# taz.de -- 20. Geburtstag von „Monika Enterprise“: Punkige Vögel, hypnotische Sequenzer
       
       > Das Label der Musikerin und Managerin Gudrun Gut wird 20. Auf dem Album
       > „Monika Werkstatt“ gibt sie dem Nachwuchs den Vorzug.
       
 (IMG) Bild: Gudrun Gut und Beate Bartel
       
       „Darum ging es: Man sollte es möglichst nicht können. Das Neue schöpft man
       aus dem Nichtkönnen“, sagt Gudrun Gut. Die Berliner Musikerin und DJ hat
       Ende der siebziger Jahre als Teil der Westberliner Punk-Szene eine der
       wichtigsten emanzipativen Bewegungen von Rock mitgeprägt.
       
       Als die Mauer fiel, wurde Gudrun Gut Technoproduzentin und Labelinhaberin.
       Ihr Label Monika Enterprise, das vor allem Produzentinnen fördert, feiert
       dieses Jahr sein 20-jähriges Jubiläum.
       
       Nachdem sich Gudrun Gut in London das Eruptieren der ersten Punk-Bands
       angeschaut hat, gründet sie ihre erste eigene „Mädchen-Band“: „Das hat
       schon was mit Punk zu tun, dass ich den Mut hatte, was Neues zu machen.
       Das, was an Musik um einen rum war, hat nicht mit einem kommuniziert. Im
       Radio war totale Langeweile. Dann war ich in London – und diese Punk-Sache
       hat mich sofort angesprochen. Ich war eher schüchtern, damit habe ich mich
       fast neu erfunden.“
       
       Guts erste Band heißt Din A4. Bevor es zu einem Auftritt kommt, gibt es
       schon die nächste Band: Din A Testbild mit Mark Eins. Nachdem sie bei Din
       A4 und Din A Testbild Bass und Stylophone, eine elektronische Miniorgel,
       gespielt hat, steigt Gudrun Gut bei Mania D ein – es ist das erste Mal,
       dass sie mit Beate Bartel im Proberaum steht: „Beate hat mich gefragt, ob
       ich bei Mania D mitmachen will. Und ich wollte unbedingt Schlagzeug
       spielen, weil ich ein großer Neu!- und Mittagspause-Fan war und das
       Schlagzeug da so toll war. Das war anders als was es sonst gab. Und dann
       macht man das einfach.“
       
       ## Stadt und Land als zwei parallele Fluchtpunkte
       
       Eine Einstellung, die Gut bis heute hat: „Diese Haltung ist mir nach wie
       vor wichtig – und eben punkig: Wenn etwas nicht gehen soll, das glaube ich
       dann immer nicht.“ Das Produkt der ersten Zusammenarbeit mit Beate Bartel,
       Karin Luner, Eva-Maria Gößling und Bettina Köster – Mania D – ist eine
       dunkle, wavige Art von Punk, die durch Bettina Kösters Saxofon einen
       starken Free-Jazz-Einschlag bekommt, ihr Sound ist betörend experimentell.
       „Queens of Noise“ nannte sie der britische Radio-DJ John Peel.
       
       Mit Beate Bartel kollaboriert Gudrun Gut auch auf der aktuellen
       Veröffentlichung der kanadischen Spoken-Word-Künstlerin Myra Davies.
       Bereits Anfang der 90er arbeiteten Davies und Gut als Miasma zusammen. Auf
       „Sirens“ ist nun Gut mit Bartel für die Instrumentals verantwortlich:
       Düstere elektronische Soundbetten aus Synthesizern und Schlagwerk schrauben
       sich zu Davies’klarer Erzählstimme hinauf.
       
       Das gesampelte Schließen der Berliner S-Bahn-Türen und Rauschen der Züge
       verortet das Album zwischen zwei Welten. Stadt und Land als zwei parallele
       Fluchtpunkte, zu denen Sirenen rufen. Im Song „Sirens Call“ kann man kaum
       entscheiden, ob die Stadtgeräusche zur hypnotischen Musik gehören oder
       durch das offene Fenster hineindringen.
       
       Auch wenn Bartel und Gut jede für sich an einzelnen Stücken geschrieben
       haben, sei am Ende kaum auseinanderzuhalten, wer für welchen Track
       verantwortlich sei, meint Gut. Es sei verblüffend, wie ähnlich sich die
       beiden auch 40 Jahre nach der ersten Zusammenarbeit seien.
       
       ## Der Mauerfall sprengte die festgefahrene Szene
       
       Das Experimentieren mit elektronischer Klangerzeugung war bereits in der
       vielfach untereinander vernetzten Avantgarde der Westberliner Punkszene
       zentral. Gut arbeitete schon Ende der 70er mit einem MS20-Synthesizer von
       Korg. Mit solchen kleinen, verhältnismäßig günstigen Geräten vollzog sich
       damals eine Art Paradigmenwechsel, plötzlich wurde elektronische
       Musikproduktion für immer mehr Menschen zugänglich. Und auch Mania D hatten
       mit Bass, Schlagzeug und Blasinstrumenten bereits zu Tapes mit ätherischen
       Soundschleifen improvisiert.
       
       1980 verhalfen Gut und Bartel der Genialen-Dilletanten-Band Einstürzende
       Neubauten zur Gründung. Sänger Blixa Bargeld gehörte zur Stammkundschaft
       des Ladens Eisengrau, den Gut mit Bettina Köster in Schöneberg betrieb:
       „Das war mehr ein Treffpunkt. Geld verdienen war so gar nicht auf unserer
       Agenda. Ich hab Bafög gekriegt und ab und zu Geld für ein Konzert. Ich weiß
       wirklich nicht mehr, wovon wir damals die Miete gezahlt haben.“
       
       Ein Jahr später wird aus Mania D die Band Malaria!, bestehend aus Gut,
       Köster und Manon Pepita Duursma. Malaria! sollte sich auch über den
       Atlantik hinaus verbreiten, später mit Nina Hagen im New Yorker Studio 54
       spielen und Siouxsie And The Bashees oder The Birthday Party auf Tour
       begleiten. 2001 verneigten sich Chicks On Speed noch einmal vor Malaria!
       und verschafften ihrem Song „Kaltes Klares Wasser“ die erste
       Chartsplatzierung.
       
       Allerdings ohne Beate Bartel, die mit Chrislo Haas, der zuvor bei DAF
       Gitarre gespielt hatte, nach Düsseldorf umsiedelte und Liaisons Dangereuses
       gründete – ein Projekt, dessen Sequenzer-Elektropop besonders in den USA
       großen Anklang fand, als Blaupause für Acidhouse gilt.
       
       Mit dem Ende der 1980er wird Berlins Avantgarde düsterer, die Szene
       machomäßiger. Gudrun Gut packte schon die Koffer, als die Mauer fiel und im
       wahrsten Sinne des Wortes die festgefahrene Szene sprengte. Clubs wie der
       Tresor und das E-Werk bringen plötzlich Produzenten aus Detroit nach
       Berlin, deren Inspiration wiederum bis zu westdeutschen Gruppen wie
       Kraftwerk und eben Liaisons Dangereuses reicht.
       
       ## Zerstören, bevor man was Neues aufbaut
       
       „Techno war damals die Hoffnung und hatte die Kraft, sich mit einer
       Anders-Welt zu identifizieren. In dieser Zeit, 1990 bis 1995. wurde die DDR
       entkernt, da hat die Treuhand das ehemalige Volkseigentum verbrannt und
       verscherbelt“, wird Produzent Harald Blüchel alias Cosmic Baby in der
       Techno-Oral-History „Der Klang der Familie“ zitiert. Neue Freiräume
       entstehen auf den Ruinen der DDR und in Kellern im ehemaligen
       Mauerstreifen.
       
       Man müsse erst etwas zerstören, bevor man etwas Neues aufbauen könne, so
       beschreibt auch Gudrun Gut das destruktive Credo des Punk, das im Aufkeimen
       des Techno wieder Anwendung findet. Der Übergang von Berlins
       Punk-Avantgarde zur komplett elektronisch erzeugten Musik wird so eher zur
       logischen Folge denn zum Bruch. Als nach der Wende Berlin zur Stadt der
       tausend Möglichkeiten wird, wird Techno zum utopischen Fluchtpunkt und
       Gudrun Gut zur gefragten Produzentin. Das Bedürfnis, Berlin zu verlassen,
       stellt sich bei Gudrun Gut erst 20 Jahre später wieder ein.
       
       Heute lebt sie teils in der Uckermark, teils in Charlottenburg, dem
       Berliner Viertel, in dem sie 1975 erstmals Wurzeln geschlagen hat. Mit
       ihren Labels Monika Enterprise und Moabit Musik gibt sie nicht nur ihren
       eigenen Veröffentlichungen ein Zuhause, sondern etablierte mit
       Künstlerinnen wie Barbara Morgenstern oder Pilocka Krach einen offeneren,
       weniger kühlen Elektroniksound.
       
       Auch zum nun anstehenden 20. Labeljubiläum von Monika Enterprise geht es
       für Gudrun Gut in die Uckermark. In ihrem Gästehaus Gut Sternhagen, das sie
       zusammen mit Partner (und dem Musikerkollegen) Thomas Fehlmann betreibt,
       trafen sich zehn Künstlerinnen ihrer Labels Moabit Musik und Monika
       Enterprise, lernten sich kennen, arbeiteten zusammen. Die gemeinsamen
       Sessions wurden dann von jeder zu Hause fertig gestellt.
       
       ## Instinktives Verständnis für diese Musik
       
       Das Ergebnis klingt erstaunlich homogen. Irgendwo zwischen Album und
       Sampler lässt sich die eigene Handschrift der einzelnen Musikerinnen
       heraushören, doch haben die Stücke alle einen erforschenden Charakter
       gemein: Über Klackern, Surren und andere, fast wie Arbeitsgeräusche
       anmutende Klänge sowie einzelne Sprachsamples legen sich ruhige
       elektronische Beats und Synthesizerflächen, weniger technoid, eher
       gebrochen und warm. „Monika Werkstatt“ ist das 90. Release von Guts Label.
       
       Auch Guts aktuellste eigene Veröffentlichung setzt sich auf besondere Weise
       mit dem Werk anderer auseinander. „Vogelmixe“ heißt ihr Remixalbum des
       Projekts „Heimatlieder aus Deutschland“. In Deutschland lebende
       Künstlerinnen und Künstler vereinen Sounds aus der ganzen Welt: Gnawa-Musik
       aus Marokko, Fado aus Portugal, russische Vokaltradition. Auch wenn man
       nicht alle Sprachen verstehe oder zu allen Klangwelten Zugang habe, habe
       man sofort ein instinktives Verständnis für diese Musik, sagt Gudrun Gut:
       „Man entwickelt sofort ein Gefühl für diese spezifische Heimat.“
       
       Auch die Sängerin Heide, die aus einer Familie von Siebenbürger Sachsen
       kommt, einer deutschsprachigen Minderheit in Rumänien, ist in der Reihe zu
       finden. „E kli vält Fijeltchen“ („Ein kleines Wildvögelchen“) heißt Heides
       Song auf der Heimatlieder-Kompilation – ein Stück mit punkiger Haltung, so
       Gudrun Gut, denn der tierische Protagonist verbiege sich für kein Geld der
       Welt, singe nur, wann und wo es ihm gefällt.
       
       28 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Diviam Hoffmann
       
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