# taz.de -- G20-Großrazzia in der linken Szene: Der Kern des Schwarzen Blocks
       
       > Die Polizei sucht nach Querverbindungen bei den G20-Protesten.
       > Aktivist*innen üben Kritik.
       
 (IMG) Bild: Wurde auch durchsucht: das „Linke Zentrum Lilo Hermann“ in Stuttgart
       
       HAMBURG/GÖTTINGEN/BERLIN taz | In 3.000 Fällen ermittelt die SoKo
       „Schwarzer Block“ gegen G20-Gegner*innen. Doch durchsucht hat die Polizei
       am Dienstagmorgen in Hamburg nur die Wohnung eines alten Bekannten. In der
       Wohnung von Deniz Ergün, der mit bürgerlichem Namen anders heißt, müssten
       sich die Polizist*innen schon ziemlich gut auskennen.
       
       Am Dienstag Morgen gegen sechs Uhr durchsuchte die Soko seine Wohnung zum
       zweiten Mal wegen der Gipfelproteste. Ergün hatte das Camp der
       Gipfelgegner*innen im Altonaer Volkspark angemeldet und gehört zur Gruppe
       „Roter Aufbau Hamburg“. Die Durchsuchung stand im Kontext einer
       bundesweiten Razzia: 25 Privatwohnungen und linke Zentren in acht
       Bundesländern durchwühlten die Beamt*innen in den frühen Morgenstunden.
       
       Ganz überraschend kam das nicht: Über die verschlüsselten
       Nachrichtendienste Signal und Telegram kursierten bereits am Montag
       Warnungen vor bevorstehenden Hausdurchsuchungen. „Es gibt gesicherte Infos,
       dass morgen oder übermorgen bundesweit Durchsuchungen stattfinden“, lautete
       die Warnung. „Aufräumen, Elektrogeräte ausmachen und in andere Wohnungen
       bringen, alle Dinge im Zusammenhang mit Juli vernichten!“
       
       „Es geht darum, Hintergründe und Strukturen offenzulegen von bekannten
       Tätern“, sagt der Polizeipräsident Ralf Martin Meyer bei einer
       Pressekonferenz am Dienstag, „um dabei näher an den Kern der autonomen
       Szene heranzukommen.“ Konkret geht es um einen Vorfall am 7. Juli, dem Tag
       des Gipfelbeginns, in der Straße Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld. Dort
       waren am frühen Morgen etwa 150 Demonstrant*innen auf dem Weg in die
       Innenstadt auf zwei Polizeieinheiten getroffen.
       
       Nach Schilderungen der Polizei hätten die Aktivist*innen die Beamten
       „massiv angegriffen“. Auf Polizeivideos sieht man Gegenstände wie
       Rauchtöpfe in Richtung der Polizist*innen fliegen, auch drei oder vier
       Steine sind auf dem Boden zu sehen.
       
       „Massiv“ war der Angriff allerdings eher von der Gegenseite. Als die
       Gegenstände fliegen, stürmen die Beamt*innen los und zerschlagen die Demo
       binnen Sekunden unter Wasserwerferbeschuss. Die Aktivist*innen springen bei
       ihrer Flucht über einen Zaun, der abbricht und elf von ihnen zwei Meter in
       die Tiefe stürzen lässt. Sie tragen schwere Verletzungen davon. Die Polizei
       nimmt 73 Menschen fest.
       
       ## Demonstranten wie Hooligans?
       
       Einer von ihnen steht seit Anfang November vor Gericht: Der inzwischen
       19-jährige Italiener Fabio V. saß fast fünf Monate in Untersuchungshaft,
       bis er vergangene Woche entlassen wurde. Ihm wird hauptsächlich schwerer
       Landfriedensbruch vorgeworfen.
       
       Das Verfahren gegen ihn wird unter anderem von Amnesty International
       kritisiert, weil ihm keine individuelle Gewalttat vorgeworfen wird und ihn
       kein Zeuge belasten kann. Die Staatsanwaltschaft führt seine
       „Szenezugehörigkeit“ gegen ihn an und wirft ihm vor, dabei gewesen zu sein.
       
       Auch die Privatpersonen, deren Wohnungen am Dienstag durchsucht wurden,
       stünden im im dringenden Tatverdacht, Teil dieser Gruppe gewesen zu sein,
       sagte Meyer. Gegen sie werde wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt.
       
       In ihrer Argumentation stützt sich die Polizei auf Paragraph 126 des
       Strafgesetzbuches, in dem es um die „Störung des öffentlichen Friedens
       durch Androhung von Straftaten“ geht. Das aber ist heikel: In einer
       Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs vom Mai 2016 urteilten die
       Richter*innen zwar, dass Mitmarschieren in einer gewaltbereiten Gruppe für
       Landfriedensbruch ausreiche – man müsse nicht selbst Gewalt ausgeübt haben
       um sich strafbar zu machen.
       
       ## „Ein gewalttätiger Mob“
       
       Allerdings beziehen sie sich dabei nicht auf Demonstrantinnen, sondern auf
       Fußball-Hooligans. Die Richter*innen grenzten den Fall sogar explizit von
       Demonstrationen ab: „Alle Teilnehmer der Menschenmenge (der Hooligans, Anm.
       d. Red) verfolgten einzig das Ziel, geschlossen Gewalttätigkeiten zu
       begehen. Dadurch unterscheidet sich dieser Fall von Fällen des
       ‚Demonstrationsstrafrechts‘.“
       
       Polizeipräsident Meyer hingegen ist sich sicher: „Es handelt sich um einen
       in seiner Gesamtheit gewalttätigen Mob.“ Wer bei einer Aktion wie am
       Rondenbarg dabei sei, mache sich strafbar.
       
       Nach Recherchen des NDR ging es bei den Razzien noch um einen zweiten
       Vorfall: In der Altonaer Elbchaussee waren ebenfalls am 7. Juli Autonome
       durch die Straße gezogen und hatten Autos angezündet, Scheiben
       eingeschmissen und Mülleimer angekokelt.
       
       Laut NDR geht die Polizei davon aus, dass die Aktivist*innen dafür auf
       Depots mit Wechselkleidung und Pyrotechnik zurückgreifen konnten, die von
       Hamburger*innen vorbereitet worden seien. Meyer wollte sich dazu jedoch
       nicht äußern.
       
       ## Linkspartei kritisiert Einsatz
       
       Neben Hamburg war am Dienstag auch Göttingen ein Schwerpunkt der
       bundesweiten Razzia – unter anderem am „Roten Zentrum“, in dem sich auch
       das Regionalbüro der linken Europaabgeordneten Sabine Lösing befindet,
       sowie die Bundesgeschäftsstelle der „Roten Hilfe“.
       
       Lösings kritisierte den Einsatz: „Da wird mit allen Mitteln versucht, linke
       Aktivistinnen und Aktivisten auf eine Stufe mit Terroristen zu stellen.“
       Ihr Abgeordnetenbüro grenzt direkt an eine der durchsuchten Wohnungen an.
       Auch die Linkspartei in Niedersachsen und Hamburg verurteilte die
       Polizeieinsätze als vollkommen unverhältnismäßig und unbegründet.
       
       Der Rechtsanwalt Sven Adam war am Morgen vor Ort. Er sprich von einem
       „total überdimensionierten“ Auftritt der Polizei. Zwei Bewohner des Hauses
       seien verletzt worden, gegen die sich der Durchsuchungsbeschlüsse nicht
       gerichtet habe.
       
       Einer habe zwischenzeitlich nicht mehr atmen können und sei mit einem
       Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht worden. Ein weiterer Mitbewohner
       habe ein geschwollenes Auge und eine Platzwunde am Kopf davongetragen.
       
       ## „Ein massiver Einschüchterungsversuch“
       
       „Für mich sieht es so auf, als habe die Polizei so dermaßen wenig an
       Beweisen in der Hand, dass sie nun einen hohen Verfolgungsdruck haben und
       hoffen, irgendetwas zu finden“, sagte Adam. „In Hamburg brauchen sie
       Sündenböcke, weil ihnen die Verfahren aus den Händen gleiten“.
       
       Auch die Wohnung des Journalisten und Piratenpolitikers Meinhart Ramaswamy
       wurde in Göttingen durchsucht. „Ich zittere immer noch am ganzen Körper“,
       sagte der Kreistagsabgeordnete der taz. Die Polizei habe mit 25 Personen
       seine Wohnung gestürmt und auch seine persönlichen Festplatten und
       USB-Sticks mitgenommen.
       
       Seine Anwältin, die während der Durchsuchung auf rechtswidriges Verhalten
       der Beamt*innen hingewiesen habe, sei gar nicht beachtet worden. „Sie
       sagten nur, wir könnten ja hinterher gerne noch dagegen klagen“, sagte
       Ramaswamy.
       
       Er versteht die Aktion als klaren Einschüchterungsversuch gegenüber ihm und
       der linken Szene. „Damit wollen sie ein Signal setzen, nach dem Motto ‚Wir
       machen euch klein!‘“, sagte der Piratenpolitiker, der sich insbesondere in
       der Anti-Atom-Politik und im Kampf gegen Rechts engagiert.
       
       ## Brandmarken von Opfern?
       
       Vor einigen Monaten war Ramaswamy zu Hause mehrfach von Neonazis bedroht
       worden. Als er sie damals gebraucht habe, habe er sich von der Polizei im
       Stich gelassen gefühlt.
       
       Auch außerparlamentarische Gruppen in Göttingen verurteilten die
       Durchsuchungen. Die Gruppe „redical M“ spricht von einer „Kriminalisierung
       linker Aktivisten“, mit der die „massive Polizeigewalt beim G20-Gipfel“ im
       Nachhinein gerechtfertigt werden solle.
       
       Eine Sprecherin der Gruppe sagte: „Es überrascht uns nicht, dass die
       Polizei jetzt nun versucht, die Opfer von Polizeigewalt als Organisatoren
       von militanten Aktionen öffentlich zu brandmarken.“ Das sei „räudig“. Die
       Gruppe kündigte Proteste gegen die aus ihrer Sicht „ungerechtfertigten
       Durchsuchungen“ an.
       
       Noch in diesem Monat will die Polizei mit Fahndungsfotos nach weiteren
       Verdächtigen militanter Linken suchen.
       
       5 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Schipkowski
 (DIR) Lena Kaiser
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