# taz.de -- CTM-Festival in Berlin: Neues von der Schwelle
       
       > Es verschaltet experimentelle elektronische Musik mit Performance-Kunst
       > und gesellschaftlichen Diskursen: das CTM-Festival in Berlin.
       
 (IMG) Bild: In „Inferno“ von Bill Vorn und Louis-Phillipe Demers werden Gäste in Exoskelette gesteckt
       
       Cello-Konzert, Techno-Raves und Workshops zu politischer Theorie. Seit
       mittlerweile 21 Jahren ignoriert das [1][CTM-Festival in Berlin]
       musikalische, gesellschaftliche und nationale Grenzen und ist damit zu
       einem Knotenpunkt des kreativen Austauschs geworden. Deshalb werden ab
       Freitagabend wieder Menschen aus aller Welt in die Stadt kommen.
       
       Angefangen hat das „Festival für aufregende Musik“, wie sich CTM selbst
       nennt, als unabhängige Begleitveranstaltung zum Medienkunstfestival
       transmediale. Zum Debüt „clubtransmediale“, wie die CTM 1999 noch hieß,
       trafen sich 54 DJs und A/V-Projekte im Club Maria am Ostbahnhof, in dem
       alles stattfand.
       
       Mittlerweile hat sich das Festival von der Schwesterveranstaltung
       transmediale emanzipiert: An den zehn Tagen gastieren über 200
       internationale Künstler:innen auf mehr als 100 Events in insgesamt 15
       Locations, verteilt über die ganze Stadt Berlin. Damit ist das Festival der
       weltweit wichtigste Katalysator für elektronisch generierte
       Experimentalmusik und Clubkultur.
       
       Dieses Jahr findet die CTM unter dem Motto „Liminal“ statt. Liminal ist ein
       abstrakte Vokabel aus der Ethnologie und bezeichnet einen Schwebezustand,
       den alle schon einmal erlebt haben: Beispielsweise während der Pubertät,
       der Phase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Eine unruhige Zeit also,
       in der man sich und seine Position in der Gesellschaft neu definieren muss.
       Wie das Festival den Begriff interpretiert, können transformative Prozesse
       immer dann angestoßen werden, wenn man sich auf neue Erfahrungen einlässt,
       sei es bei einer Kunstperformance oder eben auf der Tanzfläche eines Clubs.
       
       ## Field-Recordings aus Leichenhallen
       
       Wer bei einem Festival für elektronische Club-Kultur allerdings apathische
       DJs, bassbetonte Musik im straighten 4/4-Takt erwartet, irrt sich.
       Genregrenzen ignoriert CTM beharrlich. „Wichtig ist, dass die
       Künstler:innen etwas wagen“ und sich mit dem Motto des Festivals
       auseinandersetzen, wie CTM-Mitgründer und Kurator Jan Rohlf erklärt. Das
       bringt umgekehrt frischen Wind in exklusive Techno-Clubs wie dem Berghain,
       das seine Pforten während der Festivaltage einem breiteren Publikum öffnet
       und im Gegenzug wiederum vom Input der Künstler:innen profitiert. Neben den
       Club-Nächten stehen dabei vor allem Performances, Soundinstallationen und
       Tanz im Vordergrund.
       
       Der Aktionskünstler Karel van Laere gibt in seinem Stück „The Non-present
       Performer“ seinen hypnotisierten und scheinbar leblosen Körper in die Obhut
       von Choreograf:innen, um den Zustand der absoluten Wehrlosigkeit zu
       erforschen. Jakob Kirkegaard, macht in „Opus Mors“ mithilfe von
       Field-Recordings aus Leichenhallen, Krematorien und Friedhöfen den Tod in
       vier Akten hörbar. Und die oscarnominierte Cellistin Hildur Guðnadóttir
       spielt zusammen mit Sam Slater und Chris Watson den Soundtrack zur Serie
       „Chernobyl“, in der sie den Reaktorunfall von Pripjat vertont hat.
       
       Das Programm der CTM ist auch dieses Jahr sehr dicht getaktet. Neu ist nun,
       dass viele Auftritte mehrmals stattfinden. So können Gäste alle
       Kernveranstaltungen besuchen und sind nicht mehr gezwungen, sich zwischen
       zwei Terminen zu entscheiden.
       
       Das CTM definiert Club-Kultur nicht nur als puren Hedonismus. Man sieht
       sich auch als Plattform, um die großen Umbrüche in unserer Gesellschaft zu
       diskutieren. Deshalb wird das Festival von Talk-Runden begleitet, in denen
       von Musik für Computerspielfiguren bis hin zu neu-rechter Metapolitik alles
       Mögliche aus der Perspektive von Club-Kultur diskutiert wird.
       
       ## Professoren, kommt ins Berghain
       
       Dazu gibt es Workshops, in denen Laien, Bedroom-Producer und Computernerds
       gleichermaßen auf ihre Kosten kommen. Wichtig ist, dass sich
       Künstler:innen, Journalist:innen und Gäste miteinander vernetzen. Jan Rohlf
       hofft, dass so „der Uni-Professor ins Berghain geht und der Gabber-Head zu
       einer Podiumsdiskussion kommt“, das sei von enormer kulturpolitischer und
       gesellschaftlicher Bedeutung.
       
       Wie wichtig dieser Austausch ist, versteht mittlerweile auch die Politik.
       Die Kulturverwaltung des Berliner Senats sichert das Festival mit einer
       Basisförderung ab, die Bundeszentrale für politische Bildung kuratiert
       zusammen mit der Initiative Musik Workshops auf der CTM und der DAAD
       ermöglicht mit seinem Residenzprogramm den Auftritt der Komponistin Ashley
       Fure, deren Stück „Hive Rise“ im Berghain uraufgeführt wird.
       
       Dass das Line-up auf der CTM divers ist, dafür sorgt ein Team aus
       Kurator:innen, das eng mit Kollektiven und Promotern aus verschiedenen
       Musik- und Kulturszenen zusammenarbeitet. So schafft das CTM Einblicke in
       Subkulturen aus allen Teilen der Welt, die sonst nie die Chance bekämen,
       vor einem internationalen Publikum zu spielen. Dieses Jahr wurden
       beispielsweise Künstler aus dem Umfeld des Nyege-Nyege-Festivals aus Uganda
       nach Berlin eingeladen, und die queere Partyreihe Puticlub veranstaltet
       einen inklusiven Reggeaton-Abend [2][im Club Grießmühle].
       
       Wer sich die 175 Euro für das Festival-Ticket nicht leisten kann, kriegt
       für die meisten Einzelveranstaltungen Tickets im Vorverkauf oder an der
       Abendkasse. Wem auch das zu teuer ist, der hat trotzdem die Möglichkeit,
       die CTM zu besuchen. Diskussionsrunden, Installationen und Ausstellungen
       sowie die Auftaktveranstaltung am 24. Januar im Kunstquartier Bethanien
       sind kostenlos.
       
       24 Jan 2020
       
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