# taz.de -- Videobeweis in der Bundesliga: So macht man das!
       
       > Die taz hat sich die Fehler der bisherigen Handhabung des Videobeweises
       > genau angeschaut – und ein Gegenmodell entworfen.
       
 (IMG) Bild: Was gibt es Schöneres, als einem Schiedsrichter beim Fernsehen zuzuschauen?
       
       BERLIN taz | So geht es nicht weiter. Der zu dieser Saison [1][probeweise
       eingeführte Videobeweis] beweist bislang nur eines: Er wurde recht kopflos
       und übereilt eingeführt. Er ist eine Farce. Statt die Schiedsrichter durch
       das technische Hilfsmittel zu entlasten, wurden sie entmündigt. Statt für
       mehr Klarheit zu sorgen und die leidigen Debatten über Fehlentscheidungen
       zu beenden, wird so viel wie nie zuvor über fragwürdige Eingriffe ins Spiel
       diskutiert.
       
       Lutz Michael Fröhlich, der neue Projektleiter des Videobeweises, hat
       deshalb alle zur Mithilfe aufgerufen. „Es gibt Probleme, aber er (der
       Videobeweis, Anm. der Redaktion) ist sicher nicht gescheitert. Jetzt liegt
       es an allen – Schiedsrichter, Vereine, Fans und Medien –, ihn nach vorne zu
       bringen.“
       
       Die taz-Sportredaktion will sich der Aufgabe gern stellen. Zumal die ersten
       Korrekturmaßnahmen, die Fröhlich ankündigte, fast schon satirischen
       Charakter haben. Statt aus den gemachten Fehlern zu lernen, sollen diese
       bestärkt werden. In der Kölner Überwachungszentrale soll künftig pro Spiel
       ein zweiter Videoschiedsrichter sitzen. Mehr vom Falschen und Alten scheint
       die Devise zu heißen. Dabei ist ein Neuanfang notwendig. Die taz hätte da
       ein paar Ideen:
       
       Das Schiedsrichterwesen ist allein dem Deutschen Fußball-Bund unterstellt.
       Nichts läuft ohne den DFB. Doch was genau läuft, soll niemand wissen. Die
       Schiedsrichterei ist ein Geheimbund. Und am liebsten hätten es der DFB,
       wenn das so bliebe. Als Manuel Gräfe, ein äußerst erfahrener
       Bundesliga-Schiedsrichter, in einem Interview jüngst [2][Vetternwirtschaft,
       Intransparenz und schlechten Führungsstil in der Schiedsrichterabteilung]
       anprangerte und dabei auf ein Günstlignssystem hinwies, verpasste ihm die
       Ethikkommission des DFB glatt einen Maulkorb.
       
       ## Fandel ist raus
       
       Dass er mit seiner Kritik einen Nerv getroffen hatte, zeigt, dass Heribert
       Fandel nun keine Lehrgänge der Schiedsrichter-Elite mehr besuchen darf,
       obwohl er Chefcoach der Referees ist. Und dass einer wie Hellmut Krug seine
       Rolle als Supervisor der Videoschiedsrichter so interpretiert hat, dass er
       Einfluss auf mehrere Entscheidungen in einem Spiel genommen hat, ist
       natürlich auch nicht öffentlich verhandelt worden. So kann es nicht
       weitergehen.
       
       Es braucht einen unabhängigen Schiedsrichterverband, in dem sich
       Berufsschiedsrichter selbst organisieren. Die Führung des Verbandes sollte
       von den organisierten Referees gewählt werden. Eine Amtszeitbegrenzung von
       vier Jahren sollte das Aufkommen eines feudal agierenden Günstlingssystem
       verhindern helfen.
       
       Natürlich geht es nicht ganz ohne Einfluss der Verbände. Der DFB bleibt für
       die Umsetzung der internationalen Fußballregeln in Deutschland
       verantwortlich. Die Ausführungsbestimmungen werden mit Profischiedsrichtern
       beraten. Die DFL finanziert den Schiedsrichterverband und sollte als
       Mitglied eines Aufsichtsrats in finanziellen Fragen eine Kontrollfunktion
       haben. Ansonsten organisieren sich die Schiedsrichter selbst, sorgen für
       das Training, das Scouting und die Ansetzungen.
       
       Sollten die Verbände versuchen, Einfluss auf Entscheidungen der
       Schiedsrichtergilde zu nehmen, muss dies umgehend öffentlich gemacht
       werden. Die Sportgerichtsbarkeit sollte einem Schiedsgericht unterstellt
       werden. Bis jetzt ist der DFB Ankläger und Richter in einem. Keine gute
       Idee. Die Schiedsrichter müssen Zeugen sein, der DFB Ankläger und die
       Richter unabhängig. Freuen wir uns also auf transparente Verfahren, die
       auch dann funktionieren, wenn einmal ein Schiedsrichter wegen
       Manipulationsverdacht auf der Anklagebank landet.
       
       ## Weg mit den Videoassistenten
       
       Die Deutsche Fußball-Liga hat zu Beginn dieser Saison namentlich einen
       „Videoassistenten“ eingeführt, der in Wirklichkeit jedoch der Chef ist.
       Schon diese unaufrichtige Bezeichnung offenbart, dass hier Unpassendes
       passend gemacht werden sollte. Welcher Schiedsrichter würde dem Mann am
       Bildschirm im Kölner High-Tech-Studio, der im Besitz der Superzeitlupe ist,
       widersprechen? So sind die Schiedsrichter auf dem Feld zum verlängerten Arm
       der Kölner Kontrolleure geworden, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit
       wähnen und per Funk ihre Handlanger steuern. Aber auch die Unparteiischen
       vor den Bildschirmen sind lediglich Interpreten von strittigen Szenen.
       
       Klar, es gibt unstrittige Fehlentscheidungen. Dennoch ist das Einsatzgebiet
       der Videoassistenten („gravierende Fehler des Schiedsrichters“) nicht klar
       definierbar. Wann wird ein Fehler gravierend? Der Fußball ist nicht von
       subjektiven Einflüssen zu befreien. Das cleane Kölner Studio der objektiven
       Wahrheitsfindung ist eine Fiktion.
       
       Auch hier schwappt – wenn auch von außen nicht nachvollziehbar – jede Menge
       Menschliches hinein. Schiedsrichter stehen in einem Konkurrenzverhältnis
       zueinander. Macht einer Fehler, profitieren die anderen. Es geht um Macht
       und Aufstieg. Dass die einen die anderen objektiv kontrollieren könnten,
       ist eine Schnapsidee. Die Spielleitung muss wieder an den Ort des
       Geschehens verlegt werden.
       
       ## Verantwortung dezentralisieren
       
       Der Verzicht auf das zentrale Wahrheitsorgan, das Kölner Kontrollstudio,
       soll aber nicht zum Verzicht des Videobeweises führen. Denn die Einsicht,
       dass Irrtümer nur begrenzt vermieden und Gerechtigkeit nicht von oben herab
       organisiert werden kann, unterstreicht vielmehr die Vorzüge des
       Challenge-Systems, wie es etwa im American Football in der National Fooball
       League in den USA praktiziert wird. Dort können die Trainer zweimal im
       Spiel Schiedsrichterentscheidungen anfechten.
       
       In der Fußball-Bundesliga sollte man sich künftig auf jeweils eine
       Intervention des Trainers während einer Partie beschränken, um einerseits
       den Fluss des Spiels zu gewährleisten und um andererseits die Autorität des
       Schiedsrichters nicht zu häufig in Frage stellen zu können. Die technischen
       Voraussetzungen dafür sind schon erfüllt, da die Referees bereits in dieser
       Saison nach Eingriffen aus Köln sich die jeweiligen strittigen Spielszenen
       an einem TV-Bildschirm am Spielfeldrand anschauen konnten.
       
       Die Vorteile dieses Modells liegen auf der Hand. Den Beschwerdeführern bei
       Fehlentscheidungen wird die Kontrollmöglichkeit selbst in die Hand gegeben.
       Indem man die Trainer in die Verantwortung miteinbezieht, nimmt man ihnen
       auch die Möglichkeit, es sich auf der Kläger- und Opferseite zu bequem zu
       machen. Die strikte Begrenzung der Interventionsmöglichkeit wird wiederum
       dazu führen, dass das Instrument nur in vermeintlich glasklaren Situationen
       genutzt wird und die Wahrscheinlichkeit von Streitfällen, wie sie in den
       letzten Wochen inflationär verhandelt wurden, verringert wird.
       
       Sowohl die Fifa als auch DFB und DFL haben sich bislang schwer mit dem
       Gedanken getan, Schiedsrichtermacht abzugeben, weshalb man das
       Challenge-System nicht einmal testen wollte. Die jüngsten Erfahrungen
       machen aber die Notwendigkeit einer Umkehr sichtbar. Statt den Druck auf
       das Schiedsrichterwesen mit der Schaffung eine Oberinstanz noch zu
       erhöhen, sollte man ihn mit der Schaffung von Nebeninstanzen abfedern.
       
       ## Entscheidungen sichtbar machen
       
       Warum die Zuschauer im Stadion weniger vom Spiel sehen sollten als die Fans
       vor den Bildschirmen zu Hause und in der Kneipe, ist nicht einzusehen. Die
       strittige Entscheidung, die sich der Schiedsrichter noch einmal auf dem
       Bildschirm ansieht, gehört auf die Stadionleinwand. Dadurch, dass es die
       Coaches sind, die für die Überprüfung einer Szene sorgen, wird das
       Videostudium zum Teil des Spiels.
       
       Die Beteiligten befinden sich in der Arena. Das Videostudium wird zum Teil
       des Events. Wieso sollte man das nicht zeigen dürfen. Ob den Fans der
       Ausgang der Challenge passt oder nicht, sollte keine Rolle spielen.
       Gepfiffen wurde schon immer über Schiedsrichterentscheidungen – auch dann,
       wenn die ungehaltenen Fans ganz genau wussten, dass der Schiri gar nicht
       falsch lag. Wer das verhindern will, muss das Publikum gleich ganz
       aussperren.
       
       ## Fair Play wagen
       
       Es mag peinlich klingen, moralisch, naiv oder dumm. Aber wie wäre es
       eigentlich, wenn sich die Spieler dem Fair-Play-Gedanken verpflichten
       würden. Wenn sie nach einem Schubser nicht so täten, als müsste ihnen
       gleich ein Bein amputiert werden. Wenn sie nicht so oft zum Flug über die
       Grasnarbe abheben würden, wenn sie nur den Atem eines Gegenspielers spüren.
       Wenn sie nicht so oft Anlauf nehmen würden und mit einem gezielten Tackling
       das Sprunggelenk des Gegenspielers anvisieren würden.
       
       Und vor allem – wenn sie nicht wider besseres Wissen jede
       Schiedsrichterentscheidung gestenreich kritisieren würden, als stünde ihnen
       ein Blinder gegenüber. Wäre mal was anderes.
       
       10 Nov 2017
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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