# taz.de -- Tierversuchsanstalt fälscht Ergebnisse: Missbrauchte Lebewesen
       
       > Dass Tierversuchsanstalten Untersuchungsergebnisse fälschen, dürfte kein
       > Einzelfall sein. Bundesweit gibt es immerhin mehr als 700 solcher Labore.
       
 (IMG) Bild: Mahnwache von Tierschützern vor dem Labor der Firma LPT in Mienenbüttel bei Hamburg
       
       Genau zwei Monate ist es her, dass die Tierrechtsorganisation Soko
       Tierschutz heimliche Aufnahmen aus dem Innern der [1][Tierversuchslabore
       der Firma LPT] veröffentlicht hat; und wie viel mehr ist seither ans
       Tageslicht gekommen! LPT steht für Laboratory of Pharmacology and
       Toxicology GmbH & Co. KG; diese Firma unterhält in Hamburg und Umgebung
       mehrere Labore, in denen Pharmazeutika und weitere chemische Substanzen an
       Tieren auf Giftigkeit getestet werden.
       
       Noch vor wenigen Jahren hat die Firma auf ihrer Website offen ihr
       Leistungsspektrum dargestellt; angeboten wurden Tests an Mäusen, Ratten,
       Hamstern, Meerschweinchen, Kaninchen, Hunden, Affen, Katzen, Schweinen,
       Fischen und Vögeln, und zwar mit folgenden Methoden: oral, intraperitoneal
       (in die Bauchhöhle), intravenös, per Infusion, dermal, per Inhalation,
       intravaginal, intrathekal (ins Rückenmark), rektal und per Eingabe in den
       Augenlidsack.
       
       [2][Solche Giftigkeitstests] sind zwar bislang vorgeschrieben, aber zumeist
       nicht genehmigungspflichtig. Ihre Durchführung verläuft im völligen
       Graubereich, wird fast nie durch Veterinärämter kontrolliert. [3][Der
       gemeinnützige Verein Soko Tierschutz] hatte einen Automechaniker als
       Tierpflegehelfer eingeschleust, der berichtete, dass sich unter seinen
       Kollegen nur ein einziger ausgebildeter Tierpfleger befand; die anderen
       waren Schlachter, Mechaniker und ein Militärmusikant.
       
       Sogar wenn solche Versuche ordnungsgemäß durchgeführt werden, ist ihre
       Aussagekraft mehr als zweifelhaft. Wenn Sie Hund oder Katze besitzen,
       wissen Sie, dass denen Schokolade giftig werden kann; Eichhörnchen knabbern
       unbeschadet am Fliegenpilz. Dass Contergan Fehlentwicklungen am
       menschlichen Fötus hervorrufen würde, konnte man aufgrund der vorherigen
       Tierversuche nicht ahnen; jedes Jahr müssen Medikamente vom Markt genommen
       werden, weil sie sich im Tierversuch als „unbedenklich“ erwiesen hatten,
       bei der Anwendung am Menschen aber nicht. Zur eigenen Sicherheit, also um
       teure Ausfälle und Schadensersatzforderungen zu vermeiden, testen viele
       Firmen längst nicht mehr nur im Tierversuch, sondern zum Beispiel auch
       mithilfe von Zellkulturen. Dass das Gesetz immer noch auf dem Tierversuch
       beharrt, ist daher ohnehin antiquiert.
       
       ## Ausgeschnittene Tattoonummer
       
       Im Falle von LPT meinte der Soko-Mitarbeiter zudem zu beobachten, dass
       mindestens einmal Daten gefälscht wurden, damit sie zu den erwünschten
       Ergebnissen „passten“. Diese Anschuldigungen wurden seither durch ehemalige
       Mitarbeiter des Unternehmens bestätigt. Der frühere Leiter der Hämatologie
       sagte gegenüber dem TV-Magazin Fakt aus, dass in einer Krebsstudie die
       Organe eines verstorbenen Affen ausgetauscht worden waren: „Man hat die
       Tattoonummer, die sich im Brustbereich des Tieres befindet, ausgeschnitten.
       Diese hat man nach dem Ende der Studie den Organen des ersetzten Tieres
       hinzugefügt.“ Ein weiterer Mitarbeiter erinnert sich an Manipulationen von
       Fakten, die bereits 2005 der zuständigen Hamburger Behörde gemeldet worden
       seien.
       
       Damals ist anscheinend nicht viel geschehen, doch vor zwei Wochen wurden
       mehrere Labore und Geschäftsräume der LPT von Staatsanwaltschaft und
       Veterinäramt durchsucht und anscheinend wurde umfangreiches Material
       mitgenommen. Mehrere Firmen haben Aufträge ans LPT zurückgezogen; das
       Unternehmen selbst verkündete, ein Labor zu schließen. Mehrere
       Großdemonstrationen gegen Tierversuche, an denen jeweils bis zu 15.000
       Menschen teilnahmen, gingen voraus. Dem steht bisher ein großes Schweigen
       deutscher Forschungseinrichtungen und des zuständigen Berliner Ministeriums
       gegenüber.
       
       Doch was hier aufgedeckt wurde, wird in der Branche kein Einzelfall sein.
       Es gibt über 700 Tierversuchslabore in Deutschland; es ist
       unwahrscheinlich, dass allein das LPT Ergebnisse gefälscht hat, dass es nur
       hier zu besonderer Brutalität gekommen ist. Bekannt wurden vor allem die
       Fotos, auf denen ein Beagle in einer Lache des eigenen Bluts verendete;
       Bilder von panischen und schreienden Affen, die in so kleinen Käfigen
       untergebracht sind, dass sie sich um sich selbst drehen. Wie können wir
       glauben, dass die Verbesserung von Wohl und Gesundheit der Menschen ihren
       Ursprung in solchen Pfuschereien und Grausamkeiten hat?
       
       ## Zeugnis leidvollen Lebens
       
       Ein Foto des Tierrechtsrechercheurs wird seltener gezeigt; man sieht kein
       Blut darauf, kein Fell, keine Käfige, keine Tiere. Man sieht zwölf kleine
       Kanister oder Gläser, die jeweils einem getöteten Tier zugeordnet sind. In
       einer Mischung aus Wasser und Alkoholen sind dort Organe der jeweiligen
       Tiere eingelegt. Und, wir erinnern uns an die Aussage des Hämatologen,
       womöglich auch ein Stückchen Haut mit der Tattoonummer des jeweiligen
       Tiers. Jedes Aufbewahrungsglas das Zeugnis eines erbärmlichen, leidvollen
       Lebens.
       
       Was den Tieren bis dahin zugefügt wurde, erinnert an Folter; und ich
       verwende diesen Begriff bewusst. Folter ist das willkürliche Unterwerfen
       eines anderen unter immenses Leid, das absichtsvolle Zufügen schwer
       erträglicher Zustände und Schmerzen; sie dient dem eigenen Vorteil und geht
       über die minimalen Anforderungen an Unversehrtheit und Leidfreiheit der
       anderen hinweg. Man muss kein Sadist sein, um zu foltern (obwohl viele
       Folterer es wohl sind), man foltert meist nicht zum reinen Vergnügen. Man
       foltert für einen vermeintlich höheren Zweck, die (angebliche) Sicherheit
       der Nation, für das (angebliche) Wohl der Allgemeinheit.
       
       Und genau das geschieht im Tierversuch. Man muss keine vollkommene
       moralische Gleichwertigkeit von Mensch und Tier annehmen, um so etwas
       abzulehnen; man muss nicht einmal kategorische Pazifistin ist. Aber das
       Mittel der Gewalt, zu dem jemand im Notfall greift, darf nicht die
       Standardprozedur für den Normalfall sein. Zivilisation zeichnet sich
       dadurch aus, dass wir eben nicht routinemäßig und legal die einen für die
       anderen quälen dürfen; ganz egal ob Mensch oder Tier.
       
       11 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
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