss, egal, wie schlecht sie ist. Gegebenenfalls führt das dann dazu, dass
       alle heimlich ihre eigene Fassung machen und trotzdem jedes Mal der Mittler
       bezahlt wird.
       
       Den Autor wegzulassen, bedeutet eben auch, ein Auftragshonorar einzusparen.
       Das ist ganz vergleichbar damit, wenn ein Ausstatter neben dem Bühnen- auch
       das Kostümbild entwirft. Auch so lässt sich Geld sparen. Im Einzelfall mag
       das konzeptionell von Nutzen sein, wenn zwei Gewerke in einer Hand liegen.
       Im Allgemeinen ist es von Nachteil.
       
       Denn Theater ist kollektive Kunst, und je mehr Expertise zusammenfindet,
       desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dabei etwas Relevantes und
       Berührendes entstehen kann. Verschiedene Menschen können verschiedene
       Sachen. Also möge jeder und jede das Seinige und Ihrige beitragen, damit
       mehr wirklich mehr ergibt. Im Werbesprech: Nur Friseure können, was
       Friseure können. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn ein Dramaturg oder
       Regisseur wirklich schreiben kann, ist er wirklich ein Autor.
       
       Ich kann nachvollziehen, dass Regisseure und vor allem Schauspieler sich
       danach sehnen, an der Entwicklung dessen, was da gesprochen wird, anders
       mitzuwirken als nur interpretierend. Ein Modell, das Klaus Schumacher vor
       Jahren am Theater Bremen an mich herangetragen hat, hat für mich so gut
       funktioniert, dass ich es danach noch mit vier anderen Regisseurinnen und
       Regisseuren praktiziert habe:
       
       Man verabredet sich auf ein Thema, verbringt ein, zwei Wochen miteinander,
       in denen die Schauspieler Material improvisieren. Improvisation und
       Diskussion wechseln einander immer wieder ab. Dann zieht der Autor sich
       zurück und schreibt, basierend auf dem Material, was er schreiben will. Und
       die Regie setzt es dann mit allen Mitteln des Regietheaters um.
       
       Vertrauen in das Können des anderen und Respekt vor seiner Autarkie
       ermöglichen dann eine andere Nähe zwischen Spielern und Text als beim
       herkömmlichen Probenprozess. Klar, der Ausgangspunkt für einen Theaterabend
       muss gar kein Text sein. Die scharfe Fragestellung, die inspirierende
       Beobachtung kann auch aus der Dramaturgie kommen, aus dem Kollektiv oder
       aus dem Kantinengespräch vier Uhr morgens. Aber wie viele ambitionierte
       Ensembleproduktionen habe ich schon gesehen, denen ich dringend einen Autor
       gewünscht hätte. Denn das ist ein starkes Argument für den Autor: Poesie.
       Poetische Verdichtung, formale Kraft.
       
       Ein guter Text hat Rhythmus, spielt mit Wiederholungen, Variationen. Er
       wartet mit Wendungen und Überraschungen auf, lädt ein und funkelt zugleich
       unnahbar. Wenn Regie diese Musikalität erkennt und benutzt, ihr vertraut
       und sie durch eigene Erfindungen kontrapunktiert, entsteht im besten Fall
       ein Schwebezustand.
       
       Und das stärkste Argument? Zeit. Regisseure, Dramaturgen, Schauspieler sind
       in den Probenplan eingespannt, und im Theateralltag spielen oft Sachzwänge
       eine Rolle. Der Autor kann sich Zeit nehmen. Und dass er das kann, macht es
       soviel wahrscheinlicher, dass Musikalität und Poesie entstehen. Zwischen
       der ersten Idee und der ersten Zeile können Jahre vergehen und zwischen der
       ersten Zeile und der letzten gleich nochmal. Das muss nicht so sein, aber
       allein das Wissen, es ist möglich, führt zu anderen kreativen Prozessen,
       als wenn man eingetaktet ist in Zeitfenster. Deadlines helfen als
       Motivationstritt in den Arsch, Inspiration jedoch braucht Zeit.
       
       In einer besseren Welt hätte jedes Theater, so selbstverständlich wie es
       ein Ensemble und Hausregisseure hat, auch Hausautoren. Diese hätten dank
       ihres sicheren Gehalts und bei allem Wissen um das Medium Theater dennoch
       genug Abstand zum alltäglichen Betrieb, um ganz eigen zu bleiben, in der
       Sprache und Form ihrer Texte – das wäre gut.
       
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