# taz.de -- Fraktionsklausur in Weimar: Grüne Großmaul-Strategie
       
       > Opposition macht erfinderisch: Die Grünen wollen die SPD beerben und
       > „führende Kraft der linken Mitte“ werden. Meinen die das ernst?
       
 (IMG) Bild: Grünen-Fraktionsklausur in Weimar: Fraktionschef Anton Hofreiter weiß, wo es hingehen muss
       
       WEIMAR taz | Anton Hofreiter schlendert durch Weimar. Abendsonne, milde
       Luft, der Grünen-Fraktionschef ist bester Laune. Den ganzen Tag lang hat er
       mit seinen Abgeordneten diskutiert, jetzt hat er Zeit, den großen Plan zu
       erklären. „Ich will, dass die Grünen die führende Kraft der linken Mitte
       werden“, sagt Hofreiter. Das Ziel sei ambitioniert, aber realistisch. „Die
       SPD lässt ein intellektuelles Vakuum. Sie schwankt zwischen einem Kurs
       biederer Anpassung a la Scholz und linker Reformagenda.“
       
       Drei Tage lang haben die Grünen-Abgeordneten in Weimar über ihren Kurs
       beraten. Und wenn man Hofreiter so zuhört, fragt man sich: Ist das jetzt
       die Großmaul-Strategie? Die Grünen wollen die SPD beerben? Die Ansage
       klingt fetzig, aber von der Umsetzung sind sie himmelweit entfernt. Die
       Grünen schafften bei der Bundestagswahl gerade mal 8,9 Prozent, sie stellen
       die kleinste Fraktion im Bundestag.
       
       Die SPD regiert, sie lag – trotz Dauerkrise – bei gut 20 Prozent. Und sie
       verfügt als Immer-noch-Volkspartei über einen Apparat, von dem Grüne nur
       träumen können. Die SPD hat 460.000 Mitglieder, sieben Mal so viele wie die
       Grünen. Apparat, das bedeutet auch: Mehr Wahlkreisbüros, mehr
       PlakatkleberInnen, mehr Ministerien in den Ländern. Die Schlagkraft der
       Sozialdemokratie in der Fläche stellt die der Grünen in den Schatten.
       Meinen die das ernst?
       
       Natürlich sind wichtige Grüne klug genug, solche Tatsachen nicht
       abzustreiten. Aber sie verweisen im nächsten Satz auf Umfragen, die die
       Qualität ihrer Arbeit belegen. Dass die Ökopartei Jamaika ernsthaft,
       geschlossen und professionell verhandelte, trug ihr bei den BürgerInnen
       viel Respekt ein. Diesen Schwung, sagen alle, gelte es mitzunehmen.
       
       Auch die Oppositionsarbeit der Grünen kommt bei den Deutschen gut an.
       [1][Laut einer Spiegel Online-Umfrage] finden 28,9 Prozent, dass die
       Ökopartei die beste Arbeit in der Opposition macht. Das ist die Mehrheit.
       Die Kleinsten im Parlament lagen vor der AfD (22,6 Prozent), der Linken
       (17,7 Prozent) und der FDP (16,8).
       
       ## SPD im historischen Tief
       
       Hofreiter geht es sowieso um die intellektuelle Führungsrolle, nicht um
       einen Prozentwettbewerb. „Natürlich wollen wir wachsen, aber wir starren
       nicht auf Umfragen“, sagt er. „Führende Kraft ist, wem zugetraut wird, die
       besten Antworten auf Fragen unserer Zeit zu haben. Das wollen wir sein.“
       Wie sich der Diskurs prägen lässt, machen die Grünen gerade bei Hartz IV
       vor. Während Parteichef Robert Habeck knackig fordert, die umstrittene
       Grundsicherung für Erwerbslose müsse „überwunden“ werden, stolpert die SPD
       hinterher – ohne klare Positionierung.
       
       Auch die Situation in Bayern stimmt die Grünen optimistisch. Im Herbst wird
       dort der Landtag neu gewählt. Die Grünen liegen laut Infratest Dimap in der
       Wählergunst bei 14 Prozent – und damit zwei Prozentpunkte vor der SPD.
       Allerdings ist die Botschaft aus Bayern ambivalent. Denn die Parteien der
       linken Mitte und links davon sind gemeinsam so schwach, dass den Grünen ihr
       Hoch wenig bringt. Die SPD steckt mit 12 Prozent in einem historischen
       Tief, die Linkspartei scheint von einem Parlamentseinzug weit entfernt. Und
       die rechte AfD kommt wie die SPD ebenfalls auf 12 Prozent, trotz des
       populistischen Kurses der CSU.
       
       Auf die alles entscheidende Frage suchen die Grünen eine Antwort: Wie macht
       man linksliberale Positionen in einem von Rechts dominierten Diskurs
       attraktiv? Das Rezept haben auch die Grünen noch nicht gefunden. Aber auch
       hier glaubt Hofreiter an einen Vorteil gegenüber der SPD. „Sie macht dem
       linksprogressiven Teil der Gesellschaft kein schlüssiges Angebot, weil sie
       in einer entscheidenden Frage gespalten ist. Präsentiert sie sich liberal
       und weltoffen – oder setzt sie auf nationalistischere Lösungen, wie es ein
       Teil ihrer Wählerschaft präferiert?“
       
       ## „Auf Trüffeljagd nach spannenden Diskussionen“
       
       Die Grünen-Fraktion startet jetzt sechs interdisziplinär besetzte
       Arbeitsgruppen, so genannte Zukunftslabore, um Antworten zu finden.
       Abgeordnete aller Fachrichtungen sollen mit ExpertInnen über die großen
       Herausforderungen der Zeit diskutieren – „ interdisziplinär, innovativ und
       gerne auch kontrovers“, schreiben Hofreiter und seine Co-Vorsitzende Katrin
       Göring-Eckardt in einem Brief an die Abgeordneten. Die Themen: Demokratie,
       neue soziale Fragen, Digitalisierung, gerechte Globalisierung, natürliche
       Lebensgrundlagen, Migration.
       
       [2][Die Floskeldichte] in den Papieren, vielleicht gehört das einfach dazu,
       ist hoch. Die Grünen wollen sich „auf Trüffeljagd nach den spannenden
       Diskussionen von morgen“ begeben oder „gegen den Strich bürsten“. An
       mehreren Stellen finden sich aber Fragen, denen spannende Diskussionen
       folgen könnten.
       
       Die Grünen waren früher zum Beispiel strikt [3][gegen Freihandelsabkommen
       wie TTIP oder CETA]. Angesichts eines US-Präsidenten Trump, der willkürlich
       Strafzölle festlegt, schlagen sie in den Papieren neue, nachdenkliche Töne
       an. Man wolle die eigene Haltung „kritisch hinterfragen und
       weiterentwickeln“, heißt es in dem Text für das zuständige Zukunftslabor.
       „Sind wir bereit, das Niveau wirtschaftlicher Verflechtung weiter zu
       erhöhen, bevor es stärkere sozial-ökologische Leitplanken gibt?“ Denn
       stehen TTIP-GegnerInnen nicht automatisch auf der Seite des Protektionisten
       Trump?
       
       Bleibt eine Frage an Hofreiter, wenn es um die Führung der linken Mitte
       geht. Wenn die Prozente nicht entscheiden – wie misst man dann eigentlich,
       dass die Grünen vorne liegen? „Ich glaube, das merkt man, wenn es so weit
       ist.“ Alles Ansichtssache, also. Die Grünen haben jedenfalls verstanden,
       dass gerade für die Kleinen ein Satz gilt: Bescheidenheit ist eine Zier,
       doch weiter kommt man ohne ihr.
       
       4 May 2018
       
       ## LINKS
       
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