# taz.de -- Lesumwiesen sollen Gewässer werden: Polarisierender Ausgleich
       
       > Mit dem Umbau der Lesumwiesen sollen Umweltschäden kompensiert werden,
       > deren Ursache 20 Jahre zurück liegt. Die Idee finden nicht alle gut.
       
 (IMG) Bild: Hat in Bremen außer der Lesumwiese fast keine Bleibe: Die Kohlkratzdistel
       
       BREMEN taz | Ausgleichsmaßnahmen sollen den Konflikt zwischen
       wirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz entschärfen. An der Lesum zeigt
       sich: Sie können ihn auch verwandeln – in einen Streit zwischen Naturschutz
       und Naturschutz. Denn gut 20 Jahre nach [1][Verschüttung] des Überseehafens
       Ende der 1990er Jahre sollen jetzt die Lesumwiesen zwischen Knoops Park
       und St. Magnus zum „tidebeeinflussten Gewässer im Anschluss an das
       vorhandene Gewässer“ [2][umgebaut werden].
       
       Einigkeit herrscht darüber, dass das viel zu spät ist. Aber während der
       BUND [3][begrüßt], dass die Maßnahme endlich in Angriff genommen wird und
       sich einen großen Gewinn für die Artenvielfalt verspricht, stemmt sich eine
       Initiative von Anwohner*innen dagegen.
       
       „Da ist im Laufe von 20 Jahren etwas Gutes entstanden, das jetzt beseitigt
       werden soll“, sagt Ursula Pickener von der Ini. Harscher formuliert der
       bundesweit bekannte Bremer Botaniker [4][Jürgen Feder] seine Kritik. Er
       nennt das Vorhaben „ein Stück aus dem Tollhaus“. Und schädlich für – Sie
       ahnen's: die Artenvielfalt.
       
       Feder hatte im Herbst für die Bürger-Ini ein Gutachten erstellt. „Ich halte
       mich sonst bei Konflikten eher zurück“, sagt er, „aber das hier muss
       verhindert werden.“ Insgesamt 160 Pflanzenarten hat er auf den acht Hektar
       im Oktober gefunden. „Im Frühjahr wären das mehr gewesen“, sagt er.
       Gestützt auf die Expertise hat die BI eine O[5][nline-Petition gestartet] –
       gegen das Vorhaben. Bis 31. Januar kann sie gezeichnet werden.
       
       ## Warnung vorm Bestandserhalt
       
       Fakt ist: Aus Anwohner-Perspektive geht dem Stadtteil ein Gelände
       verloren, das Naturerleben ermöglicht. „Meine Kinder sind ja jetzt
       erwachsen“, sagt Pickener. „Aber die sind da früher morgens rein in die
       Wildnis und kamen am Abend bis zu den Haarspitzen verdreckt und glücklich
       nach Hause.“ Das fällt für künftige Generationen aus: Im Gewässer ist
       schlecht streunen. Pickener fürchtet, dass es auch mit dem Gebrumm von
       Insekten dort vorbei ist.
       
       Aber da widerspricht die Umweltsenatorin: „Das Gebiet wird der Natur nicht
       entzogen, sondern ökologisch weiter aufgewertet“, so deren Sprecher Jens
       Tittmann. Insekten, Vögel und Amphibien würden dort weiterhin Nahrung
       finden und sich vermehren. „Für Arten, die an nasse Verhältnisse angepasst
       sind, wird es an Bedeutung zunehmen.“
       
       Feder glaubt nicht an die amtliche Prognose, und vom BUND hält er wenig:
       „Das sind Umweltdarsteller“, befindet er. Durch die Vernässung werde eine
       Schilfwüste erzeugt, „davon haben wir wirklich schon mehr als genug.“ Er
       ist Herausgeber der „Bremer Botanischen Briefe“, einer Fachzeitschrift, die
       seit 2008 die Entwicklung der Flora des kleinsten Bundeslandes
       [6][dokumentiert.]
       
       Und seit 25 Jahren verfolgt er, wie sich das Nordbremer Areal von einer
       landwirtschaftlich genutzten Fläche in eine Landschaft mit Feuchtwiesen,
       Röhrichten, Hochstaudenfluren, mesophilem Grünland, Quell- und Auenwald
       sowie Feuchtgebüschen verwandelt hat, „völlig einmalig für das Land“. Die
       sei zu erhalten, so seine Bewertung. „So, wie sie ist.“
       
       Bloß nicht!, heißt es dazu aus der Umweltbehörde: Dann würden die
       Wiesenaspekte ja nach und nach verschwinden. Denn ohne die Maßnahme sei
       „das Gebiet für wertvolle Röhrichte nicht nass genug“. Während die Behörde
       den Lesumwiesen im Ist-Zustand immerhin eine „vorhandene Strukturvielfalt“
       zugesteht, nennt BUND-Geschäftsführer Rode sie „ein Allerweltsruderal“.
       
       ## Das Ende der Bremer Kohlkratzdistelwiese
       
       Er warnt davor, „mit vordergründig naturschutzfachlichen Argumenten“ die
       Maßnahme zu verhindern. Schließlich werde durch sie eine Laichzone
       geschaffen, so wie es, etwas weiter östlich bei einer ähnlichen Maßnahme,
       in kleinerem Umfang bereits geklappt hat. Dort haben sich laut
       Umweltbehörde auch seltene Vögel angesiedelt und abends schwirren mehr und
       mehr Fledermäuse über die neue Flachwasserzone.
       
       Für die Laichablage muss die Zone gezeitenabhängig sein, aber eben nur
       schwach. „Der Tidehub sollte bei etwa 70 Zentimetern liegen“, so Rode.
       Das sei infolge der Flussbegradigungen an Weser und Lesum fast nirgends
       mehr der Fall. „Die bekommen fast die ganzen vier Meter von der Küste ab“.
       Und zumal die seltenen Arten, die Feder dokumentiert hat, könnten sogar
       von der Vernässung profitieren. Das Sumpf-Greiskraut etwa, das als stark
       gefährdet auf der Roten Liste steht.
       
       Vorbei wäre es dann aber mit Bremens laut Feder einziger
       [7][Kohlkratzdistel-Wiese], so viel ist klar. Und auch wenn Cirsium
       oleraceum nicht als Rarität gilt – sie gedeiht auch auf den überdüngten
       Flächen Niedersachsens gut – es komme ja nicht darauf an, möglichst
       besondere Arten zu finden, sondern auf deren Vielfalt und Zusammenspiel,
       sagt der Mann, der sich selbst Extrem-Botaniker nennt. „Es zählt der
       Komplex.“
       
       28 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.deutsches-architekturforum.de/user-post-list/10485-heinzer/
 (DIR) [2] https://www.transparenz.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=kogis_tp_berlin01.c.85849.de&_article_id=46425&lang=de&fulltext=Lesum+Ersatzma%DFnahme&fileCnt=on
 (DIR) [3] https://www.bund-bremen.net/presse/detail/news/fisch-laichzone-an-der-lesum-viele-arten-profitieren/
 (DIR) [4] https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Feder
 (DIR) [5] https://petition.bremische-buergerschaft.de/index.php?n=petitionsdetails&s=1&c=date_public&d=DESC&b=0&l=10&searchstring=&pID=3139
 (DIR) [6] https://www.internetchemie.info/chemie-lexikon/b/bremer%20botanische%20briefe.php
 (DIR) [7] https://de.wikipedia.org/wiki/Kohldistel
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
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