# taz.de -- Die Wahrheit: Wie Äxte im Schwedenwald
       
       > Langsam klingt die sommerliche Urlaubszeit aus mit dem mächtigen Sound
       > schwingender Beile in der skandinavischen Natur.
       
       Dreieinhalb Stunden westwärts von Stockholm. Jochen und Heide haben hier
       eine Hütte am See, die man nicht einmal mit Hilfe des Navigationssystems
       finden kann. Kein Strom, kein fließend Wasser. Wir sind hier absolut
       „basic“ und „back to the roots“.
       
       Die Wellen schaukeln das Ruderboot. „Fährmann, hol über!“, musste ich
       rufen. Zum Haus führt nicht einmal ein Fußweg. So schön weit weg von
       Menschen ist man nur selten. Wir zelten im Wald neben dem Häuschen. Direkt
       nach Ankunft haben wir als Erstes tatsächlich den Wald gefegt – um nicht
       auf Tannenzapfen zu liegen.
       
       Dämmerung kriecht durch den Wald. Fledermäuse genießen ihr Nachtmahl in
       Zeitlupe. Vor drei Stunden noch rief das Prachttauchermännchen sein
       Prachttaucherweibchen, als hätte er sie noch gar nicht gefunden. Dazu das
       Hähen der Bussarde, während von fern Blitze über einige dunkle Regenwolken
       huschen, die in diesem Sommer aber reiner Bluff zu sein scheinen. Dieses
       Jahr sind nicht mal Mücken anwesend.
       
       Am zweiten Tag müssen wir uns den Aufenthalt verdienen. Tatsächlich bekomme
       ich ein Intensivseminar in Holzhacken und Beilkunde. Dabei ist Jochen aus
       der Stadt, und ich bin vom Dorf, es müsste umgekehrt sein. Die Damen sind
       derweil mit den Hunden unterwegs. Mit anderen Worten: Verhältnisse wie im
       Neolithikum: Die Jungs schlagen Holz, die Mädchen gehen Blaubeeren
       pflücken. Wäre der liebe Gott ein Schwede gewesen, wäre der verbotene Apfel
       eine Blaubeere gewesen.
       
       Im Wald „entasten“ wir „Herren“ zwei umgestürzte Bäume. Mit einer
       „Waldaxt“. Und ich trage die zur „Hackbrille“ umfunktionierte Lesebrille.
       Aber ich treffe damit einfach besser. Dann schneidet Jochen, der einen
       Motorsägeschein hat, das aber wahrscheinlich auch mit Handkantenschlägen
       hätte erledigen können, die Bäume in handliche Stücke. Er trägt eine
       Sicherheitshose und stöhnt: „Ich geh kaputt in dem Scheißding bei diesen
       Temperaturen!“ Ich trage die Stücke mit zwei „Packzangen“ zum Hackplatz.
       
       Dort bekomme ich eine andere Axt. Dieses Mal eine „Spaltaxt“. Der Axtstiel
       reicht von hier bis Göteborg, und entsprechend schwierig ist es, die
       Baumscheiben damit genau zu treffen – so zu treffen, dass sie in exakten
       Hälften ehrfurchtgebietend und knackend auseinanderspringen. Die
       Baumabschnitte werden in „Wuchsrichtung“ auf den Hackklotz gelegt. Ich
       treffe immer etwas zu weit vorn, weil ich mich beim Schlag zu weit
       vorbeuge. Jochen korrigiert mich, als würden wir am Schwebebalken
       trainieren.
       
       Drei Trolle kommen vorbei, setzen sich auf einen umgestürzten Baum und
       zeigen uns bei jedem Schlag ihre Wertungsnoten. Jochen ist eindeutig
       „Schwedens next lumberjack“. Nach zwei Bäumen und etwa genauso viel
       Blaubeerkuchen liege ich im Zelt, döse sofort weg und summe dabei meine
       neue Hymne: „I’m a lumberjack and I’m okay, / I sleep all night and I work
       all day.“
       
       4 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Gieseking
       
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