# taz.de -- Debatte Heimat: Entdeutschung heißt Entblödung
       
       > Derzeit wird zu viel Rücksicht auf rechte Wirrköpfe genommen. Buddeln wir
       > am Ende den Führerbunker aus, nur um die Besorgten zu beruhigen?
       
 (IMG) Bild: Sieht so Heimat aus?
       
       Wie viel Heimat verträgt ein Staat? Wenn ich mich als Vaterlandsloser mit
       deutschem Pass bei Gleichgesinnten danach erkundige, wird das schnell als
       intellektuelle Zeitverschwendung abgetan. Identitäten sind das Phantasma
       der anderen. Sollen die sich damit herum plagen. Wenn man nicht
       Psychotherapeut ist oder masochistisch veranlagt, sollte man darüber nicht
       sprechen.
       
       Nun wird man in letzter Zeit immer öfter gezwungen, über etwas zu sprechen,
       worüber man nach Wittgenstein schweigen müsste, da man nämlich nicht „die
       Gedanken, die sonst, gleichsam, trübe und verschwommen sind, klar machen
       und scharf abgrenzen“ kann.
       
       Ganz im Gegenteil. So bevölkert inzwischen abstruses völkisches Wirrwarr
       die öffentlichen Identitätsdebatten, und nicht mehr nur Flüchtlinge,
       sondern Migranten im Allgemeinen stehen als neue Fragezeichen im
       Rechnungsbuch der Nation. Das erfordert viel Pseudo-Sprache, die sich an
       vielen Pseudo-Themen mit ebenso vielen Pseudo-Gesten abarbeitet ([1][ein
       Kreuz mit den Bayern]), und auch wir Einwanderer sind an dem Wirrwarr
       beteiligt: Wenn wir beispielsweise von Heimat sprechen, dann ist das
       angeblich nicht rechts, sondern ‚authentisch‘, weshalb man bei hiesigen
       Festivals der Kulturen kaum auf Lederhosensepperln oder schlesische
       Trachtenvereine stößt.
       
       Es verwundert daher nicht, dass die deutsche Politik der letzten zwei Jahre
       darin besteht, die Gefühle einer überschaubaren Gruppe rechter Witzfiguren
       zu bedienen, deren private Befindlichkeiten zur res publica inthroniert
       werden. Auch sie wollen am Nationalkapital teilhaben. Sogar ein Ministerium
       hat man diesem Völkchen gewidmet [2][– das Heimatministerium –] obwohl sie
       noch gar nicht an der Macht sind. Oder sind sie schon an der Macht, und die
       Wähler müssen nur noch nachziehen? Kommt irgendwann auch ein
       Reichsministerium für Reichsbürger? Buddelt man am Ende den Führerbunker
       wieder aus, nur damit die Besorgten nicht über 50% kommen?
       
       ## Kein Mitläufer sein
       
       Der deutsche Albtraum besteht schließlich darin, dass Nazis nicht mehr
       rechts sind, sondern bürgerliche Mehrheit werden. Was können wir aber
       jenseits der liberaldemokratischen Selbstbeweihräucherung sonst noch tun,
       um die „Probleme der Bürger“ ernst zu nehmen? Wie wäre es einmal zur
       Abwechslung, die rechten Meinungs-Führer nicht mehr beim Namen zu nennen,
       ihnen nicht dieses Gewicht der Namensnennung zuzusprechen, nicht jede ihrer
       Provokationen mit Hochachtung zu belohnen, sich als ‚kritischer Journalist‘
       einmal nicht als Nischenexperte der rechten Szene zu profilieren, also
       nicht mehr Mitläufer zu sein?
       
       Wie wäre es also, eine Art vorauseilenden Bann auszusprechen, bevor die
       ganz Rechten an die Macht kommen, und nicht erst, nachdem sie alles
       zerstört haben? Auch heutzutage wird wieder über die [3][„deutsche Seele“
       geschrieben (Thea Dorn).] Und an der Ostfront muss dem „asiatischen
       Prinzip“, wie Hegel einst die Bedrohung aus dem Morgenland nannte, Einhalt
       geboten werden. Wer einmal die rationale Struktur des identitären Wahns
       entdeckt hat, erkennt aber, wie dünn die zivilisatorische Deckelung ist,
       welche die kriegerische Barbarei bannt. Die Grenztoten im Mittelmeer geben
       eine Ahnung dieses im Grunde inneren Konfliktes der Identitätsparanoiker
       wieder.
       
       Insofern muss man jeden politischen Wirrkopf ernst nehmen, ohne dabei
       selbst wirr also unpolitisch zu werden. Darauf bezog sich etwa Nietzsche
       nach der Erfahrung von 1871, als er von der Notwendigkeit der
       „Entdeutschung“ schrieb. Er meinte damit nicht die Abschaffung
       Deutschlands, sondern dessen Entblödung. Erst wenn diese angegangen wird,
       kann man über die wirklichen Probleme verhandeln – und die haben gewiss
       nicht mit religiösen Symbolen an Wänden und Köpfen zu tun.
       
       22 Jun 2018
       
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