# taz.de -- Debatte EU-Urheberrechtsreform: Filter sind eine Chance, keine Zensur
       
       > Manipulieren uns Google und Facebook? Merken würde das niemand. Die
       > EU-Urheberrechtsreform kann die Chance sein, uns zu wehren.
       
 (IMG) Bild: Hunderttausende sind gegen die EU-Urheberrechtsreform auf die Straße gegangen
       
       Haben Google, Facebook oder Twitter die Debatte über die
       EU-Urheberrechtsreform manipuliert, in dem sie Timelines und Suchtreffer in
       ihrem Sinne geändert haben? Diese Frage ist fundamental für die Zukunft
       Europas.
       
       Hunderttausende sind gegen die EU-Urheberrechtsreform auf die Straße
       gegangen, mehr als fünf Millionen haben eine Petition dagegen
       unterschrieben, im EU-Parlament zeigten Politiker*innen, dass sie ringen,
       kämpfen, Leidenschaft haben. Das war gut für die Demokratie, auch wenn
       viele im Netz die Reform für falsch halten.
       
       Gleichzeitig ist ein Gedanke bei dieser Auseinandersetzung ziemlich
       gruselig: Die Debatte im Netz war abhängig von der digitalen Infrastruktur
       der Konzerne, über die debattiert wird. Sie könnten massiven Einfluss auf
       uns alle genommen haben. Natürlich nicht, indem sie unliebsame Meinungen
       einfach löschen. Sondern durch eine leichte Verschiebung dessen, was wir an
       Inhalten prominent im Netz finden. Das würde niemand merken. Und alle
       fühlten sich super informiert.
       
       Das soll nicht heißen, dass hier irgendwer ein Bot ist. Die Proteste gegen
       die EU-Urheberrechtsreform waren absolut berechtigt. Eine Menge Menschen
       haben sich damit beschäftigt, wer das Netz kontrolliert. Genau davon
       braucht es noch viel mehr. Das ändert aber nichts daran, dass die Gefahr
       der Manipulation der öffentlichen Meinung durch das Silicon Valley real
       ist.
       
       ## Manipulation durch Tech-Konzerne
       
       Große Macht ohne Kontrolle wird missbraucht, das ist ein politisches
       Naturgesetz. In ganz Europa gibt es niemanden, keine Politiker*innen, keine
       Behörde, keinen Geheimdienst, keinen Staat, der die Kompetenz oder Befugnis
       hätte, zu kontrollieren, ob Google oder Facebook ihre Technik nutzen, um
       uns alle politisch in ihrem Sinne zu beeinflussen. An der Totalüberwachung
       unsere Lebens stört sich ja ohnehin niemand mehr.
       
       Der Einfluss der Tech-Konzerne ist mit herkömmlichen Medien nicht
       vergleichbar: Da sitzen Journalist*innen in Medienkonzernen oder
       Rundfunkanstalten, jeder kann sich informieren, wie sie arbeiten, sie sind
       permanent Shit- oder Candystorms ausgesetzt. Silicon Valley dagegen kann
       uns manipulieren, bevor wir anfangen zu denken, indem es unsere Wahrnehmung
       von Argumenten beeinflusst. Der Netzpionier Jaron Lanier hat es in der Zeit
       ironisch ausgedrückt: „Das Schöne ist, dass Ihr nicht wahrhaben wollt, wie
       Ihr manipuliert werdet.“
       
       Aus diesem Grund würde ich die 5-Millionen-Unterschriften-Petition „Stoppt
       die Zensurmaschine – Rettet das Internet!“ gegen das EU-Urheberrecht
       niemals unterschreiben: Das suggeriert, das Internet sei ein Hort der
       Meinungsfreiheit, der von gemeinen Politikern attackiert wird. YouTuber wie
       LeFloid unterstützten die Petition und verbreiteten hysterische Warnungen:
       Er müsse ja künftig bei jedem Bild und jedem Sound nachweisen, dass er die
       Rechte daran habe, wettert er. Der Arme. Als ob man heute einfach so durch
       Copyright geschütztes Material verwenden dürfte. Künftig ist bei Verstößen
       eben die Plattform mit haftbar und nicht nur, wer den Content generiert.
       
       Die Zensur, von der LeFloid und andere sprechen, ist eine, die quasi
       nebenbei durch den politisch erzwungenen Einsatz von Uploadfiltern
       entstehen könnte: Mein Urlaubsvideo wird nicht hochgeladen, weil im
       Hintergrund „Last Christmas“ läuft, dafür hat die Plattform keine Lizenz,
       also filtert sie das ganze Video automatisch weg. So das Szenario.
       Abgesehen davon, dass ein „Last Christmas“-Boykott eine Plattform sehr
       sympathisch machen würde: einfach Ton stumm schalten, das Video mit „Die EU
       ist rattendoof“ untertiteln – niemand würde was wegfiltern. Wo ist hier
       Zensur?
       
       ## Uploadfilter als Chance
       
       Sollten die Filter zu viel sperren, wäre das ein technischer Defekt, keine
       Zensur. Zensur herrscht, wenn Menschen für mutige Sätze gegen die Mächtigen
       Berufsverbot bekommen oder in den Knast wandern. Bei uns darf LeFloid
       Politiker als „Heuchler und Lobbyisten“ und „Polit-Dullis“ beschimpfen und
       jungen Leuten suggerieren, man unterdrücke ihren Willen, wenn
       Parlamentarier aus 28 EU-Staaten die in zehn Sekunden unterschriebene
       Zensurmaschinen-Petition nicht mal schnell umsetzen. Nachdem sie fünf Jahre
       um einen Kompromiss gerungen haben.
       
       Ich schlage vor, in den Uploadfiltern ganz pragmatisch eine Chance zu
       sehen. Die Macht über künstliche Intelligenz und unsere Timelines liegt
       doch eh schon im Silicon Valley. Uploadfilter wären die ersten Algorithmen,
       die unter Beobachtung der Netzgemeinde stünden, statt sich ihnen willenlos
       zu unterwerfen. Daraus könnte ein neues Bewusstsein entstehen, ein
       Bedürfnis, auch das Bisherige unter öffentliche Kontrolle zu stellen.
       Möglich wäre auch, solche Filter mit staatlicher Förderung in Europa zu
       entwickeln und kleine Plattformen zur Verfügung zu stellen.
       
       Abgesehen davon priorisiert die Urheberrechtereform, dass Plattformen
       Lizenzen erwerben sollen und erst dann Uploadfilter einsetzen. In einer
       alten Fassung war es andersherum – die Änderung ist ein Erfolg des
       Protests. Der war also nicht umsonst, auch wenn YouTuber wie LeFloid das
       jetzt behaupten. Zu deren Geschichte gehört auch, dass sie nicht Vorkämpfer
       der Freiheit sind. Sondern ihr Geschäftsmodell verteidigen: LeFloid lebt
       vom Remix der Recherchen und Werke anderer, klebt Werbung dran und verdient
       eine Menge Geld damit. Das ist legitim, macht aber noch keine neue
       Bürgerrechtsbewegung.
       
       Wer für Freiheit im Netz kämpfen will, der muss dafür kämpfen, Facebook und
       Google zu zerschlagen und ihre Algorithmen als systemkritische
       Infrastruktur zu überwachen. Das bräuchte sehr viel politische Courage und
       einen politische Lohn: Wähler*innen, die das Internet zurückfordern. Die
       Keimzelle dafür könnte der Protest gegen die Urheberrechtsreform sein. Mit
       einem LeFloid, der für die Zerschlagung, Besteuerung und Kontrolle von
       YouTube schmettert. Und das auf YouTube.
       
       29 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Uploadfilter
 (DIR) Schwerpunkt Urheberrecht
 (DIR) Youtube
 (DIR) Silicon Valley
 (DIR) Lesestück Meinung und Analyse
 (DIR) Schwerpunkt Urheberrecht
 (DIR) Urheberrecht
 (DIR) Katarina Barley
 (DIR) künstliche Intelligenz
 (DIR) Schwerpunkt Urheberrecht
 (DIR) Schwerpunkt Urheberrecht
 (DIR) EU-Urheberrechtsreform
 (DIR) EU
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Lösung für Streit um Online-Plattformen: Ende der Grauzone
       
       Justizministerium plant Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform: Youtube
       braucht Lizenzen oder Filter.
       
 (DIR) Reform des Urheberrechts: EU-Staaten stimmen mehrheitlich zu
       
       Deutschland hat der Reform im EU-Ministerrat zugestimmt. Eine
       Protokollerklärung betont hehre Ziele und lässt deren Umsetzung weitgehend
       offen.
       
 (DIR) Umstrittenes EU-Urheberrecht: Es kommt auf Deutschland an
       
       Justizministerium und Kanzleramt einigen sich nicht auf eine Erklärung zum
       Urheberrecht. Wenn sich die Regierung enthält, scheitert die Reform.
       
 (DIR) Kommentar Ethische Leitlinien zu KI: Zu vorsichtig und industrienah
       
       Die Leitlinien der EU-Kommission zu künstlicher Intelligenz sind nur
       freundliche Bitten an die Industrie. Längst bräuchte es aber viel mehr.
       
 (DIR) EU-Urheberrechtsreform: YouTube haftet für seine NutzerInnen
       
       Ein Kneipenvideo mit Hintergrundmusik? Das und vieles mehr könnte künftig
       dem Uploadfilter zum Opfer fallen, befürchten KritikerInnen.
       
 (DIR) Kommentar EU-Urheberrechtsreform: Nicht das richtige Instrument
       
       Die Zustimmung zur Reform stärkt eher die Tech-Riesen, statt die
       Urheber:innen an den Gewinnen zu beteiligen. Dabei hätte es Alternativen
       gegeben.
       
 (DIR) Richtlinie zum Urheberrecht: EU-Parlament stimmt Reform zu
       
       Das EU-Parlament debattiert noch einmal hitzig über die neue Richtlinie zum
       Urheberrecht – und stimmt dann mit großer Mehrheit dafür.
       
 (DIR) Petition gegen EU-Urheberrechtsreform: 4,7 Millionen Unterschriften für Barley
       
       Die geplante EU-Urheberrechtsreform steht besonders wegen den Artikeln 11
       und 13 unter Kritik. Gegner haben nun eine Petition im Justizministerium
       eingereicht.