# taz.de -- Die Wahrheit: Über Brücken statt über Rücken
       
       > Sieben wissenswerte Dinge über den beliebten Brückentag. Von Brügge bis
       > Bayern, von Albanien bis zum Kirschmond.
       
       Am nächsten Montag wird den Arbeitnehmern dieses Landes bereits der dritte
       Brückentag des Jahres 2017 gegönnt. Aus diesem herrlichen kalendarischen
       Anlass beleuchtet die Wahrheit an dieser Stelle die bislang weitgehend
       unbekannten Hintergründe des sagenhaften kleinen Zeitraums, der zwischen
       zwei freien Tag liegt und immer gern zum verlängerten Wochenende einlädt. 
       
       ## Im Land der Klemmtage
       
       In Schweden heißen die Brückentage klämdagar, also Klemmtage, und werden
       von allen Angestellten, ihren Verwandten sowie Passanten gefeiert, die so
       blöd sind, am klämdag auf die Straße zu gehen. Schon am Vorabend des
       Festtages wird jeder schwedische Vorgesetzte (oder ein zufälliger Passant)
       von den Mitarbeitern mit einem Festtagstrunk, dem klämglögg, gefügig
       gemacht und mit der traditionellen klantkrona, einer Kopfbedeckung aus
       fermentiertem Hering und Birkenlaub, geschmückt. Dann wird er über Nacht im
       Büro eingeschlossen, während die Belegschaft schmutzige Lieder singt, die
       in Schweden nur in staatlich geführten Geschäften erhältlich sind. Gegen
       Morgengrauen wird der Vorgesetzte (oder zufällige Passant) mit lautem
       Schellengerassel geweckt und rituell mit dem Daumen zwischen Tür und Rahmen
       geklemmt, bis er den klämdag ausruft oder besinnungslos zusammenbricht. In
       beiden Fällen gilt der Tag als arbeitsfrei. Mittlerweile werden klämdagar
       auch außerhalb Schwedens gefeiert, wofür ein Möbelhaus verantwortlich ist.
       Allerdings ist das Einklemmen des eigenen Daumens in selbstgebastelten
       Sperrholzfallen lediglich ein blasser Abklatsch dieses prächtigen
       schwedischen Volksbrauchs.
       
       ## Kwai in Flammen
       
       Wer kennt nicht die cinematografischen Meisterwerke des Brückenfilms, die
       den Namen so manchen Ortes oder Flusses bis in den letzten Winkel der Erde
       getragen haben? Doch kaum jemand weiß, dass am Kwai wie in Remagen ein
       Brückentag nicht 24, sondern mindestens 48 Stunden dauert. So lange braucht
       es, auf dem althergebrachten Volksfest „Kwai in Flammen“ sämtliche
       unnötigen Gebäude niederzubrennen und die Bambusschnapsvorräte restlos zu
       vertilgen. Auf dem „Remagener Rheinspringen“ hingegen benötigen die
       Ordnungsbehörden allein zwei Tage, um alle nackten Betrunkenen aus dem
       Strom zu fischen. Weshalb die Kirmes auch im Volksmund „Brückentag XXL“
       genannt wird.
       
       ## Vögel in Blau
       
       Erstmals ins ästhetische Bewusstsein der Moderne gelangte der Brückentag
       durch die Ende des 19. Jahrhunderts in Brügge gegründete flämische
       Künstlervereinigung „De Brugdag“. Die drei Hauptvertreter der weit in alle
       Kunstgattungen hinein wirkenden Strömung waren Hein, Henk und Harm Zatzka.
       Die eineiigen Drillinge sogen schon mit der Muttermilch die belgische
       Dekadenz ein. Sie kamen von ganz unten, malten alles blau, Vögeln aber galt
       ihre ganze Leidenschaft. Auf ihr ornithologisches Lieblingsmotiv geht das
       Wappentier Belgiens zurück: der Eisvogel, der traditionell am ersten
       Brückentag des Jahres mit dem Genuss des Likörs Blue Curacao gefeiert wird.
       
       ## Archaischer Geist
       
       In den unzugänglichen Berggegenden Albaniens waren sowohl Brückentage als
       auch die namensgebenden Brücken bis ins frühe 20. Jahrhundert verpönt. Zwar
       waren die Skipetaren in den Ingenieurkünsten durchaus bewandert, doch galt
       ihnen deren Ausübung als weibisch, wie ihnen alles als weibisch galt, was
       sich nach einer halbwegs praktikablen Lösung anhörte. Flüsse durften der
       Tradition nach ausschließlich auf den Rücken toter Feinde überquert werden.
       Auch heute noch spiegelt der kanun, das berühmt-berüchtigte Arbeitsrecht
       der Albaner, etwas von jenem archaischen Geist wider, dem es weniger um
       Bequemlichkeit als um Stolz geht. Einen Brückentag kann jeder albanische
       Arbeitnehmer einfordern, der sich in seiner Ehre gekränkt oder sonst wie
       unwohl fühlt. Dazu muss er einen männlichen Verwandten überreden, mit ihm
       im Betrieb den përleshje, einen bewaffneten Reigen, zu tanzen oder einen
       volljährigen Hammel als Vertretung einarbeiten. Ersatzweise genügt ein
       Attest des Hausarztes sowie der Nachweis einer Blutfehde mit der Familie
       des Vorgesetzten, die mindestens bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen
       muss. Progressive Arbeitgeber akzeptieren mittlerweile auch einen bösen
       Blick als Urlaubsschein.
       
       ## Kalbender Kirschmond
       
       Sogar Japan kennt Brückentage, auch wenn sie im Land der aufgehenden Sonne
       weniger geschätzt werden als im Westen. Die letzte dieser irregulären
       Auszeiten genossen japanische Arbeitnehmer in den Tagen zwischen den
       Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, was ihre geringe Popularität
       erklären dürfte. Ferner gilt es in der traditionell leistungsorientierten
       Gesellschaft Nippons als ungehörig, offen über arbeitsfreie Tage zu
       sprechen, so dass lieber zu blumigen Umschreibungen wie „Tag des frierenden
       Seeungeheuers“ oder „Zeit des kalbenden Kirschmondes“ gegriffen wird, deren
       Bedeutungen jedoch nicht einmal gelernten Japanern klar sind. Jeder
       Brückentag muss ferner mit einer Tee-Zeremonie eingeläutet werden, die bis
       zu drei Monate dauern kann und nur noch von wenigen Shinto-Priestern
       beherrscht wird. Bei japanischen Arbeitgebern ist der reguläre Jahresurlaub
       ohnehin beliebter, weil er nur halb so lang ist wie ein normaler
       Brückentag.
       
       ## Vorkämpfer in Deutschland
       
       Auf maßgebliches Betreiben des christsozialen Bundestagsabgeordneten
       Winfried Maria Laumann hin sollte im Jahr 1972 der Brückentag in
       Deutschland zum gesetzlichen Feiertag erklärt werden. Doch Laumann hatte
       zwei mächtige Gegner: den sozialdemokratischen Granden Herbert Wehner, der
       ihn mit seinem ätzenden Spott in den Wahnsinn trieb („Laumann – Flaumann“);
       und den bayerischen Landesfürsten Franz-Josef Strauß, der Laumanns Vorstoß
       als Angriff auf seine persönlichen Pfründe sah, war es Strauß doch
       gelungen, die damals noch existierende Brückentagssteuer über Karibikkonten
       in seine eigene Tasche zu lenken. Ein konstruierter Alkoholskandal wurde
       Laumann schließlich zum Verhängnis. Vereinsamt und verbittert starb der
       Vorkämpfer für die Freiheit aller Tage Ende des vorigen Jahrhunderts in
       einem Sanatorium – natürlich an einem Brückentag.
       
       ## Dampfende Kräuter
       
       Im indischen Thiruvananthapuram gilt der Brückentag als heilig. Seine
       Schutzherrin ist die hinduistische Göttin Lakshmi, die auch als „die Brücke
       zum Glück“ bekannt ist. Ihr zu Ehren verbrennt die letzte Maharani des
       längst untergegangenen Fürstentums Travancore am dritten Tag des
       Diwali-Festes in den örtlichen Tempeln sämtliche im Monsun gewonnenen
       geistigen Kräuter. Der über der Stadt aufsteigende Dampf erzeugt in jedem
       Brückentagsfreund einen wohlig sanften Rausch, der auf keine Kuhhaut, aber
       dafür über sieben Brücken geht.
       
       28 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
 (DIR) Michael Ringel
       
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