# taz.de -- Wiederentdeckung eines Künstlers: Der Verfemte ist zurück
       
       > Der Künstler Karl Ballmer war erst von den Nazis als „entartet“
       > diffamiert und dann weitgehend vergessen. Eine Ausstellung rehabilitiert
       > ihn jetzt.
       
 (IMG) Bild: Karl Ballmers „Stadt im März“ von 1931
       
       HAMBURG taz | In seiner Suche nach Kunst, die als Dialog und Resonanz für
       die Skulpturen von Barlach dienen kann, ist Karsten Müller, der Direktor
       des Hamburger Ernst-Barlach-Hauses, mal wieder fündig geworden: Beim von
       Barlach gewonnenen Wettbewerb zum Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten
       Weltkriegs am Rathausmarkt nimmt 1930 auch ein in Hamburg lebender
       Schweizer teil: Karl Ballmer.
       
       Nun gibt es zum ersten Mal seit 85 Jahren hier wieder eine
       Einzelausstellung mit etwa 50 von dessen Arbeiten. Selbst wenn davon
       weniges im Besitz der Kunsthalle und der Haspa ist, dürfte der Name den
       meisten Norddeutschen kaum etwas sagen. Denn der als „entartet“
       gebrandmarkte Künstler kehrte mit seiner jüdischen Frau 1938 in die Schweiz
       zurück. Die Glanzzeiten der hamburgischen Sezession der Zwanzigerjahre
       wurden insgesamt weitgehend vergessen gemacht.
       
       Dabei hatte der 1891 in Aarau geborene Maler und Autor seine
       erfolgreichsten Jahre von 1922 bis zum erzwungenen Rückzug in Hamburg. Hier
       setzte sich Hildebrand Gurlitt für ihn ein, der jahrelang der
       Avantgardekunst verpflichtete Museumsleiter, Hamburger Kunstvereinsdirektor
       und spätere Kunsthändler, der in den Vierzigern tief in den Handel mit
       Raubkunst verstrickt war. Hier traf Ballmer seinen Förderer und Freund Max
       Sauerlandt, den auch Gegenwartskunst sammelnden und vermittelnden Direktor
       des Museums für Kunst und Gewerbe, hier diskutierte er tagelang mit dem
       jungen irischen Schriftsteller Beckett.
       
       Der war auf seiner Deutschlandreise 1936/1937 unter anderem solange in
       Hamburg, da hier im Nordflügel der Kunsthalle noch Arbeiten von
       Expressionisten gezeigt wurden, die in anderen Staaten des Reichs bereits
       verboten waren. Die Kultur der Zwanzigerjahre war auch in Hamburg von einer
       dynamischen Moderne geprägt, die die Nationalsozialisten so hassten.
       Expressionistische und sezessionistische Kunstauffassungen waren dominant,
       der Kunstverein bezog 1930 ein Gebäude im Bauhausstil. Karl Ballmer war
       damals anerkannter Teil der Szene. Auch philosophierend und schreibend war
       er immer bestrebt, seiner abstrahierenden Kunst geistige Tiefe zu geben.
       
       ## Das Transzendente erfassen
       
       Er wollte weniger im eigentlich expressionistischen Sinne seiner
       Wahrnehmungsstimmung Ausdruck geben, als das transzendent Wesensmäßige mit
       Farbe und Linie erfassen. Seine mit farbigen Schwüngen die leere
       Wassermitte umströmenden Landschaftsbilder, dabei die Binnenalster oder
       eine nordische Bucht sehr ähnlich verbildlichend, sind wunderbar
       reduzierte, leichte Bildzeichen, die am Rande der reinen Abstraktion das
       Wesentliche fassen, Bilder, die perfekt zu Freischwingern oder anderen
       Stahlrohrmöbeln der Zeit passen.
       
       Abgesehen vom Grundkontrast zwischen Fläche und Linie gibt es wenig harte
       Kanten in Ballmers Bildern. Das weiche, sich gegenseitig durchdringende
       überwiegt. Auch viele der Figuren sind innerhalb und außerhalb der
       Konturenlinien Teil einer Landschaft, die zugleich auf die äußere Realität
       weist, wie sie auch eine innere Vision sein kann. Das macht auch ovale
       Flächen mit zwei Strichen in der Wahrnehmung zu Köpfen und setzt sie, wie
       die mehrfach auftauchenden ägyptischen Sphinxe in eine unbestimmt
       subjektive Traumrealität.
       
       In der raunenden Sprache der Zeit wäre das eine Malerei auf der Suche nach
       dem ewigen „Tiefen-Ich“, das hinter dem bloß zeitgebundenen
       „Oberflächen-Ich“ zu bestimmen sei. Ballmer fühlte sich der um die
       „spirituelle Energie“ kreisenden Philosophie des Franzosen Henri Bergson
       und den Ideen von Rudolph Steiner verbunden und setzte sich kritisch mit
       Heidegger auseinander.
       
       ## Seltsam unzugänglich
       
       Doch vielleicht gerade durch solch schwere Gedankenlast scheint die
       Bildkunst des ohne wesentliches Spätwerk 1958 in Lugano gestorbenen Karl
       Ballmer oft distanziert, mitunter rätselhaft und seltsam unzugänglich.
       Studiert man den umfangreichen Katalog, ohne den heute fast keine
       Ausstellung mehr so recht verständlich ist, kann man ins Grübeln kommen:
       Wie kommt es nur, dass die tiefschürfenden kulturgeschichtlichen
       Erörterungen zu den künstlerischen Produktionen oft und immer öfter
       interessanter sind als die Kunstwerke selbst?
       
       Wahrscheinlich haben wir – obwohl im Alltag von Bildern überschwemmt –
       verlernt, Bilder und Artefakte zu lesen. Dann wäre die Suche Ballmers nach
       vorsprachlich formulierter Transzendenz, nach gemalter, wortlos hinter dem
       Bild stehender Geistigkeit hochaktuell. Aber genau die ist logischerweise
       schwer nachzuvollziehen.
       
       Die Kirche hat für ihre komplexen Fiktionen eine sprechende Kunst über
       Jahrhunderte entwickelt. Der neuere Kirchenersatz hat es bisher nur zum
       Kunstersatz gebracht. Das bezieht sich besonders auf die Anthroposophie.
       Ballmer lernte Rudolf Steiner 1918 persönlich kennen und hält danach
       Kunstvorträge am Goetheanum in Dornach. Seine direkt von der Anthroposophie
       beeinflussten Bilder sind beispielsweise „seherische“ Porträts von
       Geistwesen mit vier leuchtenden Augen, zwei grün und zwei rot, oder in
       weißer Kreide hingewischte Erscheinungen, die aussehen wie Bettlaken mit
       tiefen Augenhöhlen.
       
       Das ist weder Kopf noch Herz, um den Titel der Schau aufzunehmen, das ist
       bestenfalls dem Symbolismus des 19. Jahrhunderts nahe oder, trivialer, eine
       Comicversion des Weltengeistes.
       
       Karl Ballmer wollte mehr als das Sichtbare darstellen. Doch das thematische
       Überschreiten der Grenze zum Übersinnlichen sollte mit auch formalen
       Grenzerweiterungen einhergehen. Das begrifflich nicht Fassbare, das, was
       sich nicht vergegenständlichen lässt, ist nicht vermittelbar. Es bleibt ein
       individuelles Gefühl, eine private Erleuchtung. Das macht es auch so
       schwer, sich über das Transzendente, aber auch das radikal Neue zu
       verständigen.
       
       Ein spooky Bettlaken mit Augen ist dabei ganz gewiss keine angemessene
       Darstellung von transzendenten Entitäten, keine Lösung der Paradoxie, das
       Unsichtbare zu zeigen. Vielleicht liegt das bei Karl Ballmer nicht im
       einzelnen Bildzeichen, sondern im Dazwischen der Überlagerungen.
       
       Bis 18. Juni, Ernst-Barlach-Haus Hamburg
       
       2 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hajo Schiff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Anthroposophie
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) NS-Raubkunst
 (DIR) Entartete Kunst
 (DIR) Bildende Kunst
 (DIR) Hildebrand Gurlitt
 (DIR) Kunsthalle Hamburg
 (DIR) Schwerpunkt Nationalsozialismus
 (DIR) Kunst
 (DIR) Schwerpunkt Cornelius Gurlitt
 (DIR) Kunstmarkt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Hamburger Ausstellungsort „Parabel“: Ein Zuhause für verkannte Kunst
       
       Im einer umgenutzten Hamburger Kirche entsteht ein Ausstellungszentrum für
       die lokale Kunst. Initiiert hat „Parabel“ die Kunstsammlerin Maike Bruhns.
       
 (DIR) Mögliche Raubkunst in Bern: Verstoß gegen die Regeln
       
       Kurz vor der Eröffnung: Die Marktgeschichte eines berühmten
       Cézanne-Gemäldes zeigt die Schwierigkeiten bei der Erforschung der Sammlung
       Gurlitt.
       
 (DIR) Open Access in der Hamburger Kunsthalle: Der fremde Blick
       
       Die Hamburger Kunsthalle wagte ein Experiment: Sie ließ Laien aus aller
       Welt eine Ausstellung zusammenstellen – leider mit wenig Mehrwert für
       Besucher.
       
 (DIR) Ausstellung über „artige“ Kunst: Was dem Führer gefiel
       
       Ein Museum in Bochum will wissen, wie die erwünschte Kunst im
       Nationalsozialismus aussah. Es kontextualisiert sie mit „entarteter“ Kunst.
       
 (DIR) Verschollene Kunst: Segen für den Ausverkauf
       
       Hermann Göring hortete Kunst, darunter auch Werke, die als „entartet“
       bezeichnet wurden. Wie die Kirche half, verfemte Werke zu veräußern.
       
 (DIR) Herkunft von NS-Raubkunst: Noch zu viel ist unerforscht
       
       Im Kulturausschuss des Bundestags wird debattiert, wie die
       Provenienzforschung zukünftig erfolgreicher gestaltet werden kann.
       
 (DIR) Der Fall Gurlitt und die Folgen: Gesetzlich korrektes Unrecht
       
       Vor einem Jahr diskutierte die Weltöffentlichkeit über Cornelius Gurlitt
       und die „entartete Kunst“. Seitdem hat sich wenig getan. Woran liegt das?