# taz.de -- Vowurf der Beihilfe zur illegalen Einreise: Kein Pardon für Menschenretter
       
       > Weil er Geflüchtete im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettete, wird gegen
       > den Bremer Hendrik Simon in Italien ermittelt. Ihm drohen 20 Jahre Haft.
       
 (IMG) Bild: Rettete Flüchtlinge im Mittelmeer: Hendrik Simon
       
       BREMEN taz | Als er anfing, Menschen zu retten, machte sich Hendrik Simon
       keine Gedanken darüber, ob das strafbar sein könnte. Zwischen September
       2016 und Mai 2018 ist der Bremer auf drei verschiedenen Schiffen auf hohe
       See gefahren, um Flüchtende vor dem Ertrinken zu retten. Sechsmal war er im
       Einsatz, jeweils zwei bis drei Wochen steuerte er das Beiboot, verteilte
       Schwimmwesten und kümmerte sich um die Computertechnik an Bord. Allein die
       „Iuventa“ hat auf diese Weise in einem Jahr mehr als 14.000 Menschen das
       Leben gerettet.
       
       Einfach wieder losfahren und weiterhelfen kann die Crew aber nicht. Die
       „Iuventa“ wurde im August 2017 von der italienischen Regierung
       beschlagnahmt – wegen angeblicher Schleuserei. Auch die „Seawatch“, auf der
       Simon zuletzt als Informatiker tätig war, darf momentan nicht auslaufen.
       
       Den Seenotrettern mangelt es aber nicht nur an geeigneten Schiffen; vor
       allem raten ihnen ihre Anwälte ab: Im Juli 2018 wurde Simon und neun
       weiteren Mitgliedern der Iuventa-Crew mitgeteilt, dass mittlerweile auch
       gegen sie persönlich ermittelt wird. „Beihilfe zur illegalen Einreise“
       heißt der Vorwurf. Als Wiederholungstäter könnte Simon sofort in U-Haft
       kommen – also bleibt er lieber an Land.
       
       „Dass ermittelt wurde, weil wir Menschen geholfen haben, war ein Schock“,
       erinnert sich Simon. Ein weiterer Schock: Das mögliche Strafmaß. In einem
       besonders schwerwiegendem Fall wie seinem stehen auf die Beihilfe zur
       illegalen Einreise in Italien bis zu 20 Jahre Haft.
       
       Drei Verdachtsmomente gegen die Besatzung sind aus der Beschlagnahmung der
       Schiffe öffentlich bekannt: Ein Vorfall aus dem September 2016 und zwei
       weitere von Juli 2017, bei denen Simon selbst an Bord war. Aufgrund von
       Fotos und Zeugenaussagen werfen die Behörden ihnen vor, sie hätten die
       leeren Flüchtlingsboote zurück in Richtung der libyschen Küste gebracht und
       so direkt mit Schleppern zusammengearbeitet.
       
       „Die drei Vorwürfe sind komplett widerlegt“, so Simon. Das englische
       Institut Forensic Architecture hat Fotos, Videos, Wellenkarten und
       Kommunikationsprotokolle in Computermodellen analysiert und aufgezeigt,
       dass die Vorwürfe der Realität nicht standhalten können. Das Video zur
       Gegenrecherche ist auf der Seite von Forensic Architecture öffentlich
       einsehbar.
       
       Was die italienischen Behörden sonst noch gegen die Crew in der Hand haben,
       weiß der Bremer noch nicht, bleibt aber halbwegs entspannt: „Uns muss
       nachgewiesen werden, dass wir uns falsch verhalten haben, und das haben wir
       nicht.“ Wohl zwischen Juli und Dezember, so vermuten die Anwälte der
       Beschuldigten, wird Anklage erhoben. Bis dahin will die Iuventa-Besatzung
       selbst die kompletten Zeiträume rekonstruiert haben, um alle Argumente
       parat zu haben.
       
       ## Bislang keine Verurteilungen von Seenotrettern
       
       Mit der Höchststrafe muss die Crew wohl kaum rechnen. Tatsächlich wurden
       bisher alle Helfer, die wegen ähnlicher Vergehen auf See angeklagt wurden,
       nicht verurteilt. Schließlich geht es bei der Rettung aus Seenot meist um
       einen Notstand. „Selbst wenn man da Gesetze brechen sollte, wird man
       eigentlich frei gesprochen, weil es eben wichtiger ist, Menschenleben zu
       retten“, erklärt Simon.
       
       Klar ist für ihn aber auch, dass der Fall politisch ist. Der italienische
       Innenminister Matteo Salvini habe seinen Wahlkampf bei der Lega auf dem
       Kampf gegen die NGOs aufgebaut. „Ihm und dem Rest der Regierung ist es
       natürlich wichtig, dass da jetzt auch Konsequenzen folgen.“
       
       Die Crew der Iuventa macht sich deshalb daran, eine eigene Öffentlichkeit
       zu schaffen. „Bisher ist es gerade in Italien so, dass die Medien vor allem
       über die Position der Staatsanwaltschaft berichten“, so Simon. Seit Monaten
       reisen er und seine Mitstreiter durch Europa, halten Vorträge, führen ihren
       Film vor und geben Interviews. Ein weiterer Zweck dieser
       Öffentlichkeitsarbeit: [1][Spenden sammeln]. Bis zu einem Urteil in der
       ersten Instanz werden wohl Kosten in Höhe von 500.000 Euro für die
       Angeklagten entstehen, schätzen die Anwälte.
       
       ## Solidarität für die Crewmitglieder
       
       Privatpersonen, ein spanischer Fußballverein, die Band Feine Sahne
       Fischfilet – die Crewmitglieder erfahren durchaus Solidarität. Ein wenig
       mehr Engagement würde sich Simon aber von der Politik wünschen. Bisher
       erklären sich vor allem einzelne Politiker solidarisch, von offiziellen
       Stellen kommt wenig. „Bremen hat sich zum sicheren Hafen erklärt. Da wäre
       doch hier auch Unterstützung angebracht“, findet Simon. „,Diese Menschen
       helfen Menschen in Not, dafür dürfen sie nicht kriminalisiert werden’ – das
       wäre zum Beispiel eine schöne Aussage.“
       
       Bei aller Zuversicht, dass ein Prozess gut ausgehen würde – „20 Jahre
       Haft“, das bleibt eine schwerwiegende Drohung. Würde er, mit diesem Wissen
       von heute, noch einmal auf See fahren? Lange überlegen muss der
       Informatiker nicht: „Also ehrlich gesagt: Dass Menschen retten strafbar
       sein soll, das ist absurd. Und wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der
       das so ist, dann nehme ich diese Strafe in Kauf.“
       
       4 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://solidarity-at-sea.org/donate/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lotta Drügemöller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Seenotrettung
 (DIR) Sea-Watch
 (DIR) Italien
 (DIR) Geflüchtete
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Mittelmeer
 (DIR) Bremen
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Frontex
 (DIR) Europäische Union
 (DIR) Mission Lifeline
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Seenotrettung vor Libyens Küste: EU setzt „Sophia“-Einsatz aus
       
       Bis heute gibt es keine Einigung, wie die aus Seenot geretteten Menschen
       auf EU-Länder verteilt werden könnten. Italien stellt sich quer – mit
       Folgen.
       
 (DIR) Risikoanalyse der EU-Grenzschutzagentur: Flüchtlingskrise ist nicht
       
       „Was irreguläre Ankünfte betrifft, stehen wir keiner brennenden Krise
       gegenüber.“ Es sind klare Worte, die Frontex-Direktor Fabrice wählt.
       
 (DIR) EU-Mittelmeer-Operation „Sophia“: Deutschland erhöht Druck
       
       Die Bundesregierung pausiert bei EU-Operation „Sophia“ im Mittelmeer.
       Verteidigungsministerin von der Leyen macht das an der Rolle Italiens fest.
       
 (DIR) Seenotretter Claus-Peter Reisch: Ein Kapitän mit Mission
       
       Claus-Peter Reisch ist zum Gesicht der Seenotrettung von Flüchtlingen
       geworden. Dabei wollte nur einen schönen Urlaub in der Ägäis machen.