# taz.de -- Türkische Gefangene: Hungern für bessere Haftbedingungen
       
       > Gefangene in der Türkei kämpfen per Hungerstreik gegen die katastrophale
       > Situation in den Gefängnissen. Ihr Zustand ist kritisch.
       
 (IMG) Bild: Die türkischen Knäste sind nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 völlig überfüllt
       
       BERLIN taz | In türkischen Gefängnissen sind mehr als 100 Gefangene im
       unbefristeten Hungerstreik, davon 13 seit 56 Tagen. Sie nehmen nur Wasser,
       Tee, Zucker, Salz und Vitamin B1 zu sich, doch ist laut
       Gesundheitsorganisationen die Schwelle zu irreversiblen Schäden erreicht.
       Die Gefangenen protestieren gegen unmenschliche Haftbedingungen und massive
       Menschenrechtsverletzungen in den türkischen Gefängnissen. Neben einer
       Verbesserung der Haftbedingungen fordern sie das Ende der Festnahmen
       aufgrund von politischer Arbeit und der Repressionen gegenüber der
       Bevölkerung.
       
       Am 15. Februar 2017 waren die ersten Gefangenen im
       Şakran-Hochsicherheitsgefängnis in Izmir in einen Hungerstreik getreten.
       Bald schlossen sich Inhaftierte aus Gefängnissen in der ganzen Türkei an.
       
       Die türkischen Gefängnisse sind wegen der vielen Verhaftungen nach dem
       Putschversuch vom 15. Juli 2016 völlig überfüllt: Laut dem
       Menschenrechtsverein İnsan Hakları Derneği (IHD) wurden mehr als 5.000
       Oppositionelle und weitere 45.000 Menschen festgenommen, denen eine
       Beteiligung am Putschversuch vorgeworfen wird. Selbst eine Amnestie für
       Kleinkriminelle habe das Problem der überfüllten Haftanstalten nicht
       gelöst.
       
       Seit dem Putschversuch seien die Gefangenen zunehmend Gewalt und Folter
       ausgesetzt, berichtet Necla Şengül von der Gefängniskommission des IHD.
       Şengül besucht Gefängnisse in der ganzen Türkei, um die Haftbedingungen zu
       beobachten.
       
       Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte schon im
       Oktober 2016 in einem Bericht, dass die türkische Polizei Menschen in Haft
       gefoltert und misshandelt habe, nachdem mit den im Ausnahmezustand
       erlassenen Notverordnungen wichtige Schutzvorschriften außer Kraft gesetzt
       worden seien. In dem Bericht ist die Rede von „Folter durch
       Stresspositionen, Schlafentzug, schwerer Prügel, sexuellem Missbrauch und
       Vergewaltigungsdrohungen“.
       
       „Indem sie Vorschriften zum Schutz vor Folter außer Kraft setzte, hat die
       türkische Regierung den Sicherheitsbehörden de facto einen Blankoscheck
       ausgestellt, Gefangene zu foltern und zu misshandeln“, kritisiert Hugh
       Williamson, Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights
       Watch.
       
       Der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden ist kritisch. „Es gibt
       Gefangene, die 16 Kilo verloren haben. Sie sind nicht in ärztlicher
       Behandlung“, berichtet Şengül. Das Justizministerium reagiere nicht auf die
       Forderungen der Gefangenen: „Die Hungerstreikenden werden dem Tod
       ausgesetzt.“
       
       Gemeinsam mit anderen Organisationen fordert der IHD das Justizministerium
       auf, regelmäßige Gesundheitskontrollen der Gefangenen zu gestatten und mit
       den Hungerstreikenden in einen Dialog über deren Forderungen zu treten.
       „Inzwischen gibt es in fast jedem türkischen Gefängnis Inhaftierte, die aus
       Solidarität in einen fünftägigen Hungerstreik treten“, so Şengül.
       
       Anfang April waren auch der inhaftierte Ko-Vorsitzende der prokurdischen
       Partei HDP, Selahattin Demirtaş, und der HDP-Abgeordnete Abdullah Zeydan in
       einen befristeten Solidaritätshungerstreik getreten. Nachdem die Leitung
       der Haftanstalt von Edirne auf die Forderungen der Hungerstreikenden
       eingegangen war, beendete Demirtaş seine Aktion.
       
       Doch die Gefangenen in acht Gefängnissen setzen ihren Protest fort. „Mit
       dem Hungerstreik sind wir am letzten Punkt des Widerstands gegen die
       schlechte Behandlung der Inhaftierten angekommen“, sagt Şengül auf dem Weg
       zum Gefängnis in Mardin.
       
       10 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Schulz
       
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