# taz.de -- Erzählband „Der Trost runder Dinge“: Das Unbehagen lindern
       
       > Empfindliche Figuren in schwierigen Zuständen: Clemens J. Setz'
       > Geschichten in „Der Trost runder Dinge“ kippen zärtlich ins Wahrhaftige.
       
 (IMG) Bild: Der 36-jährige Österreicher war schon mehrfach für den Deutschen Buchpreis nominiert
       
       Ein alter Drucker, den Anforderungen der Zeit nicht gewachsen, von
       jüngeren, leistungsfähigeren Geräten umgeben. Trotzdem druckt er noch,
       versucht es zumindest, Zeile für Zeile, mit pflichtbewusster Genauigkeit,
       doch die Blätter bleiben weiß, er kann seinen Auftrag nicht erfüllen,
       schiebt das Papier in seinem Inneren sinnlos hin und her, bis es unbedruckt
       auf den Boden fällt.
       
       Oder ein defekter Getränkeautomat, dessen Greifarm ins Leere greift. Oder
       ein Monitor im Sicherheitsbereich eines Flughafens, der eine Fehlermeldung
       anzeigt und so „inmitten all der undurchsichtigen Sicherheitsvorgänge so
       etwas wie eine warme und vertrauenswürdige Menschlichkeit“ ausstrahlt.
       
       Der Drucker, der Getränkeautomat und der Monitor spielen allenfalls
       marginale Rollen in [1][Clemens J. Setz]’ neuem Erzählband „Der Trost
       runder Dinge“. Ihre Einbindung ist aber natürlich kein Zufall. Die Geräte
       funktionieren nicht, die Menschen funktionieren nicht. Es ist Sand im
       Getriebe, Ungeziefer kriechen durch die Software, Automatismen laufen ins
       Nichts. So wie der Drucker nicht druckt, sind Setz’ Menschen nicht in der
       Lage zu leben. Sie überleben schon, sie kriegen die Tage rum, und auch die
       Nächte halten sie aus, aber die Programme, die hinter ihren Stirnen
       unablässig laufen, sind fehlerhaft geschrieben, die Quellcodes müssten
       korrigiert werden.
       
       In „Geteiltes Leid“, vielleicht der eindrucksvollsten der 20 neuen
       Erzählungen, schreibt der 36-jährige Österreicher über den
       alleinerziehenden Vater Zweigl, der von allumfassenden Angstzuständen
       gequält wird. Er findet aus dem Teufelskreis der Selbstbeobachtung nicht
       heraus, tigert nachts durch seine Wohnung, muss sich mit jeder vergehenden
       Minute davon abhalten, seine Söhne zu wecken, um ihnen von der Folter zu
       erzählen, die er durchmacht. Könnte er ihnen sein Leid doch nur
       verständlich machen! Dann würden sie anerkennen, wie sehr er sich
       beherrschte, die ganze Zeit.
       
       ## Manchmal enden die Geschichten, als sie Fahrt aufnehmen
       
       Aber es ist aussichtslos, er weiß es ja, wie soll es denn gehen. Also ein
       Understatement: „Ich hab wieder ein bissl die Angst.“ Er blüht erst auf,
       als der ältere Sohn die ihm so vertrauten Symptome zeigt. Er tröstet sein
       Kind während dessen erster Panikattacke, ist fürsorglich und liebevoll und
       ganz in seinem Element und fürchterlich erleichtert, nicht mehr allein zu
       sein.
       
       Die meisten der hier zusammengetragenen Erzählungen sind high-concept,
       spielen originelle Prämissen durch, die sich in einem Satz zusammenfassen
       lassen: Eine Frau engagiert einen Prostituierten, um im Krankenzimmer ihres
       komatösen Sohnes mit ihm zu schlafen. Die Wohnung einer blinden Frau ist
       über und über mit Obszönitäten beschmiert.
       
       Eine Schulkrankenschwester nimmt nach ihrer plötzlichen Entlassung einen
       Zweitklässler mit nach Hause. Nicht immer nutzt Setz das Potenzial seiner
       Ausgangsideen, manchmal enden die Geschichten gerade, als sie Fahrt
       aufnehmen, und das kann man wohlwollend als formales Charakteristikum der
       Shortstory deuten, aber eben auch als Ausweichmanöver.
       
       Setz, der schon mehrfach für den Deutschen Buchpreis nominiert war, zuletzt
       für seinen tausendseitigen Roman [2][„Die Stunde zwischen Frau und
       Gitarre“] von 2015, schreibt nah an seinen Figuren, nicht selten gleich in
       der ersten Person, zeigt ihre verqueren Wahrnehmungswelten mit schrägen
       Vergleichen und Bildern. Der zügellosen Vergleichsfreude seiner
       Beschreibungen stellt er die in Alltagssprache gehaltenen Dialoge
       gegenüber.
       
       ## Setz macht sich nie lustig
       
       Manchmal kippen seine Erzählungen ganz plötzlich ins Traumlogische oder
       verwandeln sich nach einem beiläufigen Twist von einem harmlosen Stück in
       eine quasidystopische Schauergeschichte.
       
       Das Wahnhafte seiner Figuren kommt mitunter ganz unerwartet zum Vorschein.
       Gerade glaubt man, es zur Abwechslung einmal mit einem recht ausgeglichenen
       Zeitgenossen zu tun zu haben, da platziert Setz einen Satz wie
       „Weberknechte schmecken nach nichts, vielleicht ein klein wenig nach
       Mandeln.“
       
       Geradezu zärtlich widmet er sich seinen empfindlichen, meist männlichen
       Figuren. Er zeigt sie zwar in unwürdigen Zuständen und scheint sich an der
       Absurdität ihrer Wahnhaftigkeit durchaus erfreuen zu können, er macht sich
       aber nie über sie lustig oder nutzt ihre Irrationalität für billige Späße.
       
       Der titelgebende Trost runder Dinge verweist übrigens auf eine Strategie
       des Vaters Zweigl, mit seiner Angst umzugehen. Auberginen und Tomaten, die
       meisten Obstsorten, runde Sachen überhaupt, lindern sein Unbehagen. Nur ein
       bisschen, natürlich, und nicht dauerhaft. Aber mehr kann man von runden
       Dingen, wie ja auch ein Buch eines sein kann, nicht erwarten.
       
       5 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Preis-der-Leipziger-Buchmesse/!5124407
 (DIR) [2] /Neuer-Roman-von-Clemens-J-Setz/!5228449
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Jekal
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Belletristik
 (DIR) Erzählungen
 (DIR) Rezension
 (DIR) Literaturbetrieb
 (DIR) deutsche Literatur
 (DIR) Roman
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Shortlist zum Deutschen Buchpreis: Sind nicht alle korrupt außer mir?
       
       Die Entscheidungen rund um den Deutschen Buchpreis werden bemäkelt und
       kritisiert. Zum Glück, denn das ist gut für Verlage und AutorInnen.
       
 (DIR) Eulenspiegel-Erzählung von Clemens Setz: Ein Narr zum Fürchten
       
       Von wegen naseweiser Schelm: Clemens J. Setz entlässt seinen „Till
       Eulenspiegel“ in die Freiheit des teils sadistisch Unberechenbaren.
       
 (DIR) Neuer Roman von Clemens J. Setz: Lost in Natalie
       
       Wo Wörter mehr als nur Bedeutung haben: Clemens J. Setz‘ „Die Stunde
       zwischen Frau und Gitarre“ ist ein Psychothriller mit dramatischem Ende.