# taz.de -- Kolumne Minority Report: Ein Wort mit 29 Buchstaben
       
       > Horst Seehofer hat den Entwurf für ein neues
       > Fachkräfteeinwanderungsgesetz vorgestellt. Das Ergebnis bietet Hürden
       > ohne Ende.
       
 (IMG) Bild: Eine Besonderheit der deutschen Sprache: Man kann so viele Wörter aneinanderklatschen
       
       Eigentlich könnte man aus Erfahrung getrost weghören, wenn Horst Seehofer
       irgendetwas zum Thema Migration zu sagen hat, nur leider ist er unser
       Bundesinnenminister. Deshalb muss man dem Reflex widerstehen, sich die
       Ohren zuzuhalten und lalala zu singen, wenn der Mann, der Migration als
       [1][„die Mutter aller Probleme“] in Deutschland bezeichnet hat, über ein
       Einwanderungsgesetz spricht.
       
       Eine „historische Weichenstellung“ hin zu einer modernen
       Einwanderungspolitik soll [2][dieser neue Gesetzentwurf] sein, der am
       vergangenen Donnerstag erstmals im Bundestag beraten wurde. Historisch ja,
       und weich auch, so viel Zustimmung muss sein. Seit Jahrzehnten diskutieren
       hier Politiker*innen an der Realität vorbei, ob Deutschland ein
       Einwanderungsland ist oder nicht – es ist ermüdend. 1955 wurde das erste
       Anwerbeabkommen für Arbeitskräfte zwischen Italien und der Bundesrepublik
       geschlossen. Das ist 64 Jahre her. Um es abzukürzen: Danach kamen mehr
       Menschen auch aus anderen Ländern auf unterschiedlichen Wegen.
       
       Jetzt soll ein Gesetz her. Es geht aber nicht um ein schlichtes
       Einwanderungsgesetz, sondern um ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, ein Wort
       mit 29 Buchstaben. Es ist eine schöne Besonderheit der deutschen Sprache,
       dass man so viele Wörter aneinanderklatschen kann, wie man lustig ist –
       beim Spiel Galgenmännchen ist das ein Vorteil. Aber mit dem Gesetz soll ja
       weder gespielt noch gehängt werden. Es soll geregelt werden, wie Menschen
       aus Nicht-EU-Staaten ohne akademischen Abschluss zur Job- oder zur
       Ausbildungssuche nach Deutschland kommen können. In der EU gilt ohnehin
       Arbeitnehmerfreizügigkeit, Nicht-EU-Akademiker*innen sind bereits
       willkommen, dazu gibt es ein paar Ausnahmen. Konkreter wäre also der Name:
       Nicht-akademische-Nicht-EU-Staatsangehörige-Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
       
       ## Migration findet statt – Gesetze hin oder her
       
       Wer das rückwärts aussprechen kann, darf kommen – zumindest sind die
       Voraussetzungen ähnlich hoch: Gut deutsch sprechen, qualifiziert sein,
       schon einen konkreten Job oder genug Geld haben, um ohne Sozialhilfe sechs
       Monate hier überleben zu können. Hürden ohne Ende. Geduldete, die schon
       hier arbeiten, dürfen – unter bestimmten Voraussetzungen – bleiben. Das
       soll der große Wurf sein.
       
       Angesichts der jahrelangen Streitereien um dieses Gesetz ist es reichlich
       mau, was SPD und Union da vorgelegt haben. [3][Grünen,] Linken und FDP ist
       das nicht genug. Die Linke merkt zurecht an, dass es in manchen Branchen
       eine Lücke gibt, einfach weil die Arbeitsbedingungen so mies sind. Die AfD
       reagiert mit gewohnter Angstmacherei. Seehofer ist das egal: Der Entwurf
       könne „legale Migration“ stärken und „illegale Migration“ zurückdrängen. Es
       klingt so, als wäre dieses Gesetz eine Wohltätigkeitsgeste für den Rest der
       Welt. Dem ist nicht so. Es soll das Überleben Deutschlands sichern. Darum
       geht's. Gleichzeitig hat Seehofer [4][das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“] im
       petto. Die Nützlichen holen, alle Unerwünschten sollen weg, das ist die
       Message.
       
       Nun ist es so: Migration findet statt, Gesetze hin oder her. Und sie kann
       nur so „illegal“ sein, wie ein Nationalstaat sie definiert. Manche
       flüchten, weil ihr Land zerbombt wird, andere, weil sie keine gute
       Perspektive haben. Realpolitisch heißt das: Das Asylrecht darf nicht weiter
       ausgehöhlt werden und ein unbürokratisches Einwanderungsgesetz muss her,
       das diesen Namen verdient.
       
       14 May 2019
       
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