# taz.de -- Tierversuche in der Forschung: Stress-Test mit Mäusen
       
       > In der Forschung werden immer noch zahlreiche Versuche mit Tieren
       > durchgeführt. Manche werden als notwendig erachtet, andere sind nutzlos.
       
 (IMG) Bild: Labormäuse gehören zu den am häufigsten genutzten Versuchstieren. 2017 waren es 1.368.447 Mäuse
       
       Eine Maus schwimmt in einem Becher mit Wasser. Anfangs strampelt sie wild
       umher, erkundet die Umgebung. Doch es gibt kein Entkommen und irgendwann
       gibt sie auf. Sie lässt sich an der Oberfläche treiben – das sogenannte
       Floating-Verhalten. So funktioniert der „Forced Swim Test“, der derzeit
       stark kritisiert und diskutiert wird. Denn dieser Test galt lange Zeit als
       Messung für depressives Verhalten: Begannen die Mäuse früh mit dem
       Floating, wurde das als Anzeichen für Depressionen gewertet.
       
       Diese Interpretation bezweifeln viele Forscher, dennoch wird der Test seit
       den 1970ern häufig angewandt. Jan Deussing leitet am Max-Planck-Institut
       für Psychiatrie in München eine Arbeitsgruppe, die mit Mäusen arbeitet. Für
       ihn hat der Forced Swim Test nichts mit Depressionen zu tun. „Es ist eher
       ein Stress-Test, bei dem die Tiere unterschiedliche Strategien entwickeln.
       Entweder, sie versuchen, aktiv der Situation zu entkommen. Oder aber, sie
       lassen sich treiben und sparen so Energie.“
       
       Die Tierrechtsorganisation Peta startete Ende letzten Jahres eine Petition
       gegen den Test. Es sei ein grausamer und völlig nutzloser Test, schreiben
       sie auf ihrer Website. Erste Erfolge sind zu verzeichnen, denn
       Pharmaunternehmen wie Roche, AbbVie und Johnson&Johnson führen nun keinen
       Forced Swim Test mehr durch und finanzieren ihn auch nicht.
       
       Andere Versuche mit Tieren sind dennoch nötig. Beispielsweise werden neue
       Medikamente zuerst an Tieren getestet, bevor klinische Studien am Menschen
       beginnen dürfen. Generell gelten für Wissenschaftler die „3 R“:
       Replacement, Reduction, Refinement. Das bedeutet, dass Tierversuche nur
       dann durchgeführt werden, wenn sie unbedingt nötig sind. Dabei werden
       möglichst wenige Tiere verwendet und das Leiden gering gehalten.
       
       Jan Deussing glaubt, dass die Wissenschaft im Hinblick auf die Tierversuche
       mittlerweile umdenkt. Einfache Verhaltenstests verlieren an Bedeutung.
       Stattdessen versucht man, komplexes Verhalten zu studieren und zu sehen,
       was dabei im Gehirn passiert. Möglichst natürlich sollen die Situationen
       sein: „Anstatt einzelne Tiere zu untersuchen, schaut man auch auf das
       Verhalten in der Gruppe, vielleicht nicht in einer Test-Apparatur, sondern
       im Heimkäfig.“
       
       ## Transgene Mäuse
       
       So untersucht Deussing in seinem Labor beispielsweise, welche Rolle
       bestimmte Gene bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung spielen. Dazu
       verändern er und sein Team den genetischen Code von Mäusen und analysieren
       die Auswirkungen – beispielsweise, wie diese Tiere auf Stress reagieren.
       Als belastende Situation nutzt Deussing sozialen Stress. Das Versuchstier
       wird von einer dominanten Maus unter Druck gesetzt, wobei sie räumlich
       voneinander getrennt sind, sich also nicht berühren können.
       
       Psychische Erkrankungen sind in Experimenten schwer nachzubilden, denn sie
       sind komplex, mit variablen Symptomen. Einige Aspekte, wie beispielsweise
       Abhängigkeit oder Angst, lassen sich dennoch gut im Tierversuch
       untersuchen. Andererseits gibt es Fragestellungen, die man nur am Menschen
       beobachten kann. Professor Andreas Meyer-Lindenberg ist
       Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in
       Mannheim und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Er
       beschäftigt sich schon lange mit der Translation, also der Übersetzung von
       Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen. „Wenn Patienten
       beispielsweise Stimmen hören, kann ich das offensichtlich nicht am Tier
       untersuchen“, erklärt Meyer-Lindenberg.
       
       Depressionen, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Schizophrenie,
       Sucht: Am ZI werden psychische Erkrankungen aus verschiedenen Blickwinkeln
       untersucht. Die Grundlagenforschung am Tier ist dabei sicher wichtig, doch
       Andreas Meyer-Lindenberg und seine Kollegen wollen besonders die Forschung
       mit und am Menschen voranbringen. Ende September eröffneten sie dazu das
       Zentrum für innovative Psychiatrie- und Psychotherapieforschung (ZIPP).
       Hier sollen zum Beispiel neue Medikamente in klinischen Studien getestet
       werden. Doch nicht nur das: „Besonders wichtig ist es, Medikamente und
       psychotherapeutische Verfahren zu kombinieren“, so Professor
       Meyer-Lindenberg. „Es gibt eine ganze Reihe von Substanzen, die für sich
       allein gar nicht so wirksam sind. Gemeinsam mit einer psychotherapeutischen
       Intervention verstärken sie die Effekte der Therapie aber deutlich.“
       
       Das ZIPP ist für eine solche Forschung schon durch seine Lage bestens
       vorbereitet. Es befindet sich im Keller des Therapiegebäudes am ZI, also in
       unmittelbarer Nähe der Patienten. Zudem ist es ausgestattet mit modernen
       Geräten. So können die Wissenschaftler gleichzeitig winzige Mengen
       radioaktiv markierter Substanzen im Gehirn verfolgen und die Hirnfunktion
       messen. Mit einem Magnetresonanztomografen beobachten sie in Echtzeit,
       welche Nervenzellen gerade aktiv sind – ganz ohne Elektroden am Kopf.
       
       ## Virtuelle Realitäten
       
       Spannend für die Weiterentwicklung der Psychotherapie ist das Labor für
       Virtuelle Realität (VR). „Wenn jemand Höhenangst hat, begibt man sich in
       der Therapie normalerweise in genau so eine Situation“, erklärt
       Meyer-Lindenberg die sogenannte Expositionstherapie. „Aber ich kann ja
       nicht jedes Mal mit meinem Patienten auf einen hohen Turm steigen.“
       Stattdessen könne man nun im VR Labor die Erlebnisse so realistisch
       darstellen, dass der Patient seine Angst allmählich verlernt. „Es ist schon
       eindrucksvoll, wie überzeugend die Simulationen sind.“
       
       Es gibt mittlerweile mehrere Studien, die positive Effekte von VR für
       verschiedene psychische Erkrankungen nachweisen. Von Phobien über PTBS und
       Depressionen bis hin zu chronischen Schmerzen und intensivem Stress ist
       alles denkbar. Tatsächlich wird VR bereits dazu genutzt, um Patienten von
       ihren Schmerzen abzulenken, beispielsweise beim Wechseln der Bandagen von
       Menschen mit schweren Verbrennungen oder der Physiotherapie vernarbten
       Gewebes.
       
       Auf Tierversuche wird die Forschung in absehbarer Zeit nicht verzichten
       können. Doch ist es wichtig, sich immer zu fragen, was man mit einem
       bestimmten Experiment untersuchen kann, und was nicht. Dafür ist ein
       offener Dialog der Wissenschaftler untereinander und mit der Öffentlichkeit
       unumgänglich. Die Methoden entwickeln sich immer weiter, Techniken von
       Zellkulturen bis zu Computersimulationen verbessern die Forschung. In einer
       guten Mischung aller Möglichkeiten liegt die Chance, wichtige Fragen zu
       klären – für Tier und Mensch.
       
       7 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefanie Uhrig
       
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