# taz.de -- Berlinale „The Shadow Play“: Korruption und Liebe
       
       > Der chinesische Regisseur Lou Ye wirft in seinem Thriller „The Shadow
       > Play“ einen Blick in die Karriereabgründe der heute erfolgreichen
       > Chinesen.
       
 (IMG) Bild: Greift die Allgegenwart der Korruption auf: Lou Yes „The Shadow Play“
       
       Über dem Wasser des Perlflusses liegt Nebel, durch den das Ufer nur schwach
       zu erahnen ist. Das drückende, tropische Klima der Industriemetropole
       Guangzhou, etwa 120 Kilometer nordöstlich von Hongkong gelegen, ist
       körperlich fühlbar. Ein junges Paar irrt durch den Nebel und die
       Uferbepflanzung auf der Suche nach einem ungestörten Ort und findet dabei
       eine Leiche.
       
       Sieben Jahre später, 2013: Ein Altbauviertel mitten im Stadtzentrum von
       Guangzhou steht kurz vor dem Abriss. Nach Auseinandersetzungen zwischen
       Angestellten einer Immobilienfirma und Bewohnern des Viertels stürzt der
       städtische Bauplaner Tang Yijie vom Dach eines Hauses und ist tot.
       
       Der chinesische Regisseur Lou Ye wirft in seinem Thriller „The Shadow Play“
       einen Blick in die Abgründe der Karrieren der heute Erfolgreichen Chinas.
       Die Ermittlungen des jungen Polizisten Yang Jiadong führen zu den
       Verbindungen zwischen dem Bauplaner und dem örtlichen Immobilienmagnaten
       Jiang Zicheng. Schnell findet der Polizist heraus, dass Tangs Witwe Lin Hui
       eine Affäre mit Jiang Zicheng hatte.
       
       ## Rekonstruktion der Vergangenheit
       
       In einer Reihe von Rückblenden geht der Film zurück an die Anfänge der
       Verbindungen zwischen dem Bauplaner, dessen Frau und dem
       Immobilienmagnaten. Bauplaner Tang Yijie steht seit seinem Studium im
       Schatten Jiang Zichengs. Nur wenige Jahre nach Tangs Hochzeit beginnt Jiang
       eine Affäre mit dessen Frau und Tang wird zunehmend von Jiangs Wohlwollen
       und Geld abhängig.
       
       Immer wieder lässt Lou Ye sich Gegenwart und Vergangenheit bei dieser Suche
       elegant durchdringen. Als der Polizist in den Krankenakten von Lin Hui
       blättert, wechselt der Fokus der Kamera auf eine Frau, die einen Gang im
       Krankenhaus hinuntergeht, und schon sind wir mitten in der Rekonstruktion
       der Vergangenheit.
       
       Auch für den Polizisten ist der Fall nicht ohne Geschichte. Sein Vater,
       ebenfalls Polizist, ermittelte wegen des Todes von Jiangs Assistentin Lian
       Ah Yun. Während der Ermittlungen wurde er Opfer eines Unfalls und lebt
       seitdem in einem Pflegeheim. Immer wieder werden dem jungen Polizisten
       Fallen gestellt: Als die Witwe ihn verführt, werden die beiden gefilmt und
       Yang Jiadong ist die Ermittlungen offiziell los. Als er mit dem Tod eines
       Zeugen in Verbindung gebracht wird, flieht Yang nach Hongkong.
       
       In den Rückblenden nimmt „Shadow Play“ ein beachtliches Tempo auf und
       erzählt eine Geschichte, die chinesischen Zuschauern merklich vertraut ist.
       Wem es gelingt, in dieser Erzählung den Überblick zu behalten, wird mit
       einem außerordentlichen Film belohnt, der in der populären Form des
       Thrillers die Geschichte der chinesischen Gegenwart erzählt.
       
       ## Sechste Generation
       
       Wie seine Regiekollegen Wang Tang’an (Wettbewerbsfilm „Öndög“) und Jia
       Zhang-ke (dessen Film „Asche ist das reinste Weiß“ in der Woche nach der
       Berlinale in den deutschen Kinos startet) zählt auch Lou Ye zur sogenannten
       Sechsten Generation, die das chinesische Kino in der Filmwelt
       internationaler Festivals fest verankerte. Anders als seine
       Autorenfilmer-Kollegen hat Lou eine Vorliebe für den Genrefilm und
       Koproduktionen mit Hongkong.
       
       Das ist von heute aus gesehen noch bemerkenswerter als zu Beginn von Lous
       Karriere Mitte der 1990er Jahre. Der Großteil intelligenter Thriller im
       aktuellen chinesischen Kino stammt von Regisseuren aus Hongkong, die unter
       den Bedingungen der Übernahme der Metropole durch China versuchen, die
       Kinotraditionen Hongkongs fortzuführen.
       
       Nachdem sich Wang Quan’ans Film „Öndög“ als Niete erwiesen hat, wäre „The
       Shadow Play“ der Film gewesen, den man sich als chinesischen
       Wettbewerbsbeitrag gewünscht hätte – umso mehr nachdem Zhang Yimous „One
       Second“ nun aus „technischen Gründen“ (die man getrost hinterfragen darf)
       nicht laufen wird.
       
       Beide Filme berühren wunde Punkte der chinesischen Gegenwart: Zhang Yimous
       Film ist in der Zeit der Kulturrevolution angesiedelt, die immer ein
       ungeliebtes Thema in China war, unter Xi Jinping jedoch umso mehr, als er
       immer wieder mit deren Exzessen geliebäugelt hat.
       
       „The Shadow Play“ greift die Allgegenwart der Korruption auf, während Xi
       ihr zwar formal den Kampf angesagt hat, diese jedoch – wie Lou Yes Film
       zeigt – integraler Bestandteil der chinesischen Wirtschaft ist. Lou Yes
       „The Shadow Play“ ist ein bemerkenswerter Film.
       
       13 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Tietke
       
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