# taz.de -- Lohntransparenz und Gender Pay Gap: Fragen kostet nichts? Doch!
       
       > Seit über einem Jahr darf jede und jeder erfahren, was die Kolleg*innen
       > verdienen. Frauen und der Lohngerechtigkeit bringt das jedoch nichts.
       
 (IMG) Bild: Wer wem einen Schritt voraus ist, bleibt oft im Ungewissen
       
       [1][Entgelttransparenzgesetz]? Bitte was? Die meisten Menschen, die man
       außerhalb der Medienszene und Fachkreise danach fragt, haben noch nie davon
       gehört. Sie bekommen große Augen, wenn sie erfahren, dass ihnen ein Gesetz
       seit einem Jahr erlaubt, zu erfahren, was ihre Kolleg*innen verdienen, die
       die gleiche Arbeit machen wie sie. Transparente Gehälter finden die meisten
       super. Schließlich geht es um Gerechtigkeit, insbesondere gegen die
       ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern – das vielbeschworene „Gender
       Pay Gap“.
       
       Dem Unterschied in der Bezahlung von Frauen und von Männern in Höhe von 21
       Prozent in Deutschland wollen zahlreiche Verbände sowie linke Parteien seit
       Jahren an den Kragen. Doch sosehr die Organisationen und Parteien auf die
       himmelschreiende Ungerechtigkeit hinweisen, so stark beharrt die Lohnlücke
       auf ihrem angestammten Platz. Dagegen kann auch das seit einem Jahr
       geltende Transparenzgesetz nichts ausrichten. Es zeigt sich bislang sogar
       recht schwach.
       
       Verschiedenen Untersuchungen zufolge, darunter [2][eine des Deutschen
       Gewerkschaftsbunds (DGB)] und [3][eine der Unternehmensberatung Ernst &
       Young], machen nur wenige Menschen Gebrauch von ihrem Auskunftsrecht.
       Selbst in großen Unternehmen mit bis zu 100.000 Beschäftigten sollen
       bislang nur jeweils bis zu 50 Menschen nachgefragt haben, Frauen oft sogar
       noch seltener als Männer. Doch warum nur? Schließlich bewegt die meisten
       nichts so sehr wie Geld: Bekomme ich so viel, wie ich verdiene? Reicht mein
       Gehalt für ein Leben jenseits von Not und purer Existenzsicherung?
       
       Bei erwerbstätigen Frauen kommt eben noch die leidige Frage hinzu, ob der
       Arbeitgeber sie genauso bezahlt wie die Männer mit gleicher
       Jobbeschreibung. Diese Frage konnten sich Frauen bislang nicht beantworten.
       Das Gehalt der Kolleg*innen zu erfahren, ist in Deutschland so unüblich,
       wie in Sri Lanka Schlittschuh zu laufen. Viele Arbeitsverträge enthalten
       sogar eine Schweigepflicht, was das Gehalt angeht.
       
       ## Mögliche Nachteile für Frauen
       
       Nun also haben Frauen den gesetzlichen Anspruch, zu erfahren, ob ihr
       Unternehmen sie einigermaßen gerecht bezahlt – und sie fragen nicht danach.
       Was läuft verkehrt an der von Benachteiligung geprägten Gehälterfront? Das
       Gesetz wurde schließlich vor allem von Frauen für Frauen gemacht. Elke
       Hannack vom DGB erklärt es so: „Ein Auskunftsbegehren bringt die
       betroffenen Frauen in eine schwierige Situation. Entweder sie unterstellen
       ihrem Arbeitgeber indirekt Entgeltdiskriminierung und bringen damit
       eventuell ungerechtfertigtes Misstrauen zum Ausdruck. Oder sie decken
       tatsächlich am Ende eine Entgeltdiskriminierung auf – und können nicht
       wirksam dagegen vorgehen.“
       
       Henrike von Platen, Finanzexpertin und Chefin des Fair Pay Innovation Lab,
       einer Unternehmensberatung für faire Löhne und Gehälter, weiß aus ihrer
       Berufspraxis, dass viele Chef*innen an einer Offenlegung der Gehälter in
       ihren Firmen nicht interessiert sind. „Sie fürchten Unruhe im Unternehmen
       und blockierendes Konkurrenzverhalten.“ Und: Frauen haben mit Nachteilen zu
       rechnen, wenn sie trotzdem nachfragen. Da wägen sie doch lieber ab: Was ist
       mir wichtiger, ein gerechter Verdienst oder mein sicherer Job?
       
       Dass Lohntransparenz nicht automatisch gerechte Löhne schafft, zeigen
       „Genderparadiese“ wie Norwegen und Schweden. In den skandinavischen Ländern
       [4][werden jedes Jahr die Steuerdaten ins Netz gestellt]. Alle
       Einwohner*innen können sehen, was Kolleg*innen, Nachbar*innen,
       Politiker*innen und die eigenen Chef*innen verdienen. In Schweden schaut
       aber trotzdem kaum jemand auf das entsprechende Portal. „Das schickt sich
       nicht“, argumentieren die Schwed*innen. In Norwegen hat die
       Veröffentlichung der Steuerdaten nicht dazu geführt, dass die
       geschlechterbezogene Lohnlücke stark verringert worden wäre. Der
       norwegische Gender Pay Gap bewegt sich seit Jahren zwischen 14 und 16
       Prozent.
       
       Was nun? Wie kommt man denn nun zu gerechten Verdiensten? Die Lösung ist
       einfach und schwierig zugleich: mit einer anderen Unternehmenskultur, mit
       einem Klima, in dem das Wir zählt und nicht das Ich. In dem Gerechtigkeit
       lenkt und nicht Egoismus. Denn wo traditionelle und männlich geprägte
       Strukturen dafür sorgen, dass die Firmenspitze nicht nur besser verdient
       (was legitim ist), sondern mit Dienstwagen, Diensthandy, Zulagen und
       Sondervergütungen zusätzliche Machtfülle erhält und Frauen an den Rand
       drängt, haben sicher die wenigsten Mitarbeiterinnen den Drang, mit den
       Chefs über transparente Gehälter zu verhandeln. Auch dort, wo Frauen an der
       Spitze mitwirken, aber in der Minderheit sind, ändert sich die
       Unternehmenskultur kaum.
       
       ## Island zeigt, dass es doch geht
       
       Um aber auch das deutlich zu sagen: An Frauen allein hängt nicht die
       Unternehmenskultur, Frauen sind weder für das Betriebsklima zuständig, noch
       sind sie ein Garant für Fairness und gleiche Löhne. Eine von Offenheit und
       Vertrauen geprägte Arbeitsatmosphäre müssen alle wollen, von der
       ungelernten Kraft bis zur Firmenleitung. Eine Utopie? Dass es geht, zeigt
       Island. Dort haben Arbeitgeber*innen, Gewerkschaften sowie der
       Sozialminister gemeinsam vor einem Jahr ein Gesetz geschaffen, das bis 2022
       den Gender Pay Gap beseitigen soll.
       
       Nun ist Island mit seinen 103.125 Quadratkilometern recht überschaubar,
       viele der 339.000 Einwohner*innen dürften sich persönlich kennen.
       Bemerkenswert ist aber, dass sich die Arbeitgeber*innen nicht – wie
       vielfach in Deutschland – gegen das Transparenzgesetz gesträubt, sondern es
       aktiv mitgestaltet haben. Sie hatten erkannt, dass faire Löhne ihr
       Unternehmen attraktiv machen. „Die Zeit ist reif, mal etwas Radikales in
       diese Richtung zu unternehmen“, hatte Þorsteinn Víglundsso, der damalige
       Sozialminister, gesagt.
       
       Ein Satz, der wie gemacht ist für einen Bundespräsidenten in Deutschland,
       lautet: „Lohngerechtigkeit gehört zu Deutschland.“
       
       30 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kommentar-zur-Lohnluecke/!5394722
 (DIR) [2] https://frauen.dgb.de/themen/++co++68a25e18-20af-11e9-8de3-52540088cada
 (DIR) [3] https://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/ey-entgelttransparenzgesetz-im-realitaetscheck/$FILE/ey-entgelttransparenzgesetz-im-realitaetscheck.pdf
 (DIR) [4] /Gesetzesinitiative-fuer-gleichen-Lohn/!5017361
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
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