# taz.de -- Kultur- und medienhistorische Studien: Die Gewalt des Begehrens
       
       > Die Zeitschrift Fotogeschichte untersucht mögliche
       > „Grenzüberschreitungen“ von Mode und Fotografie. Und auch unmögliche.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus Cindy Sherman im Balenciaga Kufiya Dress: Untitled #463 (2007-2008)
       
       Als Cindy Sherman 2007 für die französische Vogue eine Fotostrecke mit Mode
       von Balenciaga fotografierte, war die Welt der visuellen Information über
       Mode, so könnte man sagen, noch in Ordnung. Seitdem ist sie ziemlich
       unübersichtlich, da aufgrund mobiler Apps und Social Media deutlich
       vielfältiger geworden. Modeblogs und soziale Netzwerke mit ihren
       Influencern sind heute maßgebliche Größen im Modebereich.
       
       Der Begriff Influencer stammt übrigens aus dem Jahr 2007. Grund genug für
       die Zeitschrift Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der
       Fotografie bis zu diesem Zeitpunkt einmal die „Grenzüberschreitungen“ von
       Mode und Fotografie zu untersuchen.
       
       Zunächst interessiert Andrea Kollnitz und Friedrich Weltzien die Rolle der
       surrealistischen Modefotografie bei der italienischen Malerin Leonor Fini
       und dem deutschen Künstlers Wols. Auf je unterschiedliche Weise bot der
       Surrealismus ihrer Praxis Durchlässigkeit: Zwischen Hoch- und
       Gebrauchskunst, zwischen Boheme und Kommerz, und zwischen den
       Geschlechtern, durch „Androgynie, Animalisierung, Verdinglichung und
       Rollenspiel“, wie die Autoren feststellen.
       
       Ebenfalls in den 1930er Jahren angesiedelt ist das Thema des Aufsatzes von
       Antje Kraus-Wahl über Textilien in der Modefotografie. Zu dieser Zeit
       spielten Materialien und Materialinnovationen sowohl in der Haute Couture
       als auch im Bereich der Konfektion eine zentrale Rolle. Man experimentierte
       viel mit synthetischen Materialien, etwa gummierten Garnen für
       Stretchstoffe, mit Metallfäden, sogar mit Cellophan. Um ihre Leserinnen
       über diese Textilinnovationen zu informieren, konzipierten Harper’s Bazaar
       und Vogue, so die Autorin, entsprechend spezielle Fotostrecken.
       
       ## Dann definiert Anti-Glam die Modefotografie
       
       Mit Annette Geigers Untersuchung zur Modefotografie von Guy Bourdin sind
       die 1970er Jahre erreicht. In Hinblick auf die von sexueller Gewalt und
       Glamour nur so triefenden Inszenierungen Bourdins, kommt Geiger zum
       Schluss, hier werde keineswegs phallische Macht im bekannten Sinn
       ausgestellt, etwa entsprechend Lacans Theorie „den Phallus haben“ (Mann),
       „der Phallus sein“ (Frau). Vielmehr spitze Bourdin das Setting so zu, dass
       die Gewalt des Begehrens allein von Mode und Konsum ausgehe.
       
       Zwei Dekaden später definiert Anti-Glam die Modefotografie. Bis in die
       1990er Jahre ist die Geschichte der Modefotografie die Geschichte der
       Fotografen und Fotografinnen, die für Vogue und Harper’s Bazaar arbeiteten.
       Dann aber haben plötzlich unabhängige, subkulturellen Strömungen wie
       Post-Punk entstammende Magazine die Definitionsmacht im Modegeschehen. Eine
       Revolution. Juergen Teller wie Wolfgang Tillmans, deren frühe Arbeiten
       Charlotte Silbermann untersucht, arbeiteten für solche Magazine, allen
       voran i-D und The Face.
       
       Die Amerikanerin Taryn Simon (*1975) ist längst eine der wichtigsten
       Künstlerinnen der Gegenwart. Was weniger bekannt ist: Sie startete als
       Modefotografin, und nach Katharina Zimmermann und Anne Söll erwuchs ihr
       Archiv unserer Tragödien, also ihre fotografisch-künstlerischen Recherche-
       und Installationsarbeiten, just dieser Arbeit mit der Mode. Kein
       Trickle-down-Effekt von Kunst zur Mode, sondern ein Bubble-up-Phänomen von
       Modeüberlegungen hin zur Kunst.
       
       Faszinierend die Gegenüberstellung eines 2000 entstandenen Modefotos für
       Chloé, in dem sie scheinbar schon das Bild des zu Unrecht zum Tode
       verurteilten Calvin Washington vorwegnimmt, aus der Serie „The Innocents“
       von 2002, die sie als Künstlerin berühmt machte.
       
       12 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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