# taz.de -- Kommentar Streit in der Linkspartei: Schwungvoller Reformismus gesucht
       
       > Die Linke verschleißt sich im internen Machtkampf. Dabei verpasst sie die
       > Chance, von der Verschiebung der Parteienlandschaft zu profitieren.
       
 (IMG) Bild: Gelächelt wird viel, aber das muss nichts heißen: Gregor Gysi und Katja Kipping beim Parteitag
       
       Fangen wir mit dem Positiven an. Der Streit in der Linkspartei dreht sich
       um Wesentliches. Soll die Partei Schutzmacht der Verlierer der
       Globalisierung in Deutschland sein? Oder unter der Fahne des
       Internationalismus segeln und die Liberalisierungen und Freiheitsgewinne
       verteidigen, von denen eher Minderheiten und Mittelschichten profitieren?
       
       Bei den GenossInnen, die sich [1][in Leipzig zum Parteitag versammelt]
       haben, prallt linker Republikanismus, der die Nation samt Grenzen als Gefäß
       von Demokratie und Sozialstaat verteidigt, auf
       Refugee-welcome-Unversalismus. Wie bei Linken üblich, wird die Debatte mit
       schwerem Ideologiegeschütz ausgetragen. Aber sie spiegelt einen handfesten
       gesellschaftlichen Konflikt. Die Linkspartei hat sich jedenfalls schon über
       rückwärtsgewandtere und unwichtigere Fragen zerlegt.
       
       Jetzt zum Negativen: In Leipzig zeigte sich auch die Unfähigkeit der
       GenossInnen, die Debatte produktiv zu führen. Die Linkspartei ist ein
       äußerst harmoniebedürftiger Verein. Streit mag man nicht, noch weniger als
       SPD oder Grüne. Die Parteiführung ist indes noch tiefer verfeindet als bei
       SPD oder Grünen. Und das betrifft nicht nur die prominenten Führungsfiguren
       Katja Kipping und Sahra Wagenknecht.
       
       Die [2][Spaltung in der Flüchtlingsfrage] ist, wie Leipzig zeigte, durch
       keinen Formelkompromiss zu Flüchtlingen zu bewältigen. Richtig kompliziert
       ist der Zoff in den Führungsetagen, weil keineswegs nur gegensätzliche
       Überzeugungskerne aufeinander prallen. Viel geht es um persönliche
       Animositäten, die bloß mit Gesinnungsfassaden verkleidet sind. Dietmar
       Bartsch beklagte daher zu Recht die „ideologische Maskierung von
       Machtfragen.“
       
       Allerdings fragt sich: Welche Macht eigentlich? Von Rot-Rot-Grün im Bund
       redet niemand mehr. Die Oppositionsrolle mit dauerhafter Perspektive ist
       ein wahres Biotop für Ränkespiele und Selbstbespiegelungen. Das interne
       Machtgerangel ist nur die andere Seite der geschwundenen Aussicht auf reale
       Macht.
       
       Das deutsche Parteiensystem ist in Bewegung geraten. Die SPD befindet sich
       auf abschüssiger Bahn und hat keine Ahnung, wo die Bremse ist. Mit dem
       Niedergang der SPD und der Etablierung der AfD verändert sich die Tektonik
       des Systems.
       
       ## Zu wenig, zu langsam
       
       Wäre Sahra Wagenknechts Sammlungsbewegung eine Antwort darauf? Laut einer
       Insa-Umfrage können sich 24 Prozent vorstellen, eine „Liste Wagenknecht“ zu
       wählen. Das mag kühne Hoffnungen wecken – zu Unrecht. Wahrscheinlich können
       sich auch 24 Prozent vorstellen, nächsten Jahr mehr ins Fitnessstudio zu
       gehen oder nach Australien zu reisen. Machen sie aber nicht.
       Talkshow-Popularität lässt sich, um Glück, nicht eins zu eins in
       Wählerstimmen ummünzen. Eine „Liste Wagenknecht“ wäre nur ein weiteres
       Kapitel in der langen Geschichte linker Selbstzerstörung.
       
       Doch auch die Linkspartei hat bislang keine Antwort auf die Ausfransung des
       Parteiensystems. Das Kunststück wäre ein gleichermaßen realistischerer und
       eigenständigerer Kurs. Als SPD-Kopie technokratisch zu verholzen, wie es
       die Partei im Osten teilweise tut, ist ein Holzweg. Aber sie muss dringend
       ideologische Trümmer wie Forderungen nach Auflösung der Nato oder
       sentimentale Putin-Verehrung beiseite räumen. In Leipzig haben die
       GenossInnen einen allzu Russland-affinen Antrag abgelehnt – ein
       Hoffnungszeichen.
       
       Aber das ist zu wenig, zu langsam. Die Partei ist zwar facettenreicher als
       früher, westlicher und großstädtischer. Doch wenn sie den Niedergang der
       SPD kompensieren will, muss sie entschlossen den ewigen Klageton über die
       Grässlichkeit der Welt und notorische linke Besserwisserei abstellen – und
       schwungvollen, optimistischen Reformismus verkörpern.
       
       10 Jun 2018
       
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 (DIR) Stefan Reinecke
       
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