# taz.de -- Kritik an stereotypen Medienberichten: Manifest gegen Islamfeindlichkeit
       
       > Die Berichterstattung über den Islam muss differenzierter werden, fordern
       > Mitglieder von „The Muslim Story“.
       
 (IMG) Bild: Es wird Zeit, Muslime differenzierter zu betrachten
       
       Benachteiligung der Frauen, Fanatismus und Gewaltbereitschaft. Das sind die
       drei Assoziationen, die mehr als 60 Prozent der deutschen
       Gesamtbevölkerung bei dem Stichwort „Islam“ haben. Fragt man dagegen
       türkischstämmige Deutsche, sieht das Bild ganz anders aus: Friedfertigkeit,
       Solidarität und Toleranz. Daraus lässt sich schließen, wer den Islam aus
       der Nähe kennt, fühlt sich mit ihm ganz wohl. Beim Rest genießt er keinen
       guten Ruf.
       
       Islamfeindliche Stereotype bereiten den Nährboden für einen bisher
       ungekannten Hass: 1.069 Mal sind Muslime im Jahr 2017 Opfer von
       islamfeindlichen Straftaten geworden. Experten schätzen, dass die
       Dunkelziffer bis zu acht Mal so hoch sein könnte. Doch woher kommen diese
       stereotypen Vorstellungen? Die Antwort sollte jedem Journalisten zu denken
       geben: Aus den Medien. Denn nur wenige Deutsche haben regelmäßig Kontakt zu
       Muslimen. Wir sind nicht dafür, den Islam nicht mehr zu kritisieren. Aber
       dafür, dass es angemessen getan wird: Mit einem Blick für die Proportionen
       des Problems und die großen Unterschiede innerhalb des Islam.
       
       1. Gebt dem Islam nur die Aufmerksamkeit, die er verdient. Allein 2015 und
       2016 [1][befassten sich laut Zeit Online 117 Talkshows im
       Öffentlich-Rechtlichen] mit den Themen Flüchtlinge, Integration, Islamismus
       und Rechtspopulismus. Deutlich seltener zur Sprache kamen Probleme, die
       viel mehr Deutsche betreffen, wie Gesundheit und Pflege. Ebenso verzerrt
       sind die Proportionen, die manchen Problemen beigemessen werden. Nur eine
       Handvoll Frauen in Deutschland trägt Burka, nur ein Prozent der
       muslimischen Schüler*innen nimmt aus religiösen Gründen nicht am
       Schwimmunterricht teil.
       
       2. Erzählt auch die positiven Geschichten. „Nur schlechte Nachrichten sind
       gute Nachrichten“, heißt es. Das ist nicht nur beim Thema Muslime so.
       Gerade dort aber fehlt vielen Menschen das Korrektiv der eigenen Erfahrung.
       Dem Medienwissenschaftler Kai Hafez zufolge behandeln 60 bis 80 Prozent der
       Beiträge in der überregionalen Presse den Islam im Kontext körperlicher
       Gewalt oder anderer negativer Themen. Und das, obwohl die Ergebnisse großer
       Studien keineswegs von einem missglückten Multikulti sprechen. Doch oft
       werden positive Zahlen kurz vermeldet und dann vergessen. Es entstehen
       keine Geschichten daraus, die diesen Zahlen ein Gesicht verleihen. Warum
       nicht einmal über Muslime schreiben, die sich zum Beispiel gegen
       Antisemitismus engagieren?
       
       3. Hört auf, Probleme zu „islamisieren“. Homophobie, Bildungsdefizite,
       Gewalt gegen Frauen. Das alles sind reale Probleme. Nur eines sind sie
       nicht: allein mit dem Islam zu erklären. Wissenschaftler verzweifeln
       regelmäßig daran, dass die komplexen Ursachen vieler Probleme durchaus gut
       erforscht sind, ihnen von Journalisten aber kaum Aufmerksamkeit geschenkt
       wird. Also Vorsicht vor Pauschalaussagen, sonst laufen wir Gefahr, die
       Deutung von Radikalen zu übernehmen, die jede politische Schandtat als
       religiöse Vorschrift verkaufen.
       
       4. Zeigt andere Bilder. Bei der Google-Bildersuche nach „Islam und Medien“
       zeigt sich, wie einfallslos viele Redaktionen die unterschiedlichsten
       Themen von Integration bis Nahost-Konflikt bebildern: Tiefverschleierte
       Frauen; Muslime, die blutüberströmt Waffen schwenken. Der Islam wird als
       etwas Fremdes und Bedrohliches dargestellt und die verschleierte Frau zum
       Gesicht des Islam. Dabei steht sie statistisch in Deutschland nur für eine
       Minderheit: Gerade einmal ein Viertel der Musliminnen trägt immer ein
       Kopftuch, noch viel weniger verschleiern ihr Gesicht.
       
       5. Erlöst uns von Experten, die keine sind. Warum spricht in einer Talkshow
       über Muslime nur ein einziger Muslim, der als Erdoğan-Anhänger gilt und
       Vorsitzender einer skurrilen 2.000-Mitglieder-Partei ist? Leider setzen
       manche Journalisten immer noch auf Skandalisierung. Entsprechend kommen vor
       allem Vertreter zu Wort, die starke Zitate liefern. Oft wird dann eine
       Nikab-Trägerin oder ein Salafisten-Prediger eingeladen. Beides ist nicht
       repräsentativ, aber es eignet sich, um Schlagzeilen zu produzieren. Diese
       Art von Journalismus führt dazu, dass viele Muslime nicht mehr mit
       Journalisten sprechen wollen – was das Problem verschlimmert.
       
       6. Findet diversere Protagonisten. In Beiträgen ohne Islambezug kommen
       Muslime als Protagonisten selten vor. Deshalb erscheinen sie uns als
       Menschen, die immer und überall ausschließlich Muslime sind. Die
       muslimische Frau nebenan ist aber vielleicht auch Physikstudentin,
       Metal-Fan und macht sich über die Erziehung ihres Kindes Gedanken. Sie wird
       aber leider selten dazu befragt. Weil das Publikum in der Vorstellung
       vieler Journalisten immer noch weiß und christlich ist. Wir sollten
       versuchen, die Gesellschaft so abzubilden, wie sie ist.
       
       7. Holt mehr Muslime in die Redaktionen. Wer will, dass das eigene Medium
       die Lebensrealität möglichst vieler Deutscher abbildet, sollte sie bei der
       Themenwahl mitreden lassen: Das gilt für alle Minderheiten und eben auch
       für Muslime. Bisher zieht es wenige muslimische Deutsche in den
       Journalismus, denn die wenigsten können sich unbezahlte Praktika leisten.
       Viele sind sicher auch von der Berichterstattung abgeschreckt. Hier
       bräuchte es mehr gezielte Förderung und eine aktivere Ansprache.
       
       8. Berichtet über Lösungen, nicht nur über Probleme. Schweinefleisch,
       Handschlag, Burkini: Wenn eine Gesellschaft vielfältiger wird, lassen sich
       Missverständnisse und Konflikte nicht immer vermeiden. Oft werden sie aber
       nur zum Anlass genommen, zu diskutieren, wo genau die Grenze der Toleranz
       verläuft. Als würden sich die Probleme auflösen, wenn man hart genug ist.
       Aber will man den Imam zum Handschlag zwingen? Es gibt unzählige Beispiele,
       wo Menschen für solche Probleme gemeinsam Lösungen gefunden haben. Statt
       immer gleich das große Ganze zu verhandeln, könnten wir fragen: Wo läuft es
       besser und was können wir daraus lernen?
       
       9. Nehmt Muslime als Zielgruppe wahr. Viele Journalisten schreiben über
       Muslime, nicht für sie. Offenbar weil sie davon ausgehen, dass deutsche
       Muslime keine deutschen Medien konsumieren. Woher kommt dieses Bild? Oft
       erzählen uns Teilnehmer unserer Workshops, dass sie sich in den Medien nur
       als Zerrbild ihrer selbst wiederfinden. Gewalt, Kriminalität, Kopftuchzwang
       haben mit der Lebensrealität der meisten nichts zu tun. Diskriminierung bei
       der Job- und Wohnungssuche hingegen schon. Durch diesen blinden Fleck geht
       Journalisten eine wachsende und zunehmend gebildetere Zielgruppe verloren.
       Das heißt nicht, dass wir über Probleme nicht mehr reden sollten. Auch
       nicht, dass Redaktionen ihr Programm ab jetzt an den Wünschen einer
       Minderheit ausrichten sollten. Aber es bedeutet, Muslime auch als
       Konsumenten und nicht nur als Gegenstand der Berichterstattung
       wahrzunehmen.
       
       5 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-06/talkshows-themensetzung-fluechtlinge-populismus-analyse
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nabila Abdel Aziz
 (DIR) Asaad El Salawi
 (DIR) Julia Ley
 (DIR) Dania Zintl
       
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