# taz.de -- Krawalle im französischen Nantes: Schuss hat sich versehentlich gelöst > Der Polizist, der in Nantes einen 22-Jährigen erschossen hat, hat > gelogen: Es sei keine Notwehr gewesen, sagt er nun. Die Ausschreitungen > halten an. (IMG) Bild: Menschen protestieren in Nantes, nachdem ein 22-Jähriger durch die Waffe eines Polizisten starb PARIS taz | Vor dem Untersuchungsrichter hat ein französischer Polizeibeamter schliesslich gestanden, in seiner ersten Aussage zu dem tragischen Zwischenfall am Dienstag gelogen zu haben: Es sei keine Notwehr gewesen, wie der Angehörige der Ordnungstruppe CRS nun einräumte, als er bei einer Personenkontrolle im Quartier Le Breil von Nantes einen Schuss aus seiner Dienstwaffe abgab, [1][die einen jungen Mann tödlich verletzte]. Es sei ein Versehen gewesen, das er zutiefst bedaure, teilte der Anwalt des Polizisten am Freitagnachmittag den Medien mit. Sein Mandant habe jetzt erklärt, dass er versucht habe, den am Steuer seines Fahrzeugs sitzenden 22-jährigen Abubakar Fofana am Arm festzuhalten, dabei sei der Schuss aus der Waffe in der anderen Hand losgegangen. Der Tod des jungen Quartierbewohners löste in Nantes schwere Krawalle aus. In vier aufeinanderfolgenden Nächten [2][kam es zu Straßenschlachten] zwischen aufgebrachten Jugendlichen und der Polizei. Zahlreich Autos, Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen wie eine Schule und eine Bibliothek wurden in Brand gesteckt. In der Nacht auf den Freitag dehnten sich diese gewaltsamen Proteste auf weitere Quartiere der westfranzösischen Stadt an der Atlantikküste aus. Auch in der Nacht zum Samstag brannten der Nachrichtenagentur AFP zufolge wieder Autos in verschiedenen Stadtvierteln. Die Polizei sei von aufgebrachten Randalierern mit Brandsätzen beworfen worden und habe im Gegenzug Tränengas eingesetzt. ## „Die Polizei tötet“ Am Donnerstagabend war auf Wunsch der Familie des getöteten Abubakar Fofana ein Trauermarsch zunächst in Ruhe und Würde verlaufen. Doch am Ende des Umzugs forderten jugendliche Demonstranten lautstark „Wahrheit für Abubakar“. Sie riefen Slogans wie „Police partout, justice nulle part“ (Polizei überall, Gerechtigkeit nirgendwo) gegen die Polizei, [3][die sie für die Spannungen und ein Klima der Repression verantwortlich machen]. Am Ort des Geschehens haben Unbekannte auf eine Mauer anklagend gesprayt: „La police tue“ (Die Polizei tötet). In einer ersten Darstellung hatten die Beamten angegeben, der steckbrieflich wegen bandenmäßigen Diebstahls gesuchte junge Mann habe eine falsche Identität angegeben und zu flüchten versucht, sein Auto sei ebenfalls im Zusammenhang mit Drogendelikten zur Fahndung ausgeschrieben gewesen. Als er sich dann im Rückwärtsgang habe der Festnahme entziehen wollen, habe er einen Polizeibeamten gerammt und leicht verletzt. In dieser Situation einer akuten Bedrohung habe ein Kollege aus „Notwehr“ einen einzigen Schuss abgegeben, der den Mann am Steuer unbeabsichtigt tödlich am Hals verletzt habe. ## Definition von Notwehr In verschiedenen Medien erklärten Zeugen, sie hätten keinen Polizisten hinter dem Auto gesehen, der bedroht oder angefahren worden sei. Auch sei der Schuss ohne jede erkennbare Vorwarnung gefallen. Damit stellte sich die Frage der „Verhältnismäßigkeit“ bei der Reaktion des Beamten. Im letzten Jahr war die Definition der Notwehr im Dienst auf dringenden Wunsch der Polizisten erweitert worden. Anlass dafür waren nicht nur die terroristische Attentate, [4][denen die Ordnungshüter speziell ausgesetzt sind], sondern auch gewaltsame Angriffe auf Beamte durch kriminelle Banden in bestimmten Quartieren, in denen so etwas wie ein Krieg mit den Gesetzeshütern um die Kontrolle des Reviers herrscht. In der Folge der Änderung hat der Einsatz der Waffen 2017 im Vergleich zu 2016 um 54 Prozent zugenommen. Jeden einzelnen Fall prüft zuerst die zuständige Polizeiinspektion und gegebenenfalls die Justiz. Gegen den Beamten, der in Nantes den Tod eines flüchtenden 22-Jährigen zu verantworten hat, läuft eine gerichtliche Voruntersuchung. Den unvermindert aufgebrachten Kameraden des Toten genügt die Zusicherung der Bürgermeisterin Johanna Rolland, sie werde für eine vollständige Aufklärung bemüht sein, nicht. Auch ihr privates Fahrzeug ging in der Nacht auf Freitag in Flammen auf. In Nantes befürchtet man weitere Krawalle, und in Frankreich erinnert man sich bange an die landesweiten Unruhen in [5][Banlieue-Siedlungen] von 2005. 7 Jul 2018 ## LINKS (DIR) [1] /Polizei-erschiesst-22-jaehrigen-in-Frankreich/!5518905 (DIR) [2] /Ausschreitungen-im-franzoesischen-Nantes/!5519067 (DIR) [3] /Proteste-gegen-Polizeigewalt-in-Frankreich/!5391839 (DIR) [4] /Nach-dem-Terrorangriff-in-Frankreich/!5493687 (DIR) [5] /Frankreich-auf-Sparkurs/!5452065 ## AUTOREN (DIR) Rudolf Balmer ## TAGS (DIR) Frankreich (DIR) Nantes (DIR) Krawalle (DIR) Notwehr (DIR) Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus (DIR) Grenoble (DIR) Frankreich (DIR) Frankreich (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron (DIR) Schwerpunkt Rassismus (DIR) Schwerpunkt Rassismus ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Krawalle in Frankreich: Jetzt wird die Schuldfrage gestellt Der Tod zweier von der Polizei verfolgter Jugendlicher löst Zusammenstöße in Grenoble aus. Das erinnert an Unruhen in der Pariser Banlieue. (DIR) Ausschreitungen im französischen Nantes: Wurfgeschosse auf Polizisten Nach dem Tod eines 22-Jährigen bei einer Polizeikontrolle randalierten in Nantes wieder Jugendliche. Die Polizei setzte Tränengas ein, 19 Personen wurden festgesetzt. (DIR) Polizei erschießt 22-jährigen in Frankreich: Schwere Krawalle in Nantes Ein Polizist erschießt bei einer Fahrzeugkontrolle einen jungen Mann. Daraufhin beginnen in der französischen Stadt Nantes schwere Ausschreitungen. (DIR) Frankreich auf Sparkurs: Auf Kosten der Banlieue Die Kürzung von staatlicher Subventionen in den Vorstädten sei kontraproduktiv. Das sagt der betroffene Bürgermeister Stéphane Gatignon. (DIR) Proteste gegen Polizeigewalt in Frankreich: Brutalität der „Sicherheitsbehörde“ Das Image der „Flics“ war nie besonders gut in diesem Land. Das kommt nicht von ungefähr. Ihre Gewalt richtet sich besonders gegen Migranten. (DIR) Kommentar Polizeigewalt in Frankreich: Die Polizei als feindliche Bande Die Kluft zwischen dem ausgegrenzten Bevölkerungteil und Vertretern des Rechtsstaats in Frankreich wächst. Die Gründe sind Rassismus und Willkür.