# taz.de -- Open Access in der Hamburger Kunsthalle: Der fremde Blick
       
       > Die Hamburger Kunsthalle wagte ein Experiment: Sie ließ Laien aus aller
       > Welt eine Ausstellung zusammenstellen – leider mit wenig Mehrwert für
       > Besucher.
       
 (IMG) Bild: Jean-Baptiste Regnault (1754–1829), „Freiheit oder Tod“, 1794/95
       
       Gute Laune macht an der dieser Ausstellung nur der gute Wille – und das
       zentrale Bild „Freiheit oder Tod“ von Jean-Baptiste Regnault. Es kam als
       eines der ersten in die Sammlung der Hamburger Kunsthalle und scheint seit
       1795 aktuell. Was da im Hubertus-Wald-Forum der Kunsthalle zu sehen ist,
       ist allerdings ein noch ganz unabgesichertes und noch zu evaluierendes
       Experiment, eher eine museumsdidaktische Dokumentation als eine
       Ausstellung.
       
       In der Suche danach, wie die Sammlung des Hauses immer wieder neu und
       anders erschlossen werden kann, wagte es Christoph Martin Vogtherr, für
       seine erste hier verantwortete Ausstellung einen völlig offenen Zugang zu
       ermöglichen. Im Projekt „Open Access“ haben zwölf aus verschiedenen Ländern
       nach Hamburg Gekommene über Monate mit dem hier ebenfalls neuen Direktor in
       sechs Workshops Ideen ausgetauscht und die Depots durchforstet.
       
       Aus Menschen, die teils noch nie in der Kunsthalle waren, sind durch das
       Einräumen kuratorischer Kompetenzen nun aktive Freunde des Hauses geworden,
       die ihren Zugang öffentlich zeigen und weitere Interessenten gewinnen
       wollen. Der Erkenntnisgewinn für die Beteiligten ist wahrscheinlich gar
       nicht hoch genug einzuschätzen – doch für alle anderen bleibt er eher
       gering.
       
       Fachkompetenz ist bei aller Liebe nicht leicht zu ersetzen. Sachfremder
       Quereinstieg kann produktiv und kreativ sein; Nichtwissen ist keine
       Schande, aber auch keine Qualität. Wenn es einen Muslim irritiert, dass bei
       Jan Provoost ein auch noch halbnackter Jesus mit dem Fuß auf einem Buch
       (der Bibel) steht, es also zu treten scheint, so könnte die immerhin 511
       Jahre alte Allegorie ja auch ganz evangelisch damit erklärt werden, dass da
       niemand einen heiligen Text „tritt“, also missachtet, sondern dass die
       Verbildlichung des Göttlichen aus diesem Text „hervortritt“, also
       erscheint. Niemand muss dergleichen emblematische Bild-Text-Relationen
       kennen, aber diese zu vermitteln, wäre doch auch Aufgabe der
       Kunsthistoriker, die so eine Gruppe begleiten.
       
       Selbstverständlich ist ein Abgleich mit den Werten der eigenen,
       mitgebrachten Kultur wichtig. Der heilige Georg hat nun mal viel
       Ähnlichkeit mit persischen oder drusischen Ritterheroen. Die waren
       vielleicht sogar sein Vorbild. Doch es kommt bei Kunst ja nur zum
       geringsten Teil darauf an, etwas wiederzuerkennen, sondern vor allem
       darauf, eine Differenzerfahrung zu machen.
       
       Aber auch jemand wie Helmut Schmidt mochte von Nolde nur die
       wiedererkennbaren Blumen – kein Wunder, dass Menschen mit
       Migrationshintergrund sich für Gemälde von ihrer alten Heimat
       interessieren. Es ist ein guter Zugang zur Kunst, sich Bildern mit
       Sympathie zu nähern und erst einmal frei alles sagen zu können, was einem
       dazu einfällt. Aber das ist eben ein Annäherungsprozess, noch kein
       Endergebnis.
       
       Es erscheint geradezu kontraproduktiv, diese Annäherung in einer
       Ausstellung zu veröffentlichen. Denn es stellt unbegründbare
       Interpretationen den Aussagen gleich, die die Museumspädagogik sonst in den
       Saaltexten dem Publikum anbietet. Der dabei entstandene, manchmal abwegige,
       mitunter kreativ überraschende Neusinn diskreditiert dabei keineswegs die
       Mitspieler in diesem Prozess. Er diskreditiert vielmehr die
       Museumspädagogik, die trotz immensem Aufwand nicht weit genug gedacht hat.
       
       Ein Bild muss sich nicht alles sagen lassen. Es verfügt über inhaltliche
       und technische Elemente, die in einer Art stummem Dialog die möglichen
       Aussagen leiten und zielführend einengen. Es muss im Dialog intellektuell
       befragt werden, nicht mit eigenen Meinungen bombardiert werden, schon gar
       nicht mit religiösen, ist das Museum doch in seiner Grundvoraussetzung
       säkular.
       
       So wenig wie Götter oder Geisterbilder fremder Kulturen eurozentrisch
       fehlinterpretiert werden sollten, so wenig sollte auch die
       kunstgeschichtliche Traditionslinie Europas freundlicher Willkür
       anheimgegeben werden. Ein Artefakt erschöpft sich nicht darin, ein Spiegel
       seines Betrachters zu sein, es ist vor allem eine Manifestation seines
       spezifisch eigenen, historischen Kulturzusammenhanges.
       
       Es ist etwas anderes, ob im Dialog mit Menschen total differente Meinungen
       – auch über Bilder – ausgetauscht werden, oder ob eine offizielle
       Ausstellung der Hamburger Kunsthalle das veröffentlicht: Die Karte ist
       nicht das Gebiet, der Weg ist nicht das Ziel. Die Stadt, die mit der
       Hamburger Schule, mit Warburg, Panofsky und dergleichen kunsthistorischen
       Größen nicht unwesentlichen Anteil an der Entwicklung der Ikonologie hat,
       sollte – insbesondere historische – Bildinhalte weiterhin vermitteln, nicht
       in gänzlich „open access“ einer Beliebigkeit preisgeben.
       
       Denn obwohl alle ständig immer Bilder benutzen: Das Bilderlesen und
       Bilderverstehen nimmt aktuell dennoch ab. Es wäre also gegenüber einer auf
       den ersten Blick viel zu didaktischen Ausstellung nicht weniger, sondern
       gerade in der Referenz auf die Vermittlungsarbeit des
       Kunsthallen-Gründungsdirektors Alfred Lichtwark noch viel mehr Didaktik
       einzufordern.
       
       Auch die Theorie zur diesjährigen Documenta fordert „radikale
       Subjektivität“. Doch diese entbindet die Kunst selbst von historischer und
       aktueller Bedeutungsrelevanz und setzt stattdessen die handelnden Subjekte
       autonom – leider auch gegenüber der damit zu einem bloßen Teaser
       schrumpfenden, irgendeinen kleinen Assoziationsanlass bietenden Kunst,
       gefährlich nah an der oberflächlichen Inbeziehungsetzung, wie sie beim
       Selfie praktiziert wird.
       
       Zu fordern wären eher Besucherschulen für alle, die das Anliegen der Kunst
       vermitteln – beispielsweise in der Art, wie sie Bazon Brock seit
       Jahrzehnten praktiziert –, nicht aber autistische, radikal subjektiv
       zusammengestellte Bildergärten. Aber dass „Respekt“ und „Freiheit“ unter
       den von der Gruppe erarbeiteten fünf ausstellungsbestimmenden Kernbegriffen
       sind und dass dafür Bilder gefunden wurden, ist natürlich sehr schön.
       
       „Open Access – 13 Blicke in die Sammlung“: bis 27. 8., Hamburger Kunsthalle 
       
       Roundtable zu den Fragen, was ein Museum für die sich verändernde
       Stadtgesellschaft tun kann und wie aus einem öffentlichen Ort ein Ort für
       die Öffentlichkeit werden kann: 29. 6.
       
       7 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hajo Schiff
       
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