# taz.de -- Dieter Kunzelmann ist tot: Diesmal wirklich
       
       > Er war linksradikaler Aktionskünstler der 68er-Revolte, liebte Effekt und
       > Aufmerksamkeit. Nun ist Dieter Kunzelmann gestorben.
       
 (IMG) Bild: Inszenierte einst seinen eigenen Tod: Dieter Kunzelmann
       
       Dieter Kunzelmann ist tot. Ach, schon wieder? Das ist der erste Gedanke,
       der jedem durch den Kopf schießt, der sich noch vage an eine typische
       Kunzelmann-Aktion erinnert. Im April 1998 stand in einer Berliner Zeitung
       eine Traueranzeige „nicht nur über sein Leben, auch über seinen Tod hat er
       frei bestimmt – Dieter Kunzelmann – 1939–1998“. Doch alles war nur
       Schabernak.
       
       Warum der linksradikale Aktionskünstler sich damals ins Jenseits
       verabschiedete, war nicht so recht klar. Vielleicht wollte er sich um eine
       mal wieder anstehende Haftstrafe drücken, vielleicht nur im
       Scheinwerferlicht stehen. Das war typisch: Effekt ging vor.
       
       Kunzelmann stammte aus Bamberg, sein Vater war Sparkassendirektor. Der Sohn
       war das Gegenteil: laut und drastisch. Er war das anarchistische Gesicht
       der 68er-Revolte in Westberlin, narzisstisch, kreativ, wild. Als Gradmesser
       für Erfolg oder Misserfolg galt ihm, was Bild über ihn schrieb. Das Wort
       Aufmerksamkeitsökonomie war damals noch nicht in Gebrauch, aber wenige
       kannten die Regeln dieses Spiels besser als er.
       
       Als der Rausch der Bewegung im Herbst 1968 verflog, als aus Spaß Ernst, aus
       Pudding-Bomben Molotowcocktails wurden, war Kunzelmann vorne dabei. Er und
       der Staranwalt Horst Mahler konkurrierten um die Rolle, wer als Erster eine
       linksextreme Guerilla auf die Beine stellen würde.
       
       Mahler forcierte die RAF-Gründung, Kunzelmann die umherschweifenden
       Haschrebellen, die zur Bewegung 2. Juni wurden. Kunzelmann ist für eine der
       abgründigsten Taten der Szene verantwortlich – den [1][Anschlag] auf das
       jüdische Gemeindehaus in Westberlin 1969, gezielt am Jahrestag des
       Nazipogroms, dem 9. November, inszeniert.
       
       ## Fast seriöser Politiker
       
       Später versuchte er seinen Genossen zu erklären, dass die Zeit des
       deutschen „Judenknacks“ vorbei sei und „Palästina unser Vietnam“. Zum
       Glück, ohne damit viel Erfolg zu haben. Dass er nicht, wie andere
       Militante, im Schusswechsel mit der Polizei starb, war Glück – und wohl
       auch Ergebnis einer ausgeprägten Unfähigkeit, Waffen zu bedienen. In den
       80ern tauchte Kunzelmann, nach Haft und Ausflug in die K-Gruppen, mit
       ungebremstem Elan wieder auf – und wurde fast zum seriösen Innenpolitiker
       der Alternativen Liste (AL).
       
       Als diese 1989 mit der SPD regierte, war Kunzelmann strikt dagegen. Dieser
       Bürgerschreck wurde kein Staatssekretär. Politik war für ihn nie die Kunst
       des Machbaren, sondern immer nur Bühne fürs Spektakel.
       
       In den 90ern spielte er wieder den publikumswirksamen Clown, der Mächtige
       handfest provozierte. Und mit den Worten „Frohe Ostern, du Weihnachtsmann“
       ein Ei auf dem Kopf von Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister von
       Berlin und Lieblingsfeind, zerschlug. Der Hofnarr außer Rand und Band war
       die Rolle seines Lebens.
       
       Er war eine sehr deutsche Figur, mit [2][tief wurzelndem Antisemitismus.]
       Ein Eulenspiegel, der eher grantig als lustig war. Ein verquerer,
       abgründiger Geist, der noch mit dem Tod Scherze trieb. Nun wurde bekannt,
       dass Kunzelmann, der seit Jahren zurückgezogen in Berlin-Kreuzberg lebte,
       gestorben ist.
       
       16 May 2018
       
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