# taz.de -- Rechtsextremisten und Verfassungsschutz: Der „Wirkzusammenhang“
       
       > NSU, war da was? Ausgerechnet der Präsident des Verfassungsschutzes
       > äußert sich in einem ZDF-Interview zum Fall Lübcke grob fahrlässig.
       
 (IMG) Bild: Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz
       
       Thomas Haldenwang, seit November 2018 Präsident des Bundesamtes für
       Verfassungsschutz (BfV), antwortete in einer ZDF-Schalte am Donnerstag grob
       fahrlässig. Er antwortete auf die Frage, ob die Zahl der Rechtsextremisten
       in Deutschland auch deshalb [1][einen neuen Höchststand erreicht habe],
       weil der Verfassungsschutz nicht genug getan hätte, dass er da nicht
       unbedingt einen „Wirkzusammenhang“ sähe.
       
       Nun ja, es liegt natürlich auf der Hand, dass der
       Verfassungsschutzpräsident selbst nicht unbedingt sagt: „Ja, Mann. Da haben
       wir echt Scheiße gebaut“ – auch wenn das ein durchaus erfrischender Zugang
       wäre für eine Behörde, bei der mindestens [2][seit den Ermittlungen zu den
       NSU-Morden klar sein dürfte], dass einige Mitarbeiter den braunen Sumpf
       vielleicht ein bisschen zu gut von innen kennen. Über Hans-Georg Maaßen und
       [3][seinen Rechtsdrall] brauchen wir an dieser Stelle gar nicht erst zu
       reden.
       
       Doch Haldenwang sagt in dem Interview dann weiter, hier als wörtliches
       Zitat, weil es so schön ist: „Dass wir ein Erstarken des Rechtsextremismus
       in den letzten Jahren wahrnehmen mussten, das hängt an vielerlei Umständen.
       Das ist insgesamt ein Thema für die gesamte Gesellschaft; ich glaube das
       hängt sehr viel mit aktuellen politischen Entwicklungen zusammen und
       möglicherweise natürlich auch mit der Flüchtlings- und Migrationspolitik
       seit 2015.“
       
       Hier muss man die Frage stellen, ob in dem Verein eigentlich irgendjemand
       noch nicht von allen guten Geistern verlassen ist. Denn in diesem Zitat von
       Haldenwang liegt alles begraben, das in diesem Land falsch läuft im Umgang
       mit Rechtsextremismus.
       
       „Wir mussten es wahrnehmen“ – heißt so viel wie: Wir haben damit nichts zu
       tun, es ist eine Entwicklung, die sich außerhalb unserer Kontrolle
       befindet, wir stehen daneben und müssen zusehen. So eine Aussage ist von
       eineR durchschnittlichen Bürger_in schon gewagt, aber von einem Mann, der
       seit zehn Jahren Teil des Verfassungsschutzes ist – da wird einem doch
       schwindlig.
       
       „Ein Thema für die gesamte Gesellschaft“ – ja, stimmt schon, es geht uns
       alle an. Der gesamten Gesellschaft wäre aber auch echt sehr geholfen, wenn
       der Verfassungsschutz mal aus dem Quark kommen könnte und sich um die
       ganzen Wahnsinnigen kümmert, die sich auf [4][einen Tag X vorbereiten],
       Tausende Schuss Munition bunkern, [5][Feindeslisten führen] oder [6][200
       Leichensäcke online bestellen].
       
       „Das hängt mit aktuellen politischen Entwicklungen zusammen“ – genau alles
       ganz neu, hatten wir noch nie und jetzt plötzlich ein „neuer“ rechten
       Terror, NSU 2.0 – konnten wir alle nicht kommen sehen. [7][Wer hätte es
       jemals geahnt].
       
       „Möglicherweise natürlich auch mit der Flüchtlings- und Migrationspolitik
       seit 2015“ – ja, genau: Danke, Merkel. Hier schließt Haldenwang an die
       Erzählung der AfD an, dass Angela Merkels Reaktion auf die Geflüchteten,
       die im Jahr 2015 Deutschland erreichten, den Rechten irgendwelche „Gründe“
       geliefert hätte, sich zu radikalisieren. Ähnlich hatte es vorher schon
       AfD-Mann Martin Hohmann, ein MdB aus Hessen, vermitteln wollen. Laut ihm
       sei nämlich vollkommen klar: Hätte es den „unkontrollierten und bis heute
       andauernden Massenzustrom an Migranten nicht gegeben, würde Walter Lübcke
       noch leben.“ Es seinen die „vielen Morde und Vergewaltigungen notwendiges
       Glied in der Ursachenkette, die zum Tod von Walter Lübcke führte.“ Doch
       Stephan Ernst war nicht erst seit 2015 ein [8][Mitglied der Neonazi-Szene].
       
       Von Hohmann kann man nichts anderes erwarten. Aber dass Haldenwang mit
       seiner Aussage ebenfalls den Eindruck erweckt, die Neonazis in diesem Land
       hätte es vor 2015 nicht gegeben und indirekt auch Hohmanns Aussage stützt,
       dass es irgendeinen seit 2015 herrschenden Anlass gäbe, Politikern in den
       Kopf zu schießen, ist für einen Mann in seiner Position grob fahrlässig.
       
       2014 war noch alles anders? 
       
       Zumal er selbst es war, der vergangene Woche mit Horst Seehofer ebenjenen
       Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2018 vorgestellt hatte, um den es in
       dem Interview ging. Laut Bericht gab es 2018 24.100 Rechtsextreme in
       Deutschland. Mehr als jeder zweite von ihnen wird als gewaltbereit
       eingestuft. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 20.500 Rechtsextreme – ebenfalls
       die Hälfte davon als gewaltbereit angesehen. Auch das ist eine beachtliche
       Zahl, für die man sich schon damals interessieren hätte sollen.
       
       Was den Mordfall Lübcke angeht, ist Thomas Haldenwangs Aussage, er sähe
       keinen „Wirkzusammenhang“ zwischen Verfassungsschutz, und Rechtsextremen
       ebenfalls sehr gewagt. Immerhin war der [9][nun ebenfalls verhaftete Markus
       H.], der half dem [10][Täter Stephan Ernst] die spätere Tatwaffe zu
       beschaffen, nicht irgendjemand. Der Verfassungsschutz [11][hatte ihn auf
       dem Schirm] – und Ernst hat ihn beileibe nicht übers Schwarze Brett im
       Supermarkt gefunden.
       
       Beide sind Teil der Neonazi-Szene in Kassel, beide waren 2009 Teil eine
       Gruppe, die eine DGB-Kundgebung in Dortmund angegriffen hat. H. wurde
       außerdem wegen [12][„Sieg Heil“-Rufen und Zeigens des Hitlergrußes in einer
       Kneipe] zu einer Geldstrafe verurteilt.
       
       Aber es wird noch besser: Markus H. wurde 2009 als Zeuge im NSU-Mord an
       Halit Yozgat vernommen. Das ist jener Mann, der 1985 in Kassel geboren und
       2006 in Kassel ermordet wurde, jener Mann der da ein Internetcafe betrieben
       hat, jener Mann der verblutend hinter dem Tresen lag, als Andreas Temme,
       damaliger Verfassungsschützer, eben jenes Internetcafé verließ und später
       sagte, er habe nichts gesehen und damit nichts zu tun. Temme, der nach der
       Aussage eines ehemaligen Nachbarn in seinem Heimatdorf als Jugendlicher den
       Spitznamen „Klein Adolf“ getragen haben soll.
       
       29 Jun 2019
       
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