# taz.de -- Kongress zu Migration: Sprengstoff für die Linkspartei
       
       > Bei der Linken diskutieren Skeptiker und Befürworter von Migration. An
       > konkreten Konzepten haben beide Seiten wenig Interesse.
       
 (IMG) Bild: Auf dem Kongress der Linkspartei gab es unter anderem beim Thema Arbeitsmarktmigration Streit
       
       BERLIN taz | „Fluchtursachen – Migration – Integration: Fachkonferenz der
       Bundestagsfraktion Die Linke“ stand harmlos neutral auf dem
       Einladungszettel. Die Tagung am vergangenen Sonntag war auf dem giftigen
       [1][Leipziger Parteitag im Juni letzten Jahres] beschlossen worden. Als
       damals der Streit zwischen Sahra Wagenknecht und Katja Kipping um die
       Migrationsfrage die Partei zerriss, stand am Ende ein Kompromiss: Fraktion
       und Parteivorstand sollten zum Thema debattieren, ebenso ein
       wissenschaftlicher Fachkongress.
       
       Doch dann nahmen Wagenknecht und Kipping ebenso wie ihre Co-Vorsitzenden
       Dietmar Bartsch und Bernd Riexinger mit einem gemeinsamen Papier schon vor
       Beginn der Fraktions- und Vorstandstagung im November die Luft aus dem
       Thema. Im Wahljahr 2019 sollte Ruhe in der Partei herrschen.
       
       Auch aus dem Fachkongress war vordergründig die Spannung raus. Wagenknecht
       und Bartsch fehlten, nur Kipping und Riexinger nahmen teil. Beide Seiten
       hatten ihre Experten geladen. Die Fragen für die vier Podien waren so
       gestellt, dass sich alle Positionen wiederfinden konnten: „Welche Folgen
       hat der mit der gezielten Anwerbung von Fachkräften verbundene Braindrain
       für die Herkunftsländer? Wie können die Rechte von Migrantinnen und
       Migranten, insbesondere das Recht auf Bewegungsfreiheit, gestärkt werden?“,
       hieß es zusammenhanglos in den Fragen zum Auftaktpodium „Globale
       Migration“.
       
       Dabei hätten sich die Planer die Aufteilung auf vier Podien sparen können:
       Auf allen fand ein ähnlicher Schlagabtausch zwischen Migrationsskeptikern
       und -befürwortern statt. Die Skeptiker argumentierten mit der Möglichkeit,
       Löhne durch ein verstärktes Angebot auf dem Arbeitsmarkt zu drücken.
       
       ## „Gezielte Strategie zur Konkurrenzverschärfung“
       
       „Die Freizügigkeit in der EU war eine gezielte Strategie zur
       Konkurrenzverschärfung“, sagte etwa Mohssen Massarrat (Universität
       Osnabrück). Der österreichische Journalist Hannes Hofbauer sagte, bei der
       Freizügigkeit gehe es darum, Menschen aus strukturschwachen Gebieten durch
       Migration als billige Arbeitskräfte anderswo in Wert zu setzen. Die Linke
       habe es in der Verkehrspolitik geschafft, den „Mythos von Mobilität als
       fortschrittlich zu dekonstruieren“ – dies müsse sie auch in der Migration
       schaffen.
       
       Jendrik Scholz (DGB Baden-Württemberg) sah die „Zuwanderung in die sozialen
       Sicherungssysteme“ als problematisch an. 80 Prozent der Migranten aus
       Syrien seien in Baden-Württemberg in der Grundsicherung, ebenso rund 20
       Prozent der Migranten aus Bulgarien. Der Gesellschaftswissenschaftler Artur
       Pech kritisierte den Braindrain, etwa die Abwanderung afrikanischer Ärzte
       nach Deutschland.
       
       Die Skeptiker erschöpften sich in der Migrationskritik. Wenn aber
       Armutszuwanderung problematisch ist, weil sie die Sozialsysteme belastet,
       und die Zuwanderung von Qualifizierten schwierig, weil sie in den
       Herkunftsländern Braindrain verursacht – soll dann jegliche
       Arbeitsmigration unterbunden werden? Vorschläge, wie man Migration anders
       regeln könne, blieben aus.
       
       ## Auch Befürworter ohne Lösungsansätze
       
       Ebenso verhielt es sich auf der Seite der Migrationsbefürworter. Was vor
       allem an einem einst linksradikalen Argumentationsmuster liegt, das sich
       bis in die akademische Linke ausgebreitet hat: „Es gibt das Recht zu
       bleiben, das Recht zu gehen und das Recht, anzukommen“, sagte Sabine Hesse
       vom Zentrum für Globale Migrationsstudien an der Universität Göttingen.
       Allesamt Individualrechte – ein Kollektivrecht der Gesellschaften, Zuzug
       zu beschränken, kommt in diesem Denken nicht vor.
       
       Dementsprechend scharf war der Tonfall der Migrationsbefürworter gegenüber
       den Skeptikern. Hofbauer gehe es um eine „neue Härte von links“, sagte
       Massimo Perinelli (Rosa-Luxemburg-Stiftung). Er vertrete eine „Ideologie
       der Besitzstandswahrung“.
       
       Sogar die Bekämpfung von Fluchtursachen ordnete Ramona Lenz (Medico)
       lediglich als Versuch der „Kontrolle von Mobilität“ ein. Weil jedes Konzept
       zur Zuwanderung notwendigerweise auch die Abweisung von Menschen beinhalten
       müsste, hatten auch die Migrationsbefürworter wenig Interesse an konkreten
       Vorschlägen. Sie beschränkten sich auf eine Grundsatzdebatte.
       
       ## „Bedingung er Weltstaatlichkeit“
       
       Sichtlich befremdet hatte Julian Nida-Rümelin auf dem Abschlusspodium die
       Debatten verfolgt. Der Sozialdemokrat war von den Migrationsskeptikern um
       Wagenknecht eingeladen worden. Er sei für offene Grenzen, sagte er, aber
       nur unter der „Bedingung der Weltstaatlichkeit“. Solange die Sozialsysteme
       nationalstaatlich organisiert seien, brächen sie bei offenen Grenzen
       zusammen.
       
       Als fernes Endziel wollten die Befürworter offene Grenzen aber nicht
       verstanden wissen. Momentan mag der Migrationsstreit in der Linken
       befriedet sein; die Fachkonferenz zeigte, wie viel Sprengkraft der Konflikt
       hat, wenn er wieder auf die Tagesordnung drängt.
       
       18 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Linkspartei-streitet-ueber-Migrationspolitik/!5511909
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reeh
       
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