# taz.de -- Debatte Ernährung und Landwirtschaft: Klasse statt Masse
       
       > Obwohl Milliarden in die Landwirtschaft fließen, schließt ein Hof nach
       > dem anderen. Warum die Lage der Bauern uns alle angeht.
       
 (IMG) Bild: Last cow standing: Immer mehr Bauernhöfe müssen schließen
       
       Was für eine Geldverschwendung: Jährlich unterstützt die Europäische Union
       die Landwirtschaft in den Mitgliedsländern mit 55 Milliarden Euro
       Subventionen. Das sind 110 Euro pro EU-Einwohner, vom Baby bis zum Greis.
       Dennoch haben etwa in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt s[1][eit
       1960] ganze [2][80 Prozent der Betriebe aufgegeben]. Und immer noch
       schließen vor allem kleine Höfe. Das ist die Lage der Landwirtschaft, deren
       weltgrößte Messe, die Grüne Woche, am Freitag in Berlin begonnen hat.
       
       Wenn zu viele Höfe schließen, können ganze Regionen auf dem Land abgehängt
       werden – ein Einfallstor für politischen Extremismus. Dass immer mehr
       kleine und mittlere Höfe durch wenige Megabetriebe ersetzt werden,
       befördert zudem die immer ungleichere Wohlstandsverteilung in Deutschland.
       Und nicht zuletzt geht es um die Umwelt und das Wohl der Tiere. Wer nur
       noch Verluste macht, dem fällt es schwer, mehr für die Artenvielfalt zu tun
       oder Kühe artgerechter zu halten. Die Lage der Bauern geht uns alle an.
       
       Höfe schließen in erster Linie, weil sie nicht mehr rentabel sind. Zwar
       haben die Bauern ihre Produktionskosten in den vergangenen Jahrzehnten dank
       des technischen Fortschritts gesenkt und erzeugen heute pro Hektar und
       Arbeitskraft viel mehr als früher: [3][Ein deutscher Bauer ernährt nun
       15-mal so viele Verbraucher wie noch 1950.]
       
       Aber das Sinken der Kosten hat es dem Handel auch ermöglicht, die Preise zu
       drücken. Rechnet man die Inflation heraus, [4][bekamen die Landwirte 2008
       etwa 6 Prozent weniger für jedes tierische Produkt als 11 Jahre zuvor.]
       
       ## Billiger und produktiver
       
       Um bei den geringen Stückpreisen noch etwas zu verdienen, setzten viele
       Bauern auf Masse. Sie errichteten größere Ställe und pachteten noch mehr
       Äcker. Die Deutschen werden aber eher weniger und können auch nicht noch
       mehr essen. Deshalb suchten die Landwirte ihr Heil im Ausland: Sie
       lieferten Milch nach China, Schweinefleisch nach Russland, Hühnchenteile
       nach Afrika.
       
       Doch die Chinesen produzieren zunehmend selbst Milch. Die Russen
       boykottieren infolge des Ukrainekonflikts Schweinefleisch aus der EU. Und
       es ist unrealistisch, dass die deutschen Bauern mit ihren hohen
       Arbeitskosten langfristig gegen Billigproduzenten wie Brasilien bestehen
       können.
       
       Nun gibt es von vielen Agrargütern zu viel in der EU – und die Preise
       rutschen noch weiter in die Tiefe. Wegen der schlechten wirtschaftlichen
       Lage ist es für junge Leute immer unattraktiver, die Entbehrungen des
       Bauerndaseins – wenig Urlaub, viel körperliche Arbeit – zu akzeptieren.
       
       Mitnichten wurde die Misere durch strengere Umwelt- und
       Tierschutzvorschriften verursacht. Diese haben zwar die Produktionskosten
       etwas erhöht, doch dass massenhaft Betriebe aufgeben, begann schon sehr
       lange vor den zaghaften Gesetzesverschärfungen.
       
       ## Hermetisch abgeriegelte Tierfabriken
       
       Um das Höfesterben zu stoppen oder zumindest stark zu bremsen, sollte die
       EU ihre Subventionen nicht mehr in erster Linie dafür zahlen, dass jemand
       Land hat. Grundbesitz ist derzeit die wichtigste Bedingung, um Geld aus
       Brüssel zu erhalten: Es gibt Zahlungen pro Hektar, weitgehend unabhängig
       davon, wie umweltfreundlich der Boden bewirtschaftet wird.
       
       Künftig müssen die Milliarden ausgegeben werden, um hermetisch abgeriegelte
       Tierfabriken umzubauen in Ställe mit Zugang ins Freie und mit
       tierfreundlicherer Haltung auf Stroh. Geld sollte zum Beispiel auch dafür
       fließen, weniger Pestizide und Dünger einzusetzen, was mehr Tier- und
       Pflanzenarten vor dem Aussterben bewahren würde. Oder dafür, Kühe auf der
       Weide statt nur im Stall zu halten. Dieser Umbau des Subventionssystems
       könnte flankiert werden von strengeren Vorschriften etwa gegen Überdüngung.
       
       Solche Maßnahmen sind schon aus Umwelt- und Tierschutzgründen geboten.
       Bislang verschmutzen vor allem die Bauern das Grundwasser mit Nitrat, das
       sich im Körper teils in giftiges Nitrit verwandelt. Die Landwirtschaft ist
       auch einer der größten Klimakiller. Sie ist maßgeblich dafür
       verantwortlich, dass die Artenvielfalt abnimmt. Und die meisten Tiere
       werden schlecht gehalten.
       
       Eine Ökologisierung der Landwirtschaft würde auch dazu führen, dass weniger
       Lebensmittel produziert und Überschüsse abgebaut würden. Denn Weidehaltung
       etwa braucht mehr Platz und ist ab bestimmten Viehzahlen je Betrieb aus
       praktischen Gründen unmöglich. Am Ende bekämen die Bauern endlich wieder
       faire Preise.
       
       ## Weniger für den Export
       
       Aus Nicht-EU-Ländern drohte kaum Gefahr, wenn die Mitgliedsländer ihre
       Agrarproduktion reduzieren und verteuern würden. Verbote von Hormonfleisch
       oder bestimmten Desinfektionsmethoden etwa begrenzen Importe zum Beispiel
       aus Nordamerika effektiv. Es gibt auch noch hohe Zölle auf Einfuhren
       beispielsweise von Milchprodukten. Genug zu essen hätten wir bei so einer
       Agrarpolitik dennoch. Die Landwirte würden ja nur ihre
       Produktionsüberschüsse abschmelzen und weniger exportieren.
       
       Allerdings müssten die Verbraucher etwas mehr zahlen für ihre Lebensmittel,
       wenn die Bauern mehr Geld erhalten sollen. Aber diese Mehrbelastungen
       dürften sich in Grenzen halten. [5][Denn die Landwirte erhalten nur 22
       Prozent von jedem Euro, den die Verbraucher für Nahrungsmittel ausgeben.]
       Den Rest kassiert zum Beispiel der Handel.
       
       Trotzdem könnten diese geringen Steigerungen etwa Hartz4-Empfänger
       besonders treffen. Sie müssten vom Staat einen Ausgleich bekommen, zum
       Beispiel durch Steuererleichterungen oder die Erhöhung von
       Sozialleistungen. Finanziert werden könnte das beispielsweise, indem auf
       Fleisch künftig der normale Mehrwertsteuersatz von 19 statt der bisherigen
       7 Prozent erhoben würde.
       
       Es gibt also Konzepte gegen die Pleite der Bauern. Die EU-Kommission hat
       schon versucht, die Agrarsubventionen erheblich zu ökologisieren. Sie hat
       es den Mitgliedsländern sogar ermöglicht, selbst Subventionen
       umzuverteilen. Doch vor allem einer bremst sie regelmäßig aus: das
       Bundesagrarministerium – geführt seit fast 12 Jahren von der CSU.
       
       20 Jan 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PID=PPN514402342_1961%7Clog31
 (DIR) [2] https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/LandForstwirtschaft/Bodennutzung/LandwirtschaftlicheNutzflaeche.html
 (DIR) [3] http://www.bauernverband.de/11-wirtschaftliche-bedeutung-des-agrarsektors-683371?redid=683372
 (DIR) [4] http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&plugin=1&language=en&pcode=tag00050
 (DIR) [5] http://www.bauernverband.de/11-wirtschaftliche-bedeutung-des-agrarsektors-683371?redid=683373
       
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 (DIR) Jost Maurin
       
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