# taz.de -- Situation von NGOs in Israel und Palästina: „Sei für uns oder du bist ein Verräter“
       
       > Jerusalem will, dass Berlin „antiisraelische“ Aktivitäten einstellt.
       > Politologe Amal Jamal über Nationalisten in Nahost und das Problem der
       > israelischen Linken.
       
 (IMG) Bild: Auch das Jüdische Museum in Berlin wird für „Anti-Israel-Aktivitäten“ kritisiert
       
       Herr Jamal, in einem [1][Schreiben aus Israel] wird die Bundesregierung
       aufgefordert, die finanzielle Unterstützung für liberale Organisationen der
       Zivilgesellschaft in Israel und Palästina einzustellen. Auch das Jüdische
       Museum in Berlin wird für „Anti-Israel-Aktivitäten“ kritisiert. Was steht
       hinter diesen Vorwürfen? 
       
       Das Dokument zeigt, wie ausländische Regierungen ins Visier genommen
       werden, weil sie bestimmte liberale NGOs unterstützen. Der Angriff auf
       diese Organisationen dient dazu, die Dominanz nationalistischer Stimmen zu
       festigen, die die Siedlungspolitik unterstützen und eine Vorstellung des
       Staates Israel fördern, die auf Nation statt auf Staatsbürgerschaft
       basiert. Diese anti-liberale und national-populistische Ideologie strebt
       danach, Stimmen zu unterdrücken, die Menschenrechte, Meinungsfreiheit und
       Pluralismus unterstützen.
       
       Auch der Sohn des israelischen Ministerpräsidenten stößt in dieses Horn.
       Jair Netanjahu hat linke Politiker und NGOs sowie die Medien generell als
       Verräter bezeichnet. Er spreche nur aus, was die ganze Nation denke,
       behauptet er. Stimmt das? 
       
       Es liegt im Trend, bestimmte NGOs zu beschuldigen, das Vaterland, die
       Gesellschaft und den Staat zu verraten. Jede Opposition gegen die rechte
       Politik der Regierung wird im Feind-Freund-Schema wahrgenommen: Sei für uns
       oder du bist ein Verräter. Dabei setzen sich viele der Beschuldigten dafür
       ein, die israelische Demokratie zu erhalten, Menschenrechte zu schützen und
       die Regierung für ihre Politik gegenüber den Palästinensern in Israel sowie
       in den besetzten Gebieten verantwortlich zu machen.
       
       Was heißt Trend? Wer steht hinter diesen Beschuldigungen?
       
       Rechts-konservative NGOs arbeiten eng mit Politikern im israelischen
       Parlament zusammen. Sie versuchen, den Raum der Meinungsfreiheit
       einzuschränken, besonders wenn es darum geht, der expansionistischen
       Politik in den besetzten Gebieten etwas entgegenzusetzen. Diese
       Organisationen wollen Kritiker zum Schweigen bringen. Sie wollen die
       Möglichkeit von Menschenrechtlern begrenzen, die israelische Politik,
       insbesondere die Siedlungspolitik und den Umgang mit den Palästinensern,
       kritisch zu begleiten. Dafür bekommen sie Rückendeckung aus der Politik.
       
       Sie sprechen [2][in einer Studie] von „schlechter Zivilgesellschaft“. Haben
       rechte Gruppen in einer pluralistischen Demokratie nicht dieselben Rechte
       wie linke NGOs und Menschenrechtler? 
       
       Rechte Zivilgesellschaft ist genauso legitim wie linke Zivilgesellschaft.
       Seit der Staatsgründung 1948 waren rechte NGOs Teil der politischen Szene
       Israels. Was die rechten NGOs schlecht macht, ist nicht ihre Ideologie. Das
       Problem beginnt, wenn sie versuchen, andere vollständig zum Schweigen zu
       bringen. Das fördert nicht den demokratischen Prozess, sondern stellt eine
       Form von Zensur im diskursiven Raum dar.
       
       Sie sprechen von Organisationen wie [3][NGO Monitor], [4][Im Tirtzu] oder
       [5][Institute for Zionist Strategies]. Wie arbeiten diese Gruppen? 
       
       Eine ihrer Strategie ist die Delegitimierung und Stigmatisierung in der
       israelischen Öffentlichkeit. Ein [6][Video von Im Tirtzu] zielt auf
       bekannte Menschenrechtsaktivisten ab. Sie wurden als ausländische Agenten
       und Verräter dargestellt, die der israelischen Gesellschaft in den Rücken
       fallen.
       
       Die zweite Strategie ist, den politischen Gegner auf internationaler Bühne
       mundtot zu machen. So wird zum Beispiel versucht, die Stimme von
       [7][B’Tselem] zu unterdrücken und deren Kritik an der israelischen Politik
       in den besetzten Gebieten zu unterbinden.
       
       Die dritte Strategie zielt auf die finanziellen Ressourcen ab. Bestimmte
       NGOs sollen von ihren Einkommensquellen abgeschnitten werden. Dabei spielt
       auch der Vorwurf des Antisemitismus eine Rolle. Jede ausländische
       Regierung, besonders die deutsche, wird Angst haben, mit NGOs in Kontakt zu
       stehen, denen Leute in Israel, darunter prominente Politiker und auch der
       Ministerpräsident, vorwerfen, antisemitische Aktivitäten zu unterstützen.
       
       Wie sehen die Verbindungen dieser Gruppen in die Politik genau aus? 
       
       Es gibt sehr enge Verbindungen zwischen den rechten NGOs und politischen
       Parteien in der Knesset. Allen voran in der Partei „Das jüdische Haus“,
       aber auch in großen Teilen von Netanjahus Likud wird aktiv Lobbyarbeit
       betrieben. Ein Beispiel ist das neue Nationalstaatsgesetz …
       
       … das viele im In- und Ausland als rassistisch [8][kritisiert haben].
       Arabische Israelis würden als Bürger zweiter Klasse festgeschrieben. 
       
       Das Gesetz [9][wurde vorbereitet durch das Institute for Zionist
       Strategies]. Diese NGO hat es einem Politiker in der Knesset gegeben, der
       es zur Verabschiedung vorgelegt hat. Das Gleiche trifft auf [10][das neue
       NGO-Gesetz von 2016] zu. Die Anliegen der rechten Organisationen werden in
       einen legislativen Prozess übersetzt.
       
       Eine weitere Verbindung zur Politik besteht aus Platzwechseln. Viele der
       Mitarbeiter der nationalistischen NGOs waren Berater oder Mitarbeiter in
       Parteien. Vertreter der NGOs und der Regierung treten gemeinsam auf. Auf
       Podien oder im Ausland vertreten sie dieselben Positionen. NGO Monitor und
       Im Tirtzu haben zum Beispiel ausgezeichnete Kontakte in den israelischen
       Botschaften im Ausland.
       
       Geht es in den Kampagnen dieser Organisationen in erster Linie um den
       Diskurs in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen
       Gebieten?
       
       Menschenrechts-NGOs in den besetzten Gebieten sind die Speerspitze. Aber
       linke Organisationen generell stehen unter Beschuss. Die US-Organisation
       New Israel Fund etwa, die von Netanjahu in vielen Reden angegriffen worden
       ist, unterstützt NGOs in Israel, die nichts mit den besetzten Gebieten zu
       tun haben, die aber nach einer liberalen und pluralistischen Gesellschaft
       streben.
       
       Wie konnten die rechten Gruppen so einflussreich werden? 
       
       Weltweit ist die Linke auf dem Rückzug, auch in Deutschland. In Israel
       rückt Umfragen zufolge die gesamte Gesellschaft nach rechts, wird immer
       konservativer. Das hat zu tun mit sozialem Wandel, aber auch mit der
       Fragmentierung in der politischen Szene links von der Mitte. Leute haben
       mittlerweile Angst zu sagen, dass sie links sind. Die prominenten Stimmen
       in der israelischen Gesellschaft sind heute die Ultraorthodoxen, die
       National-Religiösen und die Siedler.
       
       Woran machen sie das fest? 
       
       Vertreter der Siedlungsbewegung erobern immer mehr Regierungsämter und hohe
       Positionen in der Bürokratie. Sie haben ein Interesse, den anti-liberalen
       Diskurs aufrechtzuerhalten, damit die Politik weiter ihre Privilegien
       unterstützt: die Expansion der Siedlungen und die Annexion bestimmter
       Gegenden in der Westbank, um letztendlich [11][die Zweistaatenlösung zu
       demontieren].
       
       Nächstes Jahr wird die Knesset neu gewählt. Wird der Handlungsspielraum für
       kritische Stimmen wieder größer werden? 
       
       Nein. Der anti-liberale Zeitgeist ist tief verwurzelt in der israelischen
       Gesellschaft. Und die nächste Regierung – egal ob mit oder ohne Benjamin
       Netanjahu – wird wieder eine rechte sein. Die Chance, dass eine linke
       Partei eine Koalition zusammenbekommt, ist gleich null.
       
       20 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Schreiben-liegt-der-taz-exklusiv-vor/!5553564
 (DIR) [2] https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/comments/2018C02_jamal.pdf
 (DIR) [3] https://www.ngo-monitor.org/
 (DIR) [4] https://imti.org.il/en/
 (DIR) [5] https://izs.org.il/
 (DIR) [6] https://www.youtube.com/watch?v=02u_J2C-Lso
 (DIR) [7] https://www.btselem.org/
 (DIR) [8] /Weiterer-Rechtsruck-in-Israel/!5522744
 (DIR) [9] https://www.haaretz.com/opinion/.premium-when-livni-gave-the-nation-state-law-her-blessing-1.6551705
 (DIR) [10] /Vorschriften-fuer-NGOs-in-Israel/!5321445
 (DIR) [11] /Zweistaatenloesung-offen-abgelehnt/!5076140
       
       ## AUTOREN
       
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