# taz.de -- Widerstand gegen Rechts: Teures Platznehmen
       
       > Nach einer Sitzblockade gegen die Islamhasser von Legida hagelte es
       > Bußgeldbescheide. Die Kampagne „Dazusetzen“ wehrt sich dagegen.
       
 (IMG) Bild: Gegendemonstranten machen es sich auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz gemütlich
       
       LEIPZIG taz | „Solidarität muss praktisch werden! Feuer und Flamme den
       Bußgeldbehörden!“, klingt es laut durch die Südvorstadt, als am 17.
       September rund einhundert Demonstranten vom Amtsgericht friedlich in
       Richtung Innenstadt ziehen. Mit der Kampagne „Dazusetzen“ protestieren sie
       gegen Bußgelder in Höhe von insgesamt mehr als 50.000 Euro. Diese wurden
       gegen die Teilnehmer einer Sitzblockade gegen Legida vom 2. Mai 2016
       verhängt, hinzu kommen Strafverfahren.
       
       „Dazusetzen“ wehrt sich gegen die Kriminalisierung der Protestaktion und
       betrachtet die Bußgelder als Repression und Einschüchterung der
       Zivilgesellschaft. Als die Demonstration am Martin-Luther-Ring nahe der
       Thomaskirche ankommt, setzen sich alle. Nur kurz, nur symbolisch.
       
       Genau dort hatte sich am Abend des 2. Mai 2016 eine Gruppe aus einem Zug
       von Gegendemonstranten gelöst und sich auf die geplante Route des
       Legida-Aufmarschs gesetzt. Juliane Nagel, Abgeordnete für Die Linke im
       Sächsischen Landtag, meldete die Aktion als Spontandemo an – genehmigt
       wurde aber nur die eine Hälfte der Blockade auf der Innenfahrbahn. Mehrfach
       forderte die Polizei über Lautsprecheransagen alle Anwesenden auf, sich auf
       die Innenseite zu begeben. „Das haben wir natürlich nicht gemacht“, sagt
       Matt Vox, „wir wollten ein Zeichen setzen“.
       
       Der 27-Jährige mit den leuchtend gelben Haaren war einer von denen, die auf
       der Außenfahrbahn sitzenblieben. Die Polizei setzte die Gruppe daraufhin
       fest, um die Personalien aufzunehmen. Im Sitzenbleiben sah sie einen
       Verstoß gegen Paragraf 22 des Sächsischen Versammlungsgesetzes. Der
       Paragrapf stellt das „vereiteln“, „grobe Störungen“ oder „Gewalttätigkeit“
       gegen genehmigte Versammlungen unter Strafe.
       
       ## Strafanzeigen für Sitzblockade
       
       Als Legida um kurz nach acht auf Höhe der Blockade ankam, konnte die
       ursprünglich genehmigte Route nicht passiert werden – die eine Hälfte des
       Martin-Luther-Rings blockierte die angemeldete Spontandemo, die andere
       Hälfte die von der Polizei umstellte Sitzblockade. Nach einem kurzen Stopp
       wurde der Aufmarsch über eine minimal geänderte Route fortgeführt.
       
       Im Nachklang der Sitzblockade erhielt Matt Vox eine Strafanzeige, ebenso
       wie 142 andere – so die Zählung von „Dazusetzen“. „Im Oktober wurden dann
       etwa 60 Prozent der Anklagen plötzlich von der Staatsanwaltschaft fallen
       gelassen“, sagt Sascha Kaur, Pressesprecher von „Dazusetzen“. Die meisten
       der Anklagen wurden zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft und mit Bußgeldern
       zwischen 300 und 400 Euro belegt. In zehn Fällen blieb es bei einer
       Strafanzeige.
       
       „Wir kritisieren dafür auch die Staatsanwaltschaft, weil es als völlig
       willkürlicher Vorgang erscheint“, drückt der Pressesprecher sein
       Unverständnis darüber aus: „Es sind teilweise Leute, die tendenziell eine
       vergleichbare Vorstrafe haben, aber hier ist auch kein klares Muster zu
       erkennen.“
       
       Die Kampagne „Dazusetzen“ ging im Februar 2016 aus einem Kreis von
       Betroffenen, Freunden und linken Gruppen hervor. Ihr Motto: „Wir hätten uns
       dazugesetzt“. Die Demonstration am Sonntag war nur eine ihrer vielfältigen
       Aktionen. Im Frühjahr hatte „Dazusetzen“ dazu aufgerufen, offene Briefe zur
       Sache an den Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) zu schicken.
       Dass dieser einerseits das vermeintliche Ende der Legida-Aufmärsche im
       Januar dieses Jahres feierte, andererseits aber nichts gegen die Bußgelder
       tat, wollten sie nicht verstehen.
       
       ## Widerspruch gegen Bußgeldbescheide
       
       Seit April stehen außerdem in vielen Cafés Spendendosen. Die Solidarität
       solle sich praktisch auch darin äußern, dass die Betroffenen nicht allein
       auf den Kosten sitzenbleiben. „Im Augenblick haben wir etwa so viele
       Spenden gesammelt, dass wir für zehn bis fünfzehn Betroffene die Kosten
       übernehmen können“, sagt Kaur. Die finanzielle Unterstützung wird mit
       Hilfe des linken Rechtshilfevereins Rote Hilfe abgewickelt.
       
       Etwa 96 Personen haben Widerspruch gegen die Bußgeldbescheide eingelegt,
       einer von ihnen ist Vox. Er sieht das Bußgeld als Schikane: „Ich glaube,
       das Ganze sollte auch ein Exempel statuieren, damit man Angst bekommt und
       sowas nicht mehr macht.“
       
       Das erste Verfahren in einer Strafsache habe im vergangenen März mit einem
       Freispruch geendet, erklärt Pressesprecher Kaur, in dem folgenden Verfahren
       im August sei die Strafe von 900 Euro auf 400 Euro gesenkt worden. „Da war
       in der Begründung des Gerichts auch nicht zu erkennen, was dieser Person
       individuell angelastet wird. Es ging eigentlich nur um die kollektive
       Handlung der Sitzblockade, wo dann einer für alle abgestraft zu werden
       scheint“, sagt er.
       
       „Dazusetzen“ beobachtet die Prozesse und protokolliert die Verhandlungen.
       Am Montag wurden die ersten beiden Fälle von Ordnungswidrigkeiten am
       Amtsgericht Leipzig verhandelt, in denen die Betroffenen Widerspruch gegen
       das Bußgeld eingelegt hatten. 13 Personen zählten die Beobachter von
       „Dazusetzen“ in dem kleinen Gerichtssaal, mehr als dort sonst üblich ist.
       Die Vorwürfe wurden nicht fallengelassen, aber die Bußgelder sanken auf
       jeweils 200 und 100 Euro. Prozess- und Anwaltskosten kommen noch hinzu, da
       es kein Freispruch ist.
       
       ## Sitzblockaden als ziviler Ungehorsam
       
       „Dazusetzen“ versteht die Sitzblockade vom 2. Mai als „Akt der
       Zivilcourage“ gegen das demokratiefeindliche Bündnis Legida. „Diese
       Sitzblockade war ein legitimes Mittel des zivilen Ungehorsams und ein
       deutliches Zeichen gegen die menschenverachtende Haltung, die Legida mit
       regelmäßigen Aufmärschen durch die Stadt trug“, heißt es in ihrem
       Protestaufruf.
       
       Ziviler Ungehorsam als das bewusste Überschreiten von Rechtsgrenzen ist als
       Widerstandsform seit der Antike bekannt. An einer bestimmten Stelle folgen
       die Ungehorsamen ihrem moralischen Gewissen statt einem Gesetz. Er wird in
       der wissenschaftlichen Theorie wertungsfrei als Form von politischer
       Teilnahme beschrieben.
       
       „Wir sehen zivilen Ungehorsam als völlig legitimes Mittel an, um gegen
       menschenfeindliche Aufmärsche zu protestieren“, sagt Kaur: „Uns ist dabei
       durchaus bewusst, dass wir uns im Grenzbereich oder außerhalb des legalen
       Rahmens bewegen, sodass man damit rechnen muss, etwa von der Polizei
       bedrängt zu werden, aber das nimmt man dann für sich an.“
       
       ## Polizei will Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantieren
       
       Polizeisprecher Andreas Loepki hat keinerlei Verständnis dafür, dass die
       Gruppe gegen die Bußgeldbescheide protestiert: „Die Blockade war kein
       Ausdruck der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sondern war am Außenring
       der Straße schlicht der Behinderung oder Unterdrückung eben dieser
       Freiheiten gewidmet.“ Diese würden nun einmal auch den Teilnehmern des
       angemeldeten und durch die Versammlungsbehörde genehmigten Legida-Aufzugs
       zustehen.
       
       Loepki sieht „deutliche Defizite“ im Rechtsverständnis mancher Teilnehmer
       der Blockade und fragt: „Setzen sich die Leute jetzt eigentlich auch vor
       die Wahllokale und blockieren demokratische Grundwerte an dieser Stelle
       ebenfalls? Als Polizei werden wir jedenfalls auch künftig wertungsfrei
       dafür Sorge tragen, dass alle genehmigten Versammlungsteilnehmer ihre
       Grundrechte wahrnehmen können.“
       
       Am 21. September ist Legida nach über einem halben Jahr wieder durch
       Leipzigs Straßen gelaufen. Auf Facebook hieß die Veranstaltung
       zynischerweise: „Legida für Demokratie und Meinungsfreiheit! Dem roten Filz
       auf der Spur!“ Es bleibt auch künftig an der Zivilgesellschaft, sich ihnen
       entgegenzustellen und zu widersetzen.
       
       25 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tabea Köbler
       
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