# taz.de -- Kolumne Macht: Danke für das Gespräch
       
       > Schluss jetzt mit den Befindlichkeiten nach der Wahl. Wer den
       > Nationalismus zurückdrängen will, muss die Europäische Union
       > demokratisieren.
       
 (IMG) Bild: Das Europaparlament in Brüssel während einer Plenartagung
       
       Gut, dass wir mal drüber geredet haben. Welche Ängste grölende
       AfD-Hooligans quälen, was die Kanzlerin fühlt, ob Ostdeutsche irgendwie
       anders sind, und ob Martin Schulz ein schlechter Verlierer. Waren alle mal
       dran, oder fühlt sich jemand ausgeschlossen? Falls nein, dann sollten wir
       kurz die Befindlichkeitsdebatten unterbrechen. Die politischen Gründe für
       den Wahlausgang, vor allem für das Erstarken des Nationalismus, sind
       nämlich durchaus ebenfalls interessant.
       
       Andrea Nahles hat an dem Tag, an dem sie zur neuen Fraktionsvorsitzenden
       der SPD gewählt wurde, etwas Kluges gesagt. Die Rede ist nicht [1][von
       einem kruden Witz], den sie besser nicht gemacht hätte, der aber immer noch
       weniger dämlich war als manche überzogenen Reaktionen darauf. Sondern von
       ihrer Feststellung, dass auf nationaler Ebene viele Themen gar nicht mehr
       verhandelt werden können, künftig also sämtlich auf ihre europäische
       Bedeutung hin betrachtet werden sollten: „Wir werden die Europapartei in
       diesem Parlament sein.“
       
       Zwei Fragen ergeben sich daraus allerdings. Erstens: Warum hat die SPD
       eigentlich mit dem Thema Europa keinen Wahlkampf gemacht? Einen
       Spitzenkandidaten, der davon etwas versteht, hätte sie ja gehabt. Und
       zweitens: Wie wollen die Sozialdemokraten denn damit kraftvolle
       Oppositionspolitik gestalten? Immerhin hat Angela Merkel nur kurz nach
       Andrea Nahles ebenfalls die Bedeutung der Europapolitik betont – worüber
       sie im Wahlkampf übrigens auch wenig geredet hat.
       
       Die Bundeskanzlerin lobte den französischen Präsidenten Macron, der gerade
       in einer Rede eine Reform und Vertiefung der EU [2][gefordert hat]. Im
       Einzelnen wünscht er sich eine gemeinsame Asylpolitik, eine Harmonisierung
       der Unternehmenssteuern und verstärkte militärische Zusammenarbeit. Findet
       Merkel alles prima.
       
       Eine gemeinsame Asylpolitik! Geht’s noch? Unter den gegenwärtigen
       Rahmenbedingungen können sich nationalistische Parteien in Europa kaum ein
       schöneres Geschenk wünschen. Die Reden ihrer Vertreter werden sich leicht
       schreiben: Die „da oben“ kaspern alles aus, und „das Volk“ wird nicht
       gefragt. Trillerpfeifen, Böller. Das Problem: Die Völkischen hätten
       angesichts der gegenwärtigen Rahmenbedingungen nicht einmal ganz unrecht.
       
       Ja, eine gemeinsame Asylpolitik der EU wäre wünschenswert, ebenso wie die
       Vertiefung der Zusammenarbeit auf anderen Gebieten. Aber erst nachdem
       endlich die dringlichste Aufgabe in Angriff genommen worden ist, für die
       sich keine der europäischen Regierungen besonders zu interessieren scheint:
       nämlich die Demokratisierung der Europäischen Union.
       
       ## Das Legitimitätsproblem
       
       Nach wie vor wird das Prinzip der Gewaltenteilung auf europäischer Ebene
       missachtet, die Regierungen und die EU-Kommission werden auf Augenhöhe von
       keinem Parlament kontrolliert. Das Europaparlament hat ja nicht einmal das
       Recht, Gesetze vorzuschlagen. So lange das so bleibt, hat die EU-Politik
       ein Legitimitätsproblem.
       
       Demokratie ist mühsam, eine Reform der europäischen Institutionen ist es
       auch. Aber ohne eine solche Reform werden Nationalisten in Europa auch
       weiterhin steigenden Zulauf finden. Ganz unschuldig sagen demokratische
       Politiker und Politikerinnen immer wieder, auf nationaler Ebene könne ja
       vieles gar nicht mehr entschieden werden. Recht haben sie. Aber aus dieser
       unbestreitbaren Tatsache müssen endlich systemische Konsequenzen gezogen
       werden. Anders lässt sich das demokratische System langfristig nicht
       retten.
       
       Zugegeben: Klatsch ist lustiger, Personalfragen sind es auch. Aber es geht
       jetzt um Grundsätzliches. Können wir endlich auch darüber mal reden?
       
       29 Sep 2017
       
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