# taz.de -- Politik auf Facebook: Showmaster Bernie Sanders
       
       > Er ist nicht Präsident und erreicht doch Millionen. Bernie Sanders macht
       > in seiner Facebook-Show Politik. Ist er der neue Trump?
       
 (IMG) Bild: Bernie Sanders möchte auch die jungen Leute für Politik begeistern – das probiert er jetzt über Facebook
       
       Sie sitzen in zwei Sesseln nebeneinander, hinter ihnen die Vasen und
       Bücherreihen des Büros von US-Senator Bernie Sanders. Der 75-Jährige
       begrüßt seine Zuschauer mit rauer Stimme: „Willkommen zu dieser, wie ich
       denke, spannenden Diskussion. Ich bin sehr stolz, heute Josh Fox bei mir zu
       haben.“ Der Gast, [1][Regisseur des Fracking-kritischen Films Gasland],
       lächelt in die Kamera und stellt sich für 21 Minuten den Fragen des
       parteilosen Sozialisten. Es ist die vierte Folge seiner Mitte Februar auf
       Facebook gestarteten Bernie Sanders Show – sie hat bereits Millionen
       Zuschauer.
       
       Sanders, der im Präsidentschaftswahlkampf ohne Kampagnengelder im Schatten
       Clintons agieren musste, geriert sich neuerdings als Moderator. [2][Er muss
       jetzt kein linksradikales Programm mehr verteidigen], sondern fragt einfach
       Experten nach den Problemen aus, auf denen es beruhte:
       Gesundheitsversorgung, Einkommensungleichheit, Rassismus und Klimawandel.
       
       So lässt er beispielsweise Bill Nye, den Gründer von Science Guy, erklären,
       warum es eine Energiewende geben muss und wie man von ihr profitiert.
       Untermalt wird alles von Zahleneinblendungen, wie „US-Solarindustrie schuf
       2015 35.000 Jobs“. Sanders unterbricht seine Gäste regelmäßig, um zu
       erklären, was das der Politik sagen sollte.
       
       Das kommt an: Allein das Kurzvideo mit Nye wurde 4,7 Millionen Mal
       angeschaut. Insgesamt wurde seine Facebook-Seite seit Beginn des Jahres 164
       Millionen Mal besucht. Gäbe es keine Mehrfachklicks Einzelner, könnte man
       meinen, die halben USA würden dem alten Sozialisten an den Lippen hängen.
       In den Kommentaren erscheint alle paar Sekunden eine Liebeserklärung: „I
       love you Bernie“, „Thank you so much“ oder „Keep fighting until 2020“. Man
       spürt den Frust seiner Anhänger, dass die politische Öffentlichkeit derzeit
       nur von Trumps leerem Dauergezwitscher in Atem gehalten wird. Seit seiner
       Krönung zum Mittelpunkt der US-Politik sind die Abonnements linksliberaler
       Medien, wie der New York Times, durch die Decke geschossen.
       
       ## Sanders ist kein Fan von Sozialen Medien
       
       Sanders weiß das für sich zu nutzen, aber nicht innerhalb der
       Mainstream-Medien – die sieht er nicht weniger kritisch als Trump. Er hat
       bereits einige Erfahrung mit der Gründung eigener Kanäle. Als Bürgermeister
       von Burlington (Vermont) war er bereits in den 80ern in der Sendung „Bernie
       speaks“ zu sehen, wie er vor jungen Leuten mit einer Bierflasche in der
       Hand die Verdopplung der Millionäre anprangerte. Die Millenials von heute
       erreiche man nur noch über Videos, sagte er NBC News: „Ich bin nicht
       wirklich froh darüber. Es sollte okay sein, fünf Minuten zu lesen. Aber man
       sagt mir, dass das immer weniger der Fall ist. [3][Also machen wir
       Videos.]“
       
       Bleibt die Frage, ob das Zwei-Personen-Gespräch die beste Form dafür ist.
       In Zeitungsartikeln und Talkshows mussten sich Politiker und Aktivisten
       stets gegeneinander verteidigen. Sanders kann sich seine Gäste aussuchen,
       er wird wohl keine Vertreter der Tea Party einladen. Stattdessen dankte ihm
       Regisseur Fox zu Anfang des Gesprächs für alles, was Sanders für die USA
       getan habe. Der klopft ihm großväterlich auf die Schulter und mahnt:
       „Neutral, neutral (bleiben).“
       
       ## Politik für junge Leute
       
       Mediale Parallelwelten waren bislang das Spezialgebiet der Rechten, die
       einen Ort suchten, wo sie alle unwidersprochen einer (politisch
       inkorrekten) Meinung sein können. [4][Der führende Verschwörungstheoretiker
       der USA, Alex Jones], hat mit seiner Online Morning Show ähnlichen Erfolg
       wie Sanders. Er enthüllt gern alternative Fakten über Fukushima und die
       globalen Feinde der Konservativen. Trump konsultiert ihn häufiger, er
       bedient seine paranoide Traumwelt. Auch der Front National und die AfD
       haben auf Facebook ihre Anhänger um sich geschart. Wie Sanders’
       Kommentatoren diskutieren sie nicht, sondern bejubeln oder bemitleiden sich
       selbst.
       
       Doch der Anspruch des Senators ist ein anderer. Er will sich Leute ins Haus
       holen, die ihn mit echten, von Republikanern häufig verleugneten Problemen
       konfrontieren. Die meiste Zeit des Gesprächs stellt er Fragen oder hört zu
       – auch wenn die Journalistin Jane Mayer seiner Ansicht widerspricht, dass
       es das Geld sei, das die Republikaner so einflussreich mache, als vielmehr
       ihr ideologisches Netzwerk.
       
       Vielleicht ist diese Konfrontationsform die letzte, die es heute noch
       schafft, Millenials für Politik zu begeistern. [5][Wer unter 30 schaut sich
       noch Anne Will oder Jauch an], wo Politiker wohlüberlegte, leere Sätze
       wiederholen? Wer zeigt sich auf Schulz’ Facebook-Seite von den sentimental
       inszenierten Mütter-Portraits beeindruckt? Sanders sagte NBC, dass ihm die
       Show „die Möglichkeit gibt, Millionen Menschen direkt auf das anzusprechen,
       was für sie wichtig halten“. Vielleicht hat er das letzte Format gefunden,
       das den Draht zur Zivilgesellschaft erhalten kann.
       
       9 Apr 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://bewegung.taz.de/termine/globalisierungskino-gasland-2
 (DIR) [2] /US-Opposition-von-unten/!5358800/
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patrick Jütte
       
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